Corona-Pandemie:"Nach meinem ersten Einsatz war ich nassgeschwitzt"

Coronavirus - Hannover

Gegen die Leere: Trotz erster Lockerungen bleibt Abstandhalten in der Krise die Devise. Doch viele Menschen sind im Beruf oder wegen ihres sozialen Engagements auf die Nähe zu anderen angewiesen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Zahlen sind gesunken, die Angst vor einer dritten Welle wächst. Was erleben Menschen, die nicht zu Hause bleiben können - und wollen? Eindrücke aus dem Krankenhaus und der Asylunterkunft, aus der Luft und von der Straße.

Von SZ-Redakteurinnen

Franz Eisenmann, Priester im Pfarrverband Neumarkt St. Veit

Ich bin als Covid-Seelsorger zuständig für das Klinikum Mühldorf, den Landkreis und unser benachbartes Altenheim, wo es leider auch einen Ausbruch gab. Angehörige oder die Patienten selbst rufen mich, damit ich die Krankensalbung spende. Ich trage dann zwei Kittel übereinander, eine Haube für die Haare, zwei Paar Handschuhe, eine spezielle Maske und ein Gesichtsvisier. Ich bin gar nicht mehr als Priester zu erkennen, aber die Bewohner im Altenheim kennen meine Stimme. Die Patienten, die noch bei Bewusstsein sind, spreche ich an und erkläre ihnen, wer ich bin. Alles, was ich für die Krankensalbung brauche, muss ich im Zimmer lassen, auch das Krankenöl. Das ist geweihtes Öl, und die Reste werden eigentlich im Osterfeuer verbrannt. Aber in diesem Fall dürfen wir eine Ausnahme machen - wir haben vom Erzbistum spezielle Gefäße bekommen, in denen nur geringe Mengen Öl sind, die dürfen dann weggeworfen werden.

Ich bin Pfarrer auf dem Land, das heißt, ich sitze oft längere Zeit im Auto. Diese Fahrten helfen mir sehr dabei, mich innerlich auf die Begegnungen vorzubereiten. Ich muss ehrlich sagen: Nach meinem ersten Einsatz war ich nassgeschwitzt. Wegen der Plastikkleidung - und natürlich hat man die Infektionsgefahr im Hinterkopf. Ich bin sehr dankbar, dass mir beim Ausziehen der Schutzkleidung jemand vom Klinikpersonal zur Seite steht - denn dann ist die Infektionsgefahr am höchsten.

Corona-Pandemie: Pfarrer Franz Eisenmann spendet Patienten die Krankensalbung.

Pfarrer Franz Eisenmann spendet Patienten die Krankensalbung.

(Foto: Privat)

Von den Patienten und den Angehörigen erlebe ich große Dankbarkeit. Einmal habe ich einen Mann besucht, der seit Jahrzehnten als Mesner tätig ist. Er lag isoliert auf der Station und dachte, er muss jetzt sterben, ohne noch einmal die Kommunion empfangen zu haben. Als er mich sah, hat er angefangen zu weinen. Genau dafür bin ich Priester geworden. Um den Menschen zu zeigen: Ihr seid nicht allein, Gott ist überall. Auch auf der Covid-Station. Annette Zoch

Marco Todte, leitender Flugbegleiter

Ich weiß noch genau, als im März letzten Jahres die Mail der Kabinenleitung kam: Ab morgen stellen wir die Flüge nach China ein. Da wusste ich: Es wird ernst. Die Lufthansa ist ja durch alle möglichen Krisen geflogen, sogar nach Fukushima. Meine Lieblingsstrecke war immer auf dem Airbus A 380 nach Singapur. Mir gefällt das Nachtleben dort, oft ist die Crew gemeinsam losgezogen. Heute muss man nach der Landung in Zimmerquarantäne. Das fühlt sich an wie ein Luxusgefängnis.

Ich bin Purser, als Kabinenchef zuständig für die Arbeitseinteilung, den Service. Wir tragen Maske, genauso wie die Passagiere. Aber manche von denen setzen sich halt hin und essen eine Stunde lang Nüsse. Mir machen die Mutationen Sorgen. Ursprünglich konnten wir uns nach Rückkehr aus einem Risikogebiet kostenlos testen lassen. Inzwischen nur noch, wenn wir mindestens 72 Stunden vor Ort geblieben sind.

