Süddeutsche Zeitung

Corona-Lockerungen:Welches Bundesland welche Position vertritt

Viele Ministerpräsidenten wollen ihren Bürgern nun sonnige Aussichten auf eine Art Normalität eröffnen. Von einem "Überbietungs­wettbewerb" ist daher schon die Rede.

Von SZ-Autoren

Das Wort zum Dienstag sprach Jens Spahn. Der Gesundheitsminister sagte, er verstehe die Debatte, aber es sei genauso wichtig, "dass wir auch Verlässlichkeit und Vertrauen geben durch klare Kriterien und ein gemeinsames Vorgehen". Und so, fuhr der CDU-Politiker im Deutschlandfunk fort, "dass so wenige Tage vor einer Runde der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, der Bundesregierung, allzu viele unterschiedliche Signale durch Entscheidungen bereits gesetzt werden, das ist natürlich nicht das, was zu einem einheitlichen Vorgehen beiträgt". Die Schaltkonferenz findet an diesem Mittwoch statt, am Tag zuvor preschten erneut einige Länderchefs mit Öffnungsplänen vor. Jeder von ihnen hat eigene Motive.

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) brachte es auf folgenden Nenner: Er beschwerte sich über einen "Geschwindigkeits- und Überbietungswettbewerb" der Bundesländer. Ein (kursorischer) Überblick.

Nordrhein-Westfalen

NRW-Landeschef Armin Laschet bremst sich selbst. Er weiß ums sein Image als "Lockerer", als Anwalt des eiligen Ausstiegs aus dem Corona-Lockdown. Also hütet sich der CDU-Politiker bis Mittwoch, irgendwelche Zieldaten für weitere Öffnungen etwa von Gaststätten, Hotels oder Sportanlagen zu nennen. "Wenn ich Ihnen jetzt ein Datum nenne, heißt es gleich wieder - der Laschet prescht wieder vor," bat er am Montag im WDR-Hörfunk um Verständnis für seine eher untypische Zurückhaltung. Nichts vor Mittwoch.

Dass dann am Dienstag der Kollege aus Bayern mal wieder im Alleingang seinen Kurswechsel vorab verkündet, das kennen sie in Düsseldorf schon. Feixend registriert man in der Staatskanzlei am Rhein, dass Markus Söder nun endgültig auf Laschet-Kurs eingeschwenkt sei: Kontaktverbote statt Ausgangsbeschränkungen, diese Linie hatte NRW vor Wochen vorgegeben.

Hinter den Kulissen hat die schwarz-gelbe NRW-Regierung sehr wohl Druck gemacht in Berlin. Mehr noch als Laschet drückt die FDP aufs Tempo etwa bei der Öffnung von Schulen und Kitas (die zuständigen Minister sind Liberale). Die Pläne samt Daten liegen fertig in den ministeriellen Schubladen. Und der Ministerpräsident selbst machte sich auf dem Weg zu seinem Ziel einer "verantwortungsvollen Normalität" dafür stark, schon an diesem Mittwoch auch die Corona-Regeln für den Tourismus zu lockern (Kanzlerin Merkel hätte das gern vertagt). Die Branche müsse für Pfingsten planen können, glaubt Laschet: "Daher sollten wir nun auch Gastronomie und Tourismus Perspektiven aufzeigen, wie es unter welchen Bedingungen wann wieder schrittweise weitergehen kann." Dabei verfolgt NRW eine ähnliche Linie wie Niedersachsen - mit dem Unterschied, dass Laschet diese eben nicht vorab öffentlich preisgab, sondern brav für sich behielt.

Niedersachsen

Regierungschef Stephan Weil hätte man nicht zwingend in der Spitzengruppe der Corona-Öffner vermutet. Der SPD-Politiker ist ja allgemein ein bedächtiger Mensch - er verzichtete sogar darauf, für den SPD-Vorsitz anzutreten, was sein Profil nicht gestärkt hat. Beim Reglement im Zuge der Pandemie war sein rot-schwarzes Kabinett bisher weitgehend auf der Linie der Bundeskanzlerin, und Weil hatte sich nicht ins Bild gedrängt wie die Kollegen aus Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Umso mehr überrascht das, was Weil nun den "niedersächsischen Weg in einen neuen Alltag mit Corona" nennt.

In fünf Stufen sollen die Regeln zwischen ostfriesischen Inseln und Harz gelockert werden. Am kommenden Montag dürfen dort zum Beispiel Restaurants, Gaststätten, Cafés und Biergärten mit der Hälfte der üblichen Plätze drinnen und draußen wieder aufmachen. Auch der Tourismus soll wieder in Schwung kommen, da herrscht zwischen den Bundesländern vor Pfingsten und Sommer offenkundige Konkurrenz. Außerdem wird unter ande-rem die Betreuung von Kita-Kindern er-weitert, und Klinken können geplante Operationen durchführen, wenn genügend Beatmungsplätze reserviert bleiben. Die Zeit sei reif, so Weil, das Konzept solle "den Menschen in unserem Land einigermaßen verlässliche Perspektiven für die nächsten Wochen geben."

