Mögliche Corona-Lockerungen:Merkel verteidigt die Wissenschaftler

Merkel Corona Länder Maßnahmen

Merkel bei der Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag.

(Foto: REUTERS)

In der Konferenz mit den Ministerpräsidenten gibt die Kanzlerin einem Parteikollegen deutlich Contra. Und auch danach macht sie klar: Es wird weiterhin in kleinen Schritten vorwärts gehen, damit man nicht später umdrehen muss.

Von Nico Fried, Berlin

Die Kanzlerin hat sich was vorgenommen. Als am Donnerstagnachmittag im Kanzleramt die Schalte zu den 16 Ministerpräsidenten steht, eröffnet sie die Sitzung mit einem Plädoyer zugunsten der Wissenschaftler. Sie wolle da mal eine Lanze brechen, sagt Angela Merkel nach Teilnehmerangaben, weil die Virologen gerade etwas in Verruf gerieten. Sie spricht niemanden namentlich an, aber Armin Laschet, der Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen könnte sich gemeint fühlen. Er hatte am vergangenen Sonntag in der Talkshow Anne Will mit Blick auf die epidemiologischen Kriterien der Wissenschaftler geklagt: "Wenn alle paar Tage die Meinung geändert wird, ist das auch für die Politik schwierig."

Gut drei Stunden später eröffnet Merkel auch die Pressekonferenz, indem sie die Corona-Epidemie eine Herausforderung nennt, für die es keine Vorlage gebe "und in der wir dank der Arbeit der Wissenschaftler jeden Tag dazulernen, aber eben auch lernen müssen". Und auch als sie später noch einmal nach der Rolle der Virologen bei der Beratung der Politik gefragt wird, antwortet die Kanzlerin: "Ich freue mich, dass Deutschland herausragende Wissenschaftler im Bereich der Virologie und der Epidemiologie hat, auf deren Stimme wir hören können." Deren Aufgabe sei es, immer wieder ihre neuesten Erkenntnisse öffentlich zu machen, auch wenn sich dann Ergebnisse von Studien widersprechen könnten. Viel schlimmer aber wäre aus Merkels Sicht, "wenn Wissenschaftler nicht das, was sie wissen, publizieren".

Die Kanzlerin leitet daraus aber auch ein grundsätzliches Prinzip für ihr politisches Vorgehen in der Corona-Krise ab: Wenn man etwas nicht genau wisse, könne man nicht einfach vom besten möglichen Fall ausgehen, nach dem Motto: "Wird schon gut gehen." Statt dessen gelte: "Wenn ich etwas nicht weiß, ist die Vorsicht und die Umsicht das Gebot, mit dem ich am wenigsten gefährde." Das prägt unzweifelhaft auch die Beschlüsse an diesem Tag, die sich am schnellsten so zusammenfassen lassen: Kinder dürfen wieder auf die Spielplätze, Gläubige wieder in ihre Gotteshäuser - beides allerdings unter Bedingungen, die nun noch von den Ländern festgelegt werden. Außerdem sollen Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Zoos und botanische Gärten, die in einzelnen Ländern schon geöffnet haben, jetzt ebenfalls unter Auflagen wieder bundesweit öffnen dürfen.

Wenn Merkel nach den Schalten mit den Länderchefs vor die Presse geht, weiß sie mit Ministerpräsident Markus Söder und Hamburgs erstem Bürgermeister Peter Tschentscher zwei an ihrer Seite, die ihren Kurs, die Beschränkungen des öffentlichen Lebens vorsichtig zu öffnen, voll mittragen. Söder beklagt an diesem Donnerstag gleich mehrfach manche Diskussionen in Deutschland: Im Moment würden zum Beispiel "nur die Fragen gestellt, welche schwierigen Folgen der Lockdown gehabt" habe. Er wolle die Gegenfrage stellen: "welche Folgen hätte es gegeben, hätten wir das nicht getan?" Söder findet auch Debatten, "wie lange jemand leben soll", unangebracht und gefährlich. Und er kritisiert auch die Diskussionen über Wissenschaftler, die ihre Meinung änderten, mit einem aus persönlicher Erfahrung reich gesättigten Verdikt: "Sogar Politiker sollen ab und an gestern was anderes sagen als heute, und insofern gibt's da auch keine Verteufelung."