An Bord sind wir Ohren, Augen und Nase. Manchmal habe ich Angst, dass wir durch die Masken zu spät riechen, wenn im schlimmsten Fall etwas brennt. Und sei es nur, wenn auf dem Klo mal wieder einer raucht. Die Flüge sind längst nicht so voll wie sonst, 30, 40 Passagiere. Einmal, am Ostersonntag, waren es neun. Das war gespenstisch. Leere Flieger werden echt kalt, weil die Körperwärme der Fluggäste fehlt. Jeder Körper eine Hundert-Watt-Birne, sagt man.

Corona-Pandemie: Marco Todte sorgt sich im Flugzeug wegen der Virusmutanten.

Marco Todte sorgt sich im Flugzeug wegen der Virusmutanten.

(Foto: Privat)

Seit der ersten Welle sind wir in Kurzarbeit und kriegen oft erst am Abend vorher Bescheid, wo die Reise hingeht. Ich bin noch zweimal im Monat unterwegs, wenn es hochkommt. Früher konnten wir Wünsche angeben. Ich habe es immer hingekriegt, mal einen Tag lang irgendwo am Strand zu liegen, Abu Dhabi, Dubai. Wenn ich mich im Spiegel angucke: So blass war ich die letzten zehn Jahre nicht mehr. Es ist seltsam, so viel zu Hause zu sein. Ich habe mir noch einen Nebenjob bei Lieferando besorgt, nicht wegen des Geldes, sondern weil mir langweilig ist und der Sport fehlt. Zweimal die Woche fahre ich in Stuttgart Essen aus. Ich mag es, wenn nachts niemand auf der Straße ist, ich mit dem Fahrrad nicht so sehr aufpassen muss. Aber die Welt ist schon sehr klein geworden. Ulrike Nimz

Annika Eberhardt, Sozialpädagogin in der Familienhilfe

Ich betreue zurzeit sechs Familien und zwei Jugendliche in ihren persönlichen Belangen. Das reicht von Erziehungsfragen über Behördenanträge und Bewerbungen bis zur Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützung bei Schulproblemen. Zum Beispiel, wenn ein Kind an ADHS oder Autismus leidet.

Meine Arbeit steht und fällt mit der engen Beziehung, dem direkten Kontakt. Da geht kein Home-Office. Ich besuche die Familien meist zweimal in der Woche, jeweils zwei Stunden. Dann tauschen wir uns intensiv aus und suchen nach Lösungen, ob für Geldsorgen oder Familienkonflikte. Angst habe ich null. Ich selbst trage eine FFP2-Maske, aber ich komme da nicht an und sage zu den Familien: Händewaschen, Maske auf und alle 15 Minuten lüften. Das ist ja ihr Zuhause. Wenn mir die Einjährige auf den Schoß springen will, weise ich sie nicht ab. Meine privaten Kontakte habe ich aber stark eingeschränkt, da bin ich strikt. Ich will niemanden gefährden.

Corona-Pandemie: Annika Eberhardt steht zu ihren Familien in engem Kontakt.

Annika Eberhardt steht zu ihren Familien in engem Kontakt.

Im ersten Lockdown war ich täglich sechs Stunden mit Klienten spazieren. Die Arbeit war völlig verändert, nicht die normalen Alltagsthemen wie Kindererziehung und Kitakosten, sondern: Welche Regeln gelten diese Woche? Der Spielplatz ist geschlossen, was mache ich mit den Kindern? Wie motiviere ich mich für das Homeschooling? Wir haben Newsletter für unsere Familien erstellt, mit Bastelideen, Rezepten, Meditationstipps und Texten, die Mut machen. Damit sie nicht in ein Loch fallen. Die positiven Dinge sehen, nach vorne schauen und trotz Problemen an die Selbstfürsorge denken - ich habe das Gefühl, es hat meine Klienten wie auch mich super bestärkt, dass wir diese Lektion sehr intensiv lernen durften. Auf die harte Tour, aber nun profitieren wir davon: Okay, jetzt ist halt noch mal Lockdown, aber wir können damit umgehen. Selbst in einer dritten Welle würde ich Wege finden, meine Klienten persönlich zu sehen, notfalls mit Campingstuhl vor ihrem Fenster. Susanne Klein

