Pandemie:Scholz gibt das Signal zum Öffnen

Bundesrat

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigt für kommende Woche erste Lockerungsbeschlüsse an.

(Foto: dpa)

Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei in Sicht, sagt der Bundeskanzler. Erste Lockerungen könnten bald kommen. Derweil versucht die SPD, die Impfpflicht zu retten.

Von Cerstin Gammelin, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Er hat die jahrzehntelange politische Erfahrung. Er weiß, was die FDP will, die Grünen und seine eigene Partei, die SPD. Er hat wissenschaftliche Gutachten und die Sehnsucht der Leute abgewägt. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz sich also am Freitag im Bundesrat hingestellt und für kommende Woche erste Lockerungsbeschlüsse angekündigt hat, lässt sich das als das lang erwartete Signal aus dem Kanzleramt verstehen: Es geht los, es wird gelockert.

Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei "in Sicht", sagte Scholz, das erlaube Bund und Ländern bei ihrer für kommende Woche geplanten Schaltkonferenz, "einen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen". Am Mittwoch treffen sich die Länderchefs planmäßig virtuell im Kanzleramt, um über die Corona-Lage zu beraten.

Mit der Ankündigung von Lockerungen geht Scholz auch auf Politiker aus der Ampelkoalition zu, die gefordert hatten, die nächste Videokonferenz müsse den Weg aus der Pandemie konkret machen. Was genau der erste Öffnungsschritt sein könnte - entfallen die strengen Regeln im Einzelhandel? -, das sagte er nicht. Nicht alle Restriktionen sollen auf einmal fallen. "Wir wollen unsere Erfolge jetzt nicht aufs Spiel setzen."

Mit der vagen Ankündigung riskiert Scholz allerdings, dass in den Tagen bis zur Schaltkonferenz das passieren könnte, was Amtsvorgängerin Angela Merkel einst als "Öffnungsdiskussionsorgien" kritisiert hatte. Unter "Lockerung" verstehen die Ampelpartner ja derzeit Unterschiedliches. FDP-Fraktionschef Christian Dürr dringt darauf, dass zum 20. März alle Maßnahmen beendet werden - wie es das Infektionsschutzgesetz bislang vorsieht. Britta Haßelmann, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, fordert eine Verlängerung über dieses Datum hinaus.

Die Öffnungen dürften den Kanzler bei einem politischen Vorzeigeprojekt weiter in die Bredouille bringen: der allgemeinen Impfpflicht. Je weiter sich Deutschland aus der Omikron-Welle herausbewegt, je mehr Freiheiten zurückkommen, desto schwieriger dürfte es werden, die Leute noch vom Nutzen einer Impfpflicht zu überzeugen.

Im Bundesrat hat Scholz die generelle Impfpflicht überraschend nur kurz gestreift. Und darauf verzichtet, die Durchsetzung der Impfpflicht in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen in den Ländern offensiv einzufordern - obwohl er die Ministerpräsidenten des Saarlandes und Bayerns, die den verpflichtenden Piks ausgesetzt haben, direkt hätte ansprechen können. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag Einwände gegen das bereits geltende Gesetz abgewiesen. Der Kanzler begnügte sich mit der Ermahnung, dass der Schutz von Kranken und Alten "weiterhin höchste Priorität für uns haben" müsse. Nach Basta hörte sich das nicht an.

Das Gesetz zur allgemeinen Impfpflicht verzögert sich seit Wochen. Das Ampelbündnis ist in der Frage nicht geschlossen. Mit einer Debatte im Parlament, bei der jeder unberührt von Fraktionszugehörigkeit seine Position vertreten kann, wollte Scholz den Konflikt um die Impfpflicht befrieden. Er hatte von einer "Sternstunde des Parlaments" gesprochen. Die Anträge sollten kommende Woche in den Bundestag kommen. Die Debatte wurde jedoch verschoben, weil nicht alle Anträge fertig sind. Es soll einen Antrag für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren geben, einen für Ältere sowie einen, bei dem die Impfpflicht erst bei Bedarf scharfgestellt wird - und einen dagegen.

In der SPD wächst allerdings die Sorge, dass am Ende im Bundestag keiner der Entwürfe von einer breiten Mehrheit getragen wird, sodass es einer Impfpflicht - so sie denn kommt - vom ersten Moment an am politischen Rückhalt fehlt.

Dreyer fordert Zusammenarbeit der Impfpflicht-Befürworter

Nur wenige Stunden später wagt Malu Dreyer, einflussreiche Sozialdemokratin und Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, einen bemerkenswerten Vorstoß. Sie ruft alle Befürworter einer Impfpflicht zur Zusammenarbeit auf. Streng genommen lassen sich auch die Oppositionspolitiker von CDU und CSU dazuzählen. Die stellen zwar am Freitag das mit Abstand schwächste Modell zur Debatte - eine Impfpflicht auf Vorrat, quasi für den Pandemie-Notfall, aber immerhin.

Dreyer sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es wäre sicherlich gut, wenn sich all jene, die für eine Impfpflicht sind, hinter einem der Anträge dafür versammeln. Die Einführung einer Impfpflicht ist so einschneidend, dass wir dafür eine große Mehrheit im Bundestag haben sollten." Auch wenn sie selbst für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 kämpft, geht sie nicht davon aus, dass das der Antrag sein muss, der in der SPD große Unterstützung findet. Sollte ihre Idee bei den Mitstreitern für eine Impfpflicht Rückhalt finden, dürfte weiter verhandelt werden.

Das Ziel ist erkennbar: Es soll der verpflichtende Piks beschlossen werden, bei den Vorgaben ist jetzt Kompromissbereitschaft gefragt. Der nächste Winter kommt, sicher auch die nächste Virusvariante. Die SPD hat einen Rettungsversuch für ein Projekt gestartet, dem die Zeit davon läuft.

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