Süddeutsche Zeitung

Ernährungssicherheit und Corona:"Menschen dürfen deshalb nicht verhungern"

David Beasley, Chef des UN-Welternährungsprogramms, spricht über Hilfe für die Ärmsten in Zeiten sozialer Distanz.

Interview von Anna Reuß

Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen steht wegen Grenzschließungen und Reisebeschränkungen vor großen Herausforderungen. Seit drei Jahren leitet David Beasley, der ehemalige Gouverneur des US-Bundesstaates South Carolina, das WFP. Zum Interview traf ihn die SZ nicht persönlich, sondern aus der Distanz per Videochat - nicht nur, weil Reisen unmöglich sind, sondern auch, weil sich Beasley gerade von Covid-19 erholt.

SZ: Wie geht es Ihnen?

David Beasley: Danke, mir geht es gut.

Normalerweise gehört diese Frage zum Small Talk, aber in Ihrem Fall ist sie relevant. Wie verlief die Krankheit bei Ihnen?

Ich war in den zwei Wochen zuvor zweimal negativ getestet worden. Also dachte ich, das sei eine Allergie. In South Carolina im Süden der USA gibt es viele Pollen im März. Dann bekam ich leichtes Fieber, und da ich viel reise und mit Leuten in Kontakt bin, wollte ich mich unbedingt noch mal testen lassen, und tatsächlich - der Test war positiv. Interessanterweise ging es mir nicht total schlecht, ich war eben krank mit Fieber und Halsschmerzen. Zum Glück musste ich nicht ins Krankenhaus.

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Arbeit des WFP aus?

Bereits vor Covid-19 haben wir etwa 100 Millionen Menschen in 83 Ländern geholfen. Die Pandemie macht alles komplizierter, etwa, weil Fluggesellschaften kaum noch fliegen. Wir chartern und leasen im Moment mehr Flugzeuge, um Vorräte und medizinisches Personal zu transportieren. Viele Staaten haben ihre Grenzen geschlossen, das bereitet uns Sorge.

Sehen Sie das kritisch?

Es liegt nicht an uns zu entscheiden, aber wenn Regierungen solche Entscheidungen treffen, bitten wir sie, die Auswirkungen eines Lockdowns so gering wie möglich zu halten. Landwirte müssen trotzdem ihre Lebensmittel auf den Markt bringen können, Menschen dürfen deshalb nicht verhungern.

Warum sind Lockdowns und geschlossene Grenzen ein Problem?

Wenn ein Hafen oder ein Verteilungspunkt geschlossen wird, können wir Lebensmittel erstens nicht mehr befördern und zweitens kommen sie nicht mehr bei den Menschen an, die dringend darauf angewiesen sind. In einigen Ländern mit ohnehin schwachen Gesundheitssystemen wird so die Versorgungskette unterbrochen. Das wiederum macht die Menschen anfälliger für die Krankheit selbst, denn Mangelernährung schwächt das Immunsystem.

Um welche Regionen sind Sie besonders besorgt?

In Ostafrika und der Sahelzone kommt eine ganze Menge an Problemen zusammen, aber auch Kriegsgebiete in Jemen oder Syrien und von Wirtschaftskrisen geplagte Länder wie etwa Simbabwe sind besonders verwundbar. Wenn an all diesen Orten die Fallzahlen so dramatisch ansteigen wie in besser entwickelten Ländern wie den USA oder Italien, dann erwarten wir dort das Schlimmste.

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Warum sind diese Länder so anfällig?

Die Situation ändert sich buchstäblich von Stunde zu Stunde in jedem Land. Zum Beispiel gibt es in Burkina Faso in der Sahelzone durch Terrorismus ein enormes Sicherheitsproblem, inzwischen gibt es etwa 800 000 Binnenvertriebene. Die Landwirtschaft leidet unter dem Klimawandel. Auch vor der Pandemie waren Tausende Schulen geschlossen, nun müssen noch mehr Schüler zu Hause bleiben.

Warum ist das so gefährlich?

Die gute Nachricht ist, dass Kinder wahrscheinlich am wenigsten durch das Virus selbst gefährdet sind. Allerdings waren 370 Millionen Kinder auf Schulmahlzeiten angewiesen, die sie nun nicht mehr bekommen können. Wir müssen sicherstellen, dass das Schulspeisungsprogramm nicht ersatzlos wegfällt - etwa indem wir die Nahrungsmittel jetzt an anderen zentralen Punkten an die Kinder verteilen.

Ist es nicht problematisch, wenn sich Menschen an einem Ort versammeln?

Richtig, deshalb versuchen unsere Teams, das Risiko zu senken. In Flüchtlingslagern ist es besonders schwer, Social Distancing durchzuhalten. Dort kommen die Menschen nun auf mehrere Tage verteilt, damit nicht zu viele auf einmal bei den Verteilstellen stehen. So können sie in den Schlangen mehr Abstand zueinander halten. Außerdem stellen wir nun mehr Handdesinfektionsmittel bereit.

Sind Sie auf Situationen wie die Corona-Krise vorbereitet?

Wir sind es gewohnt, in Kriegsgebieten zu arbeiten, wir haben während der Ebola-Epidemie unsere Arbeit gemacht, wir wissen also, wie man mit komplexen Situationen umgeht. Doch so etwas wie das haben wir noch nie zuvor erlebt. 97 Prozent unserer Leute sind nach wie vor im Einsatz. Sie riskieren ihr Leben, um Leben zu retten. Wir werden erst noch lernen müssen, wie sich die Pandemie entwickelt, was funktioniert und was nicht. Wir sind natürlich auf die Geldgeber angewiesen, damit wir unsere Arbeit machen können. Niemand sollte Ernährungssicherheit als selbstverständlich hinnehmen, denn ohne sie kann es weder Stabilität noch Frieden geben. Hunger bedingt außerdem Migration. Eine Mutter, die ihr Kind nicht ernähren kann, wird eben dorthin gehen, wo sie es kann. Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das 2018 in einer Resolution anerkannte, war das ein wichtiger Weckruf an Politiker auf der ganzen Welt. Deutschland ist zum Glück sehr hilfsbereit und pragmatisch.

Ostafrika kämpft mit einer massiven Heuschreckenplage, darüber hört man wenig.

Dieses Problem ist aufgrund der Pandemie völlig vom Radar verschwunden, dabei droht eine Hungerkrise. Die Heuschrecken waren schon vor Wochen ein Problem, nun ist die zweite Generation geschlüpft. Die Schwärme breiten sich in Somalia, Äthiopien oder im Südsudan aus, wo die Ernährungsunsicherheit schon jetzt groß ist.

Was droht diesen Ländern?

Die Heuschrecken vernichten jeden Tag eine atemberaubende Menge an Anbaufläche. Wenn Bauern die Ernten ausfallen, dann fehlen Nahrungsmittel und die Lieferkette wird unterbrochen. Ganz zu schweigen davon, dass Landwirte und ihre Familien um ihre Existenz bangen müssen. Das allein wäre schon eine enorme Herausforderung, gleichzeitig müssen diese Länder aber auch noch das Virus eindämmen.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2020
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