Doris Reinhardt, Fachärztin für Allgemeinmedizin

Ich bin Pandemiebeauftragte der Kassenärztlichen Vereinigung im Ortenaukreis und gehöre dort dem Krisenstab an. Meine Aufgabe ist es, eine medizinische Versorgungsstruktur aufzubauen und sie immer wieder dem Bedarf anzupassen. Wir haben ambulante Anlaufstellen für Covid-Verdachtsfälle geschaffen, um die Kliniken zu entlasten, etwa das Corona-Mobil, das Hausbesuche übernehmen kann, und zwei Fieberambulanzen, die kurzfristig öffneten, als viele Praxen über Weihnachten geschlossen hatten.

In all diesen Einrichtungen arbeiten Ärzte, die sich freiwillig zur Verfügung stellen. Als wir im März und April noch wenig Testkapazitäten und Schutzausrüstung hatten, haben einzelne Praxen für die Kollegen Patienten untersucht und getestet. Im Sommer hatten wir dann ein flächendeckendes System mit Corona-Schwerpunktpraxen etabliert. Ich habe selbst auch so eine Praxis gegründet - in einem leer stehenden Pfarrhaus, das mir die Gemeinde zur Verfügung stellt. Dort mache ich Infektsprechstunden, damit die Patienten in unserer Gemeinschaftspraxis und anderen Hausarztpraxen nicht mit Verdachtsfällen in Kontakt kommen.

Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben sind gerade fließend. Ich mache mir Prioritätenlisten, die sich manchmal schon morgens ändern, wenn zum Beispiel das Gesundheitsamt dringend einen Flächentest in einer Flüchtlingsunterkunft braucht. Weil bei unklaren Infektionslagen rasches Testen wichtig ist, bin ich auch mal am Wochenende in Pflegeheimen unterwegs.

Vor einer Covid-Infektion hatte ich zu keinem Zeitpunkt Angst. Die Pandemie fühlt sich jetzt anders an als am Anfang. Wir sind sicherer im Umgang mit dem Virus, wir haben Schutzausrüstung, sind geschulter in den Untersuchungsabläufen. Jetzt hoffe ich, dass wir mit den Impfungen schnell vorankommen und uns die Mutationen keinen Strich durch die Rechnung machen. Claudia Henzler

Claudia Köhler, Asylhelferin

"Du bist die Einzige, die keine Angst vor uns hat", sagen die Geflüchteten zu mir. "Die anderen behandeln uns wie Aussätzige." Die riesige Erstaufnahmeeinrichtung in Bamberg, eine ehemalige US-Kaserne, ist seit Corona kaum noch für Besucher zugänglich. Die Bewohner haben das Gefühl, dass man sie für gefährlicher als andere Menschen hält. Ich selbst fahre weiter dorthin und treffe sie draußen. Wenn es kalt ist, setzten wir uns in mein Auto.

Ich leite das Farafina-Institut, das die Situation afrikanisch-stämmiger Menschen in Europa erforscht. Das hat sich rumgesprochen, darum kommen vor allem afrikanische Geflüchtete zu mir. Es sind alles Überlebende, die die Wüste und das Mittelmeer hinter sich haben, andere Menschen haben sterben sehen. Wenn sie hier ankommen, denken sie, sie haben es geschafft. Dabei sind ihre Chancen auf Asyl oft schlecht. Es ist schrecklich ernüchternd, wenn sie sich in so einem Lager wiederfinden und erfahren, dass sie gar nichts dürfen, weder Deutsch lernen noch arbeiten. Ein Mann aus Eritrea hatte einen Uni-Platz ergattert, hätte dafür aber umziehen müssen. Das haben die Behörden abgelehnt.

Corona-Pandemie: Claudia Köhler kritisiert die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern.

Claudia Köhler kritisiert die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern.