Bayern

Ministerpräsident Markus Söder hat die Kritik, es sei nun ein Überbietungswettbewerb im Gange, zurückgewiesen. "Wir machen keine plumpe Öffnung. Das was wir machen, ist ja ein Modell", sagte der CSU-Chef am Dienstag nach der Kabinettssitzung in München, bei der weitreichende Lockerungen vereinbart wurden. Bisher habe es in allen Bundesländern immer viel Stückwerk bei den Lockerungen gegeben, "eine große Strategie dahinter war nicht erkennbar. Daher haben wir uns entschieden, einen langfristigen, in sich geschlossenen Plan vorzulegen."

Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Staatsregierung hat vergangene Woche ein Video von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) veröffentlicht, in dem er Kindern die Sache mit Corona erklärt: "Wir müssen sehr vorsichtig sein", sagt er darin. "Wenn wir alles gleich wieder aufmachen, dann kommt das Virus zurück - und die ganze Mühe war umsonst." Bei diesem Kurs bleibt Kretschmann. Er würde gerne nach jedem Lockerungsschritt zehn bis vierzehn Tage warten, um zu sehen, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Bei einer Pressekonferenz am Dienstag verweigert er sich ausdrücklich erneut der Forderung nach einem Zeitplan für weitere Öffnungsschritte, wie ihn Bayern zur gleichen Zeit vorgelegt hat. Zu den Kindertagesstätten will Kretschmann erst dann etwas sagen, wenn eine Studie über das Infektionspotenzial von Kindern vorliegt, voraussichtlich Ende nächster Woche. Kretschmann zeigt Verständnis für ein gewisses Grad an Abweichungen zwischen den Bundesländern. Wichtig sei aber, sagte er am Dienstag, dass man bei den Kontaktbeschränkungen einheitlich bleibe. Sachsen-Anhalts Alleingang in dieser Frage kritisierte er. Bis zum Sommer will die Landesregierung erreichen, dass sie nur noch lokal in den Gebieten, in denen Infektionen auftreten, mit Beschränkungen reagiert.

Hessen

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ist unter den Länderchefs Angela Merkels treueste Stütze. Er, der Dienstälteste in der Runde, trat von Anfang an vehement für ein gemeinsames Vorgehen der Länder ein, im März, als in Bayern Markus Söder und im Saarland Tobias Hans mit strengen Kontaktbeschränkungen vorpreschten, genauso wie jetzt, wo es um die Lockerungen geht. Öffentlich hält sich Bouffier in der Öffnungsdebatte zurück, soweit es geht. Er mahnt: "Wir haben die Pandemie noch lange nicht überstanden". Den Plan der Landesregierung, nach Ostern die Viertklässler wieder in die Schule zu schicken, stoppte der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Wirtschaftlich leidet vor allem das Rhein-Main-Gebiet als weltweiter Knotenpunkt des Waren- und Personenverkehrs. Doch obwohl das Land in der Mitte Deutschlands in Frankfurt den größten Flughafen und den größten Bahnhof des Landes hat, ist es bislang einigermaßen glimpflich durch die Pandemie gekommen; am 5. Mai gab es 44 neue offiziell bestätigte Fälle; lediglich im Odenwaldkreis, der an Bayern und Baden-Württemberg grenzt, gibt es deutlich erhöhte Fallzahlen.

Rheinland-Pfalz

Malu Dreyer (SPD) tritt für einen gemeinsamen Rahmen der Länder bei der Pandemiebekämpfung ein, hält aber "eine stärkere Regionalisierung der Corona-Auflagen" für eine "besonnene Krisenbewältigungsstrategie", wie sie der Welt sagte; die Länder könnten dann "mit unterschiedlichem Tempo, abhängig vom regionalen Verlauf des Infektionsgeschehens, vorangehen". Wichtig sei, dass nun Eltern mit Kindern und Gastronomen eine klare Perspektive bekämen. Das Weinland Rheinland-Pfalz lebt auch vom Tourismus und von der Gastronomie. Die Infektionszahlen sind in Rheinland-Pfalz stark zurückgegangen, in einigen Städten und Landkreisen sind in den vergangenen 14 Tagen keine neu Erkrankten gemeldet worden.

Saarland

Im März sah es so aus, als könnte das Saarland zu einem Hotspot der Pandemie werden wie Oberbayern oder der nordrhein-westfälische Kreis Heinsberg - die Zahl der an Covid-19-Erkrankten stieg rapide. Fast zeitgleich mit Markus Söder verkündete Ministerpräsident Tobias Hans die mit Bayern strengsten Kontaktbeschränkungsregeln in Deutschland - nur aus triftigem Grund durften die Saarländerinnen und Saarländer das Haus verlassen. Der Verfassungsgerichtshof des Landes befand dies als rechtswidrig - auch weil die Infektionszahlen stark zurückgegangen seien, sei diese Beschränkung der persönlichen Freiheit nicht mehr begründbar. Im Saarland wurden an diesem Dienstag zehn neue Fälle gemeldet, am Tag zuvor waren es vier. Tobias Hans, der nach wie vor zu großer Vorsicht im Umgang mit der Pandemie mahnt, setzt sich nun für die allmähliche Öffnung der Grenzübergänge nach Frankreich ein; ab dem 11. Mai soll es ein Konzept geben.

