Corona-Krise:"Die Entwicklung macht große Sorgen"

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Der Präsident des Robert-Koch-Instituts zeigt sich beunruhigt über die steigende Zahl der Infizierten. Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach Nordspanien ab.

Von Christina Berndt und Mike Szymanski, München/Berlin

Angesichts der zunehmenden Zahl an Neuinfektionen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 zeigt sich der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) alarmiert. "Die neueste Entwicklung in Deutschland macht mir und uns allen im Robert-Koch-Institut große Sorgen", sagte Lothar Wieler während einer Pressekonferenz in Berlin. Lange Zeit sei das Virus in Deutschland gut in Schach gehalten worden, nun gehe der Trend landesweit nach oben. Die Entwicklung sei "sehr beunruhigend", mahnte Wieler und betonte: "Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie."

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hat gerade in den vergangenen sieben Tagen zugelegt und lag zeitweise über dem Wert von 800. Am Dienstag meldete das RKI 633 neue Fälle. Er wisse nicht, ob dies der Beginn einer zweite Welle in Deutschland sei, es könne aber sein, sagte Wieler. Die Menschen seien zu nachlässig geworden, es sei aber unerlässlich, dass sich die Bevölkerung wieder aufs Masketragen und Abstandhalten besinne. Nur so lasse sich verhindern, dass sich das Virus wieder rasant ausbreitet. Die Abstands- und Hygieneregeln würden noch viele Monate gebraucht. "Das schaffen wir nur gemeinsam", sagte Wieler und ergänzte: Es sei "rücksichtslos" und auch "fahrlässig", wilde Partys zu feiern.

Zur wachsenden Zahl an Neuinfektionen in Deutschland tragen zunehmend auch Reiserückkehrer bei. Während Einreisende zu Beginn der