Pandemie:Deutliche Kritik an den Corona-Beschlüssen

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Ende einer langen Nacht in Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel neben Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Kanzleramt. (Foto: Filip Singer/Getty Images)

Opposition, Wirtschaft, Religionsgemeinschaften, Lehrer - viele sind unzufrieden mit dem beschlossenen Oster-Lockdown. Wirtschaftsminister Altmaier plant weitere Hilfen für Unternehmen.

Von Michael Bauchmüller, Boris Herrmann und Paul Munzinger

Nach dem Beschluss, den Lockdown bis Mitte April zu verlängern und das öffentliche Leben über Ostern weitgehend herunterzufahren, steht die Corona-Politik von Bund und Ländern mehr denn je in der Kritik. Die Spitzen der Berliner Oppositionsparteien überboten sich am Dienstag in ihrer Empörung. FDP-Chef Christian Lindner attestierte der Runde eine "erschütternden Konzeptlosigkeit". Die Co-Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler, sagte: "Diese MPK-Sitzungen erscheinen handlungsunfähig bis zur Selbstblockade."

Erst nach nahezu zwölf Stunden hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs tief in der Nacht auf ein Papier einigen können, es war die bislang längste Ministerpräsidentenkonferenz der Pandemie-Krise. Am Ende stand der überraschende Beschluss einer "erweiterten Ruhezeit zu Ostern". Dafür werden der Gründonnerstag und der Karsamstag "zusätzlich einmalig als Ruhetage definiert" und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen, Ladenschließungen sowie einem Ansammlungsverbot vom 1. bis 5. April verbunden. Am Samstag soll der Lebensmitteleinzelhandel öffnen dürfen. Ziel von Bund und Ländern ist es, in dieser Zeit das exponentielle Wachstum der dritten Welle zu durchbrechen.

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) räumte ein, die Folgen seien für viele Betroffene "bitter". Doch schade eine heftige dritte Welle der Wirtschaft mehr als ein verschärfter Lockdown. Mit den Ländern und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wolle er Gespräche über weitere Hilfen führen, kündigte Altmaier an - "für Unternehmen, die besonders lange geschlossen sind". Details nannte er nicht.

Die Reaktionen aus der Wirtschaft auf den Oster-Lockdown changierten zwischen Unverständnis und Wut. Vonseiten des Deutschen Tourismusverbandes hieß es, es sei nicht mehr ernsthaft zu begründen, dass Reisen ans Mittelmeer möglich seien, Urlaub im Inland aber nicht. Der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, Stefan Genth, sagte, Bund und Länder agierten "nur noch im Tunnelmodus". Den Lebensmittelhandel mit seinen "nachweislich hervorragend funktionierenden" Hygienekonzepten symbolisch für einen Tag zuzumachen, führe zu erhöhtem Kundenandrang am vorhergehenden Mittwoch und dem folgenden Samstag.

Manch einer stellt deshalb schon die Frage: Geht jetzt das Klopapier-Horten wieder los? Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) versuchte, dem entgegen zu wirken: Hamsterkäufe vor Ostern seien "nicht erforderlich", sagte er dem Sender NTV. Mit der Öffnung der Supermärkte am Karsamstag seien Einkäufe weiterhin möglich.

Was über die Ostertage aber möglich sein wird, darüber wurde am Dienstag mitunter noch gerätselt. In ihrer Videokonferenz hatten Bund und Ländern etwa vereinbart, auf die Religionsgemeinschaften "mit der Bitte" zugehen, religiöse Versammlungen über Ostern nur virtuell abzuhalten. Davon zeigten sich die christlichen Kirchen und der Zentralrat der Juden irritiert. "Gottesdienste sind kein Beiwerk", teilte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, mit. Der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte der Funke Mediengruppe, man werde noch beraten, wie man mit der Bitte umgehe.

An Schulen und Kitas sollen die bestehenden Testungen weiter ausgebaut werden. So werden für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte dem Beschluss zufolge "baldmöglichst" zwei Tests pro Woche angestrebt. Weitere Regelungen für den Bildungsbereich, etwa zu der Frage, bei welcher Inzidenz Schulen in den Distanzunterricht wechseln sollen, finden sich dort nicht. Sie bleiben den Ländern überlassen, die dabei unterschiedlich verfahren. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) verteidigte die Fortsetzung dieses Kurses. "Nach Abwägung aller Aspekte ist es richtig, trotz der verschärften Infektionslage weiter grundsätzlich zu versuchen, an den Schulen Präsenzunterricht anzubieten", sagte sie der SZ. Die Ausweitung der Tests "sollte so rasch wie möglich erfolgen". Udo Beckmann, Chef der Bildungsgewerkschaft VBE, sagte dagegen, es mache ihn "fassungslos, wie die Entwicklung der Neuinfektionszahlen bei Kindern einfach ignoriert wird". Derzeit sei das Testen "nicht mal überall einmal in der Woche gegeben", auch das Impfen der Lehrkräfte komme nur schleppend voran.

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