Corona-Pandemie:Experten: Corona-Maßnahmen waren nur teilweise wirksam

Lockdowns seien nur zu Beginn einer Pandemie sinnvoll, eine Maskenpflicht nicht generell zu empfehlen - das schreibt die Sachverständigenkommission des Bundes. Sie übt auch deutliche Kritik am Robert-Koch-Institut. Die Bundesregierung verhandelt bereits über neue Corona-Regeln ab Herbst.

Von Christina Berndt und Kassian Stroh

Welche Corona-Schutzmaßnahmen haben wie viel gebracht? Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Pandemie kommt der von Bundesregierung und Bundestag eingesetzte Sachverständigenausschuss in dieser Frage zu keinem eindeutigen Ergebnis. Lockdowns etwa seien zu Beginn einer Pandemie "sinnvoll", um die Ausbreitung des Erregers einzudämmen; dieser Effekt verliere sich aber schnell, heißt es im Abschlussbericht, den das Gremium am Mittag vorstellt und der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Ob Schulschließungen wirksam seien, sei offen. Der zunächst hohe Nutzen von 2-G- und 3-G-Zugangsregeln lasse bei den derzeitigen Virusvarianten mit der Zeit deutlich nach. Auch eine Maskenpflicht empfehlen die Experten nicht generell - in Innenräumen seien Masken aber sehr wirksam.

Das 18-köpfige Gremium war eingesetzt worden, um die Corona-Maßnahmen zu evaluieren und damit der Politik auch Empfehlungen für die Zukunft an die Hand zu geben. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Belang, da die bisherigen Corona-Schutzmaßnahmen Ende September auslaufen. Vor allem die FDP bremst in der Berliner Ampelkoalition und hat stets darauf gepocht, zuerst einmal die Empfehlungen der Sachverständigenkommission abzuwarten, bevor man über weitere Corona-Maßnahmen rede. Deren Arbeit aber war umstritten, der bekannte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité etwa verließ im April die Runde.

Aus der Zusammenfassung des Berichts ergibt sich nun weder eine klare Bestätigung der deutschen Corona-Politik, die über lange Zeit schwere Einschränkungen von Grundrechten nach sich zog, noch eine nachträgliche Ablehnung. "Die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen", heißt es im Bericht beispielsweise - auch weil man den Effekt von einzelnen Maßnahmen hier nicht prüfen könne. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, forderte von der Politik, die "Erreichbarkeit" von Kindern etwa auf digitalen Wegen zu verbessern. Es brauche auch "Digitalcoaches" und einen "Rechtsanspruch auf ein Mindestmaß an sozialen Kontakten".

Zu den Zugangsbeschränkungen für Nichtgeimpfte etwa zu Veranstaltungen oder in Geschäften schreiben die Experten: Der Effekt von 2-G- oder 3-G-Maßnahmen sei in den in den ersten Wochen nach der Booster-Impfung oder der Genesung hoch. "Der Schutz vor einer Infektion lässt mit der Zeit jedoch deutlich nach." Deshalb empfehlen sie: Sollte sich die Politik wieder einmal zu solchen Zugangsbeschränkungen gezwungen sehen, so solle sie bei den derzeitigen Varianten und Impfstoffen in jedem Fall eine Testpflicht auch für Geimpfte einführen. Die Hoffnung, dass durch solche Vorschriften viele Menschen zu einer Schutzimpfung motiviert würden, habe sich in jedem Fall nicht erfüllt, sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck.

Dem RKI wirft der Bericht vor, zu wenig Daten erhoben zu haben

Auch die Maskenpflicht beurteilen die Experten differenziert: "Masken wirken, das muss man deutlich sagen", sagte Streeck bei der Präsentation des Gutachtens. Eine Maskenpflicht könne also "ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung" sein. Entscheidend sei aber, dass Masken richtig getragen würden - und das müsse in der Öffentlichkeit viel deutlicher betont werden als bisher geschehen. "Eine schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt." Ob die Schutzwirkung von FFP2-Masken gegenüber medizinischen Masken (OP-Masken) wirklich besser sei, könne man nicht sagen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, er habe am Freitag bereits eineinhalb Stunden mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über ein neues Infektionsschutzgesetz verhandelt, um für eine "schwere Herbstwelle" vorbereitet zu sein. Details oder Forderungen nannte er nicht, sagte aber, es gehe um die Fragen, "wo werden Masken zu tragen sein" oder "Zugangsbeschränkungen notwendig sein". Bei den Verhandlungen werde der Abschlussbericht berücksichtigt werden, versprach Lauterbach. Er finde darin "auch Bestätigung für vieles, was wir getan haben". Buschmann kündigte an, noch im Juli einen Kompromiss zu finden. "Die Maske wird natürlich auch eine Rolle spielen." Lockdowns, Ausgangssperren oder Schulschließungen schloss er aus.

In ihrem Bericht beklagen die Sachverständigen, dass eine ausreichende und stringente Datenerhebung durch Bundesbehörden gefehlt habe. "Wenn man eine Maßnahme verhängt, muss gleichzeitig eine Studie aufgesetzt werden", sagte die Virologin Helga Rübsamen-Schaeff, die stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, während der Pressekonferenz. Im Bericht werfen die Sachverständigen dem Robert-Koch-Institut (RKI) vor, nicht genug für eine entsprechende Datengrundlage getan zu haben: "Diese Institution stünde bei der Lösung des identifizierten Daten- und Studienproblems auch selbst in der Pflicht", schreiben sie. "Welche konkreten Anforderungen und Verpflichtungen daraus erwachsen und wie die Einrichtung besser dazu befähigt werden kann und soll, um dieser Verantwortung nach der aktuellen Krise besser gerecht werden zu können, sollte offen und zeitnah diskutiert werden." Auch Gesundheitsminister Lauterbach sagte, "wir brauchen weitere Daten und ein Shooting bei der Digitalisierung". Die Forderung von FDP-Vize Wolfgang Kubicki, RKI-Präsident Lothar Wieler zu entlassen, lehnte er ab: Dieser habe seine Arbeit immer gut gemacht.

Nicht nur wegen fehlender Daten habe der Abschlussbericht nur eine eingeschränkte Aussagekraft, wie die Kommission schreibt. Außerdem habe man zu wenig Zeit gehabt und zu wenig Personal bekommen, um eine "umfassende Evaluierung" vornehmen zu können.

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