Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Portugal:Vier Ärzte für 120 Patienten

Das Erkundungsteam der Bundeswehr schildert dramatische Eindrücke aus Portugal - das Land wird in der EU gerade am heftigsten vom Coronavirus heimgesucht. Nun schickt das Verteidigungsministerium Ärzte und Pfleger dorthin.

Von Karin Janker, Madrid

Das Bild, das sich den Bundeswehr-Ärzten bei ihrem Besuch in Portugal bot, war dramatisch. Schwerkranke Patienten lagen stundenlang in Krankenwagen vor den Kliniken, bis sie eingelassen wurden. Notaufnahmen entschieden nach den Regeln der Triage, welche Patienten sie überhaupt noch annehmen konnten. Vier Ärzte versorgten 120 Patienten - so schildert Oberfeldarzt Nicole Weihgold ihre Eindrücke, die sie in der vergangenen Woche in Lissabon gesammelt hat. "In dieser Situation bedeutet jeder einzelne Helfer eine große Unterstützung für die portugiesischen Kollegen", so die Anästhesistin.

Nach der Rückkehr des medizinischen Erkundungstrupps schickt das Bundesverteidigungsministerium nun an diesem Mittwoch ein Team aus 26 Ärztinnen und Ärzten sowie Pflege- und Hygienefachkräften nach Portugal, um dort die Versorgung schwerkranker Covid-Patienten zu unterstützen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bezeichnete den Einsatz als einen Akt der Solidarität mit "unseren Freunden in Portugal". Neben dem medizinischen Personal fliegt die Bundeswehr außerdem 50 Beatmungsgeräte sowie 150 Krankenhausbetten nach Lissabon. Portugal ist derzeit das am schwersten von der Coronavirus-Pandemie betroffene Land Europas.

"Wir sind für die Unterstützung aus Deutschland sehr dankbar", sagte der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva der Süddeutschen Zeitung. Alles, was helfe, den Druck von den Krankenhäusern zu nehmen, sei sehr willkommen. Deutschland ist der erste Staat, der sein Hilfsangebot in konkrete Maßnahmen gießt. Auch Österreich und Spanien haben Unterstützung angeboten. Außenminister Silva betont, dass das portugiesische Gesundheitssystem weiterhin funktioniere: "Es ist hier noch nicht so schlimm wie in Italien letztes Frühjahr."

Die deutsche Linkspartei kritisiert die Hilfsaktion für den EU-Partner

Mediziner im Land allerdings warnen seit Tagen vor dem Kollaps. In den öffentlichen Krankenhäusern sind laut Gesundheitsministerium 94 Prozent der Betten belegt. Insbesondere die Kapazitäten in der Intensivpflege werden knapp. Aktuell müssen 865 Patienten auf Intensivstation versorgt werden. Dabei ist die Intensivpflege in Portugal schlecht ausgestattet. Jüngsten Zahlen zufolge stehen nur 4,2 Intensivbetten pro 100 000 Einwohner zur Verfügung - EU-weit der letzte Platz. Außenminister Silva zufolge hat das Land seine intensivmedizinischen Kapazitäten im vergangenen Jahr indes verdoppelt und liege jetzt etwa im EU-Durchschnitt.

Oberfeldarzt Nicole Weihgold berichtet von improvisierten Beatmungsplätzen. So habe etwa das Militärkrankenhaus in Lissabon, das nur 36 Betten mit Beatmungsgerät zur Verfügung hatte, binnen weniger Tage seinen Speisesaal so umgebaut, dass dort nun 200 Covid-Patienten mit Sauerstoff versorgt werden können.

Dass Portugal dennoch Hilfe aus dem Ausland erbeten hat, liegt vor allem am akuten Personalmangel. Laut OECD-Daten hat Portugal sehr wenige Pflegekräfte. Seit Jahren wandern ausgebildete Pflegerinnen nach Großbritannien, Frankreich oder Spanien ab. "Verfügbare Betten gibt es noch, aber das für die Pflege notwendige Personal können wir nicht mehr gewährleisten", sagt Portugals Gesundheitsministerin Marta Temido. Montag vergangener Woche bat sie deshalb offiziell um deutsche Hilfe.

Kritik am Einsatz der Bundeswehr kommt von der Linken. Der Hilferuf aus Portugal sei nicht nachvollziehbar, solange die Kapazitäten dort nicht vollends ausgelastet seien, sagte Alexander Neu, Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Dazu gehörten auch die Privatkliniken, die sich bislang verweigerten und sich, so Neu, "einen schlanken Fuß" machten, während deutsche Steuerzahler für den Einsatz in Portugal aufkämen.

Lockerungen zu Weihnachten könnten schuld sein

Außenminister Silva weist derartige Vorwürfe zurück: "Wir haben natürlich zuerst die Kapazitäten der öffentlichen Krankenhäuser ausgeschöpft, aber seitdem die voll sind, arbeiten wir auch mit den privaten Kliniken zusammen." Portugals Gesundheitssystem basiert ähnlich wie das britische auf einem starken staatlichen Gesundheitsdienst sowie zusätzlichen privaten Kliniken. Mittlerweile würden Nicht-Covid-Patienten in Privatkliniken ohne Intensivstation verlegt, um in den öffentlichen Häusern mehr Covid-Patienten versorgen zu können. "Die Privatkliniken kooperieren längst", sagt der Außenminister.

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer teilte mit, sie sei "überzeugt, dass gerade in diesen Zeiten Solidarität in Europa unverzichtbar" sei, obwohl auf dem deutschen Gesundheitssystem ebenfalls erheblicher Druck laste. Für die Sicherheit der Bundeswehrkräfte sei gesorgt. Alle erhielten eine erste Impfdosis vor dem Abflug.

Die portugiesische Regierung macht die britische Virusvariante für den rapiden Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich. Experten im Land vermuten allerdings auch, dass die Lockerung der Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten den Anstieg begünstigt hat. Aktuell liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 1429 pro 100 000 Einwohnern in den vergangenen 14 Tagen. Der Vergleichswert in Deutschland beträgt 265. Seit 15. Januar gilt in Portugal ein strenger Lockdown. Das Haus darf nur verlassen, wer triftige Gründe nachweisen kann. Seit 22. Januar sind auch die Schulen geschlossen.

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