Söder setzt kleine Spitzen gegen seine Kollegen

Der sozialdemokratische Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher ergänzt meist kurz und knapp. Keine zwei Minuten dauert sein Statement, die Aussage ist klar: Das Erreichte nicht gefährden. Markus Söder hingegen nutzt die Auftritte neben der Kanzlerin gerne für Co-Referate. Sein Eingangsstatement dauert mit mehr als zehn Minuten sogar deutlich länger als das Merkels, man könnte auch sagen: viel zu lang. Doch während er Merkel immer wieder charmiert ("Wie die Kanzlerin schon richtig sagte...", "sie ist die internationale Stimme der Vernunft"), was an ihr ohne sichtbare Reaktion abtropft, setzt Söder gegen die Kollegen gerne kleine Spitzen. "Geduld und Konsequenz zusammen sind der richtige Ratgeber", sagt er einmal. Das ist noch ein eher allgemeiner Hinweis auf unterschiedliche Meinungen zum Tempo der Lockerungen. Seine Forderung nach "Besonnenheit statt Lobbyismus" dürfte hingegen wieder gegen Laschet gerichtet sein, weil der sich zuletzt so intensiv für seine Möbelindustrie eingesetzt haben soll. Wobei Söder dann selbst beim Thema Sommerferien so unverhohlen für Bayern als Urlaubsland wirbt, dass die Kanzlerin sich bemüßigt sieht, auf "super Möglichkeiten" auch im Norden hinzuweisen.

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Die Frage nach den Ferien ist Teil der großen Frage: Wie geht es nun weiter? An diesem Donnerstag stand nur ein kleines Paket zur Debatte. Das soll in einer Woche anders sein. Bis zum 6. Mai sind die Folgen der Lockerungen bekannt, die am 15. April beschlossen worden waren, zum Beispiel die Öffnung einiger Geschäfte. Daraus sollen Konsequenzen für weitere Lockerungen gezogen werden. Zum Beispiel liegen mittlerweile Konzepte der Bildungs- und Familienminister von Bund und Ländern vor, wie die Schulen und auch die Kindertagesstätten allmählich wieder geöffnet werden könnten. Gemessen daran sei die Öffnung von Spielplätzen "Micky-Maus-Politik", soll Söder in der Schalte gesagt haben. Auch in der Pressekonferenz befindet er, wichtiger als Spielplätze seien Lösungen für Kitas und Schulen. Bei allem Verständnis für wirtschaftliche Probleme: "Die Familien machen uns die größten Sorgen", so Söder. Darüber soll nächste Woche genau so entschieden werden wie über die Öffnung von Sportplätzen - und natürlich die Fußball-Bundesliga. In einer weiteren Schalt-Konferenz, mutmaßlich zwei Wochen später, soll dann auch über Gastronomie und Tourismus gesprochen werden.

Für alle Ungeduldigen hat Angela Merkel an diesem Tag zwei Botschaften. Der Wirtschaft und auch den Menschen, die sich wieder nach mehr sozialen Kontakten sehnten, sei am besten geholfen, wenn man in kleinen Schritten vorangehe und "wir nicht wieder zurückgehen müssen". Dieser langsame Weg sei am Ende aus ihrer Sicht trotzdem der schnellste. Und sie erinnert daran, dass die Diskussion in Deutschland schon auf einem "komfortablen Niveau" ablaufe. In anderen europäischen Ländern, zum Beispiel Frankreich, bestehe noch "der totale Lockdown". Und dann kündigt sie nochmal an, "alles daran zu setzen, so weiterzumachen wie bisher". Und auf wen beruft sie sich auch an dieser Stelle? Genau: "Das sagen uns ja auch die Wissenschaftler."

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