(Foto: Privat)

Jeder neue Ausbruch verunsichert die Bewohner. Gerade erst hatten wir mehr als 55 Infizierte, da mussten in einer katastrophalen Räumaktion über Nacht zwei Gebäude für die Infizierten und alle Kontaktpersonen freigemacht werden. Dann kommt da ein Bauzaun drum und niemand darf mehr rein außer Security und ein bis zwei Mal am Tag der medizinische Dienst. Essen wird über den Zaun gereicht, die Menschen stehen dicht gedrängt. In den Quarantäne-Häusern herrscht ziemliche Verzweiflung, hat man mir erzählt. Es gibt nur kaltes Essen, zu wenig Putzmittel, kein Internet. Dazu die Angst vor Ansteckung, viele müssen sich ein Zimmer teilen. Die Bewohner trauen dem System nicht mehr.

Corona zeigt überdeutlich, wie sehr die Unterbringung in Lagern menschlichen Bedürfnissen widerspricht. Sie fördert Krankheiten - die Ausbreitung des Virus, aber auch sonst. Die Isolation von der Mehrheitsgesellschaft, der Zwang zur Untätigkeit, das ist schlimm. In der Pandemie ist es noch schlimmer. Nina von Hardenberg

Anne Peter, Sängerin und Musikerin

Straßenmusik ist nicht mit dem Auftritt auf der Bühne zu vergleichen. Dir hören Leute zu, die das sonst wahrscheinlich nicht tun würden. Ein kleiner Junge hat mal zu mir gesagt: "Du singst wie eine Meerjungfrau." Das fand ich schön.

Ich stehe auf der Bühne, seit ich Teenager bin. Mit 16 habe ich das erste Mal einen Chor geleitet, im Erzgebirge, wo ich aufgewachsen bin. Nach Hamburg bin ich gegangen, um Architektur zu studieren. Später habe ich mich an der Hamburg School of Music zur Sängerin ausbilden lassen. Schon damals habe ich mich mit Straßenmusik über Wasser gehalten.

Die Eventbranche hat es während der ersten Welle förmlich niedergemäht. Jeden Tag flog eine Summe zum Fenster raus. Das war so niederschmetternd, anfangs habe ich das verdrängt. Als Selbständige war ich schon öfter im Überlebensmodus, bin gut darin, mir neue Betätigungsfelder zu suchen. Zu Beginn der Pandemie habe ich musikalische Geburtstagsgrüße überbracht. Die Leute konnten mich für Minikonzerte buchen, schickten mir eine Adresse und ich habe mich unter dem Balkon, dem Wohnzimmerfenster oder vor der Haustür platziert. Allein im April und Mai konnte ich so zwanzig kleine Konzerte spielen. Normalerweise mache ich musikalische Früherziehung in Kitas und Grundschulen, leite einen Chor in Neumünster. Das fällt jetzt alles weg. Ich habe drei Schülerinnen am Klavier, zu denen gehe ich auch nach Hause, mit Maske natürlich. Die Kinder sollen zu all dem Homeschooling nicht noch eine weitere Stunde vor dem Computer hocken.

Corona-Pandemie: Musikerin Anne Peter singt auf der Straße, um finanziell über die Runden zu kommen.

Musikerin Anne Peter singt auf der Straße, um finanziell über die Runden zu kommen.

(Foto: Anna Wydra)

Ich habe viel Unterstützung von Freunden, Fans und Wegbegleitern. Allein mit staatlicher Unterstützung würde ich nicht über die Runden kommen. Auch auf der Straße ist die Solidarität manchmal unerwartet groß. Einmal hat mich ein Kinderarzt aus Münster zum Musical "König der Löwen" eingeladen, weil er eine Karte übrig hatte. In Berlin bin ich auf einen jungen Mann getroffen, dem der Schlafsack geklaut worden war. Ich habe dann einfach für ihn eine halbe Stunde gespielt und ihm die zwanzig Euro überlassen. Seit Corona habe ich das Gefühl, die Leute nehmen meine Musik dankbarer an. Sie lächeln, manche stimmen mit ein. Man merkt, den Menschen fehlt etwas. Ulrike Nimz

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