Berlin und Brandenburg

Wenn es um das Vorpreschen einzelner Bundesländer geht, ist die Haltung des Berliner Senats ziemlich klar: "Alleingänge einzelner Bundesländer sind nicht dienlich", sagte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Berlin bleibt damit bei der Linie, die weitestgehend seit Beginn der Pandemie gilt, auf gemeinsame Regelungen der Ministerpräsidenten zu drängen. Angesichts der Voreile des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder im März wurde Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) häufig als entscheidungsschwach kritisiert. Die meisten Berliner stützen jedoch den bedachtsamen Kurs des Senats. Ähnlich ist auch die Situation in Brandenburg. Nur die enge Abstimmung zwischen beiden Ländern funktioniert trotz aller Beteuerungen eher bruchstückhaft. Bei den Lockerungen für die Gastronomie will man sich nun wirklich abstimmen. Brandenburgs Innenminister ist gleich mal vorgeprescht und nennt Mitte Mai als möglichen Termin für eine Wiedereröffnung.

Thüringen

In Thüringen mahnt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zur Zurückhaltung, in einigen Regionen ist das Virus noch vergleichsweise aktiv: Der Landkreis Greiz vermeldete am Dienstag 22 Neuinfektionen in 24 Stunden. Doch die CDU macht Druck: "Thüringen sollte gemeinsam mit Niedersachen vorangehen und Gastronomiebetriebe schon ab kommenden Montag schrittweise und unter Auflagen öffnen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer CDU-Landtagsfraktion, Andreas Bühl. "Gerade angesichts der niedrigeren Infektionszahlen in Thüringen halte ich diese Öffnungsschritte unter klaren Auflagen nicht nur für verantwortbar, sondern auch notwendig, um nicht noch mehr Existenzen in der Tourismuswirtschaft zu gefährden, als dies bislang schon geschehen ist." Ramelow strebt eine "Synchronisation" mit den Nachbarländern Sachsen und Sachsen-Anhalt an, man stehe im engen Austausch miteinander.

Sachsen-Anhalt

Zuletzt hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mit einer Lockerung der Kontaktbeschränkungen für Aufsehen gesorgt: In Sachsen-Anhalt sind nun Treffen von bis zu fünf Personen erlaubt, die nicht in einem Haushalt leben. Auch eine einstündige Besuchszeit in Alten- und Pflegeheimen ist geplant. Haseloff betonte am Dienstag, dass es für Gastronomie, Tourismus und Kultur keine bundeseinheitlichen Regelungen geben könne. Das habe auch das Robert Koch-Institut bestätigt. Das Fallgeschehen in Sachsen-Anhalt sei derzeit sehr übersichtlich, gleichwohl wolle man das Errichte nicht gefährden. Ein "ständiges Rückkoppeln auf die aktuelle Situation" sei nötig, alle Maßnahmen würden in Abstimmung mit Ärzten und Wissenschaftlern getroffen.

Sachsen

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) verteidigte Haseloffs Entscheidung: Die Fallzahlen seien so gering, dass von einem Vorsprechen nicht die Rede sein könne, sagte Kretschmer dem Spiegel. "Mein Kollege Rainer Haseloff geht hier sehr bedächtig vor." Die Maßnahmen in den einzelnen Ländern müssten den regionalen Kontext widerspiegeln. Im Freistaat sei das Infektionsgeschehen mit etwa 20 bis 40 Neuinfektionen pro Tag vergleichsweise niedrig. "Wir werden in Sachsen auch über das Thema Kontaktbeschränkungen sprechen. Ich bin dafür, dass wir auch rasch Gastronomie auf Basis von Fakten wieder öffnen. Das gleiche gilt für Schulen und Kitas. Am Ende muss über den Zeitpunkt jedes Bundesland für sich entscheiden."

Mecklenburg-Vorpommern

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig war erst die Bremserin bei Ferien in Zeiten von Corona, für fremde Touristen ist ihr Bundesland noch geschlossen. Die SPD-Regierungschefin wollte zwischenzeitlich sogar einheimische Tagesgäste von den Stränden der Region fernhalten, ein Gericht ging dazwischen. Jetzt soll ab 25. Mai wieder jeder kommen dürfen und Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen bereits ab 18. Mai geöffnet werden. Alles rechtzeitig zu Pfingsten, da hatte es auch Frau Schwesig eiliger als Frau Merkel.

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SZ vom 06.05.2020
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