Regionale Lockerungen:Aus Rot mach Blau

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Unbekümmert: Auf den Treppen vor der Basilika Sacré-Coeur in Paris sitzen in dieser Woche Hunderte Menschen - obwohl die Zahlen der Corona-Infektionen enorm steigen. (Foto: Gao Jing/imago images)

Anders als im vergangenen Frühjahr gibt es diesmal in Frankreich keinen klaren Fahrplan für die Rückkehr zum normalen Leben.

Von Nadia Pantel

Am 16. März fällt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine radikale Entscheidung. In den kommenden Wochen soll niemand mehr die Wohnung verlassen, es sei denn, dies ist unvermeidlich. Das war im vergangenen Frühjahr, als die erste Pandemiewelle über das Land hereinbrach.

Als unvermeidlich gelten damals Arztbesuche, der Lebensmitteleinkauf und ein kurzer täglicher Spaziergang, sonst kaum etwas. Dieser Zustand, das erste confinement, dauert 55 Tage lang an, und an seinem Ende stellte sich die Frage: Wie kommen wir da wieder raus? Die drastischen Ausgangsbeschränkungen galten für alle gleichermaßen und traten innerhalb von 24 Stunden in Kraft. Gelockert werden soll aber nun Schritt für Schritt. Frankreich verordnet sich dafür einen nach Farben strukturierten Fahrplan.

Am 29. April teilt der damalige Premierminister Édouard Philippe mit, wie die Lockerungsstrategie nach Etappen funktionieren soll. Vom 11. Mai an werden die ersten Einschränkungen wieder aufgehoben - allerdings Region für Region. In einer Art Ampelsystem ist festgelegt, wer lockern kann und wer nicht. In den folgenden Wochen wird in den abendlichen Nachrichten die Frankreichkarte grün, gelb, rot gefleckt angezeigt. Für die Färbung der Regionen und Départements sind zwei Indikatoren ausschlaggebend: die Prozentzahl der Patienten mit Verdacht auf eine Covid-19-Infektion, die ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, und die Auslastung der Intensivstationen mit Covid-19-Patienten. Da erheblich weniger getestet wird als heute, zählt die Zahl der Neuinfektionen nicht zu den Indikatoren. Deutlich mehr Infektionen bleiben unentdeckt.

Ein Département wird von der Regierung zur grünen Zone erklärt, wenn weniger als 60 Prozent der Intensivbetten belegt sind. Und wenn weniger als sechs Prozent der Patienten mit Covid-Verdacht im Krankenhaus enden. In den roten Zonen, zu denen im Mai ganz Ostfrankreich und die Region um Paris zählen, sind die Intensivstationen zu mehr als 80 Prozent ausgelastet.

Von der Färbung der Zone hängt ab, wie sich der Einzelne bewegen darf. In den grünen Zonen (zum Beispiel entlang der Atlantikküste) werden am 11. Mai wieder die Strände geöffnet. In Paris, rote Zone, bleiben hingegen alle Parks und Grünflächen zu. Mitte Juni ist es dann so weit, ganz Frankreich wird zur grünen Zone. Schulen, Restaurants, Bars, Museen, Theater: Alles wird geöffnet.

Inzwischen redet kaum einer noch vom Ampelsystem

Als die Infektionszahlen zum Ende des Sommers hin wieder zu steigen beginnen, verfärbt sich auch die Frankreichkarte wieder. Grün verschwindet sehr schnell. Und für zwei Wochen gelten unter anderem in den besonders roten Städten Marseille und Paris strengere Regeln (nächtliche Ausgangssperre, Schließung der Bars) als im Rest des Landes. Doch Ende Oktober sind dann schließlich alle Landesteile so tiefrot eingefärbt, dass keine regionalen Unterschiede mehr gemacht werden. In ganz Frankreich wird der zweite Lockdown angeordnet.

"Sich verschlechternde Situation": Frankreichs Premier Jean Castex warnt vor steigenden Infektionszahlen. (Foto: Sebastian Salom-Gomis/AFP)

Inzwischen redet kaum einer noch vom Ampelsystem. Die täglichen Neuinfektionen liegen in Frankreich seit Jahresbeginn bei 20 000, Mitte dieser Woche schon bei mehr als 30 000. Premierminister Jean Castex sprach am Donnerstag von einer "sich verschlechternden Situation", 20 Départements stehen "unter Beobachtung". Konkret bedeutet das: Dort könnte umgesetzt werden, was seit dieser Woche in Dunkerque und Nizza gilt. Ein Wochenend-Lockdown.

Allerdings liegt die Betonung auf "könnte". Denn anders als bei den grün-rot markierten Lockerungen vom vergangenen Frühjahr gibt es diesmal keinen klaren Fahrplan. Man weiß, welche Regionen und Départements als besonders gefährdet gelten. Aber es gibt keine klaren Vorgaben, was ab welchem Inzidenzwert passiert. Passend zu dieser Unklarheit war die Frankreichkarte, die bei der großen Pressekonferenz des Premierministers am Donnerstagabend im Fernsehen gezeigt wurde, schlicht weiß. Als stünde man ganz am Anfang, vor einem unbeschriebenen Blatt. Auf dieser weißen Karte wurden dann wiederum 20 Départements eingefärbt, allerdings diesmal dunkelblau. Nämlich diejenigen, in denen der Inzidenzwert der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner 250 überschritten hat. Wie es für diese Départements weitergeht, soll kommende Woche entschieden werden, heißt es aus dem Élysée. In Absprache mit den lokalen Politikern würden "alle Optionen geprüft".

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