Salzburger Festspiele:Mehr Musik wagen

Salzburger Festspiele 2020

Mit einer bejubelten Neuinszenierung von Richard Strauss' einaktiger Oper "Elektra" wurden die Salzburger Festspiele 2020 Anfang August eröffnet.

(Foto: dpa)

Nach dem Ende des einzigen großen Festivals in diesem Sommer scheint der Beweis erbracht: Trotz Corona können Konzerte im Saal stattfinden. Was es dazu braucht: mehr Mut.

Kommentar von Reinhard J. Brembeck

Nein, die nun beendeten Salzburger Festspiele haben sich zu keinem zweiten Ischgl entwickelt. Obwohl 80 000 Karten verkauft wurden, obwohl einen Monat lang täglich in mehreren Vorstellungen bis zu 1000 Menschen in den Sälen saßen, während der Vorstellungen sogar ohne Maske, obwohl die Orchestermusiker so nah wie eh und je zueinander platziert waren. Nur im Vorfeld kam es zur Infektion einer Mitarbeiterin.

Nirgendwo wurden in Salzburg Maskenmuffel und Hygienefeinde beobachtet, und die meisten Besucher zeigten durchaus die von früheren Jahre gewohnte Festspiellaune. Auch wenn sich wohl niemand restlos sicher gefühlt haben dürfte.

Wenn jetzt also nicht doch noch ein großer Paukenschlag nachkommt, schließlich beträgt die Inkubationszeit des Virus etliche Tage, dann ist Salzburg als Massenkunstexperiment geglückt. Ja, es können selbst unter Seuchenbedingungen große Hochkulturveranstaltungen stattfinden. Dieser Ausgang macht weltweit den vielen zunehmend von Arbeitslosigkeit und Armut bedrohten Künstlern und Veranstaltern Mut. Doch in deren Ermessen liegt es nicht, ob Kunst zumindest in halb vollen Räumen und nicht nur vor einer verstreuten Schar Glücklicher stattfinden darf. Darüber bestimmen die Politiker. Leider.

Kunst wird in Deutschland offenbar als verzichtbar angesehen

In dieser Woche beginnen viele deutsche Opernhäuser die neue Saison. Doch die Zuschauerräume werden nie so gefüllt sein wie bei den Salzburger Festspielen. In dem keine 200 Kilometer von Salzburg entfernten München, wo am Dienstag eine weit über Opernkreise hinaus mit Spannung erwartete Uraufführung der Aktionskünstlerin Marina Abramović ansteht, werden 200 recht verlorene Menschen in einem Saal für 2100 Zuschauer sitzen. Neun Zehntel der Sitze leer: Das ist ein trauriger Anblick. Das wird so sein, weil dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder jener für einen Politiker auch in Seuchenzeiten nötige Mut fehlt, den die österreichische Regierung aufbrachte. Dort wurde schon zwei Monate vor den Festspielen ein Fahrplan vorgelegt, der den Salzburgern Planungssicherheit und die Zeit gab, ein künstlerisch beachtliches, virologisch vertretbares und finanziell einigermaßen einträgliches Festival zu ersinnen.

Der deutsche Kleinmut hat verschiedene Gründe. Ein wichtiger ist, dass Kunst in Deutschland anders als in Österreich offenbar als verzichtbar fürs Leben angesehen wird. In Österreich spielt sie auch jenseits der Feuilletons eine Rolle. In Deutschland aber wird Kunst, zumal ihre hochkulturelle Ausprägung, lieber als Spielerei und elitärer Zeitvertreib belächelt denn ernst genommen.

Wer derzeit mit Regionalzügen unterwegs ist, kann Menschenansammlungen erleben, die allen Hygieneregeln Hohn sprechen. Das empört die Politiker genauso wenig wie bis auf den letzten Platz gefüllte Flugzeuge. Warum aber stören sie sich an vollen oder zumindest zur Hälfte gefüllten Konzertsälen? Solch ein Verhalten ist irrational. Das wird immer offensichtlicher und fördert die Wahrscheinlichkeit, dass demnächst Impresari und Künstler gegen diese zutiefst ungerechte Ungleichbehandlung vor Gericht klagen und womöglich auch recht bekommen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät, und ein neues Infektionsgeschehen verhindert die Zulassung selbst von 200 einsamen bayerischen Operngängern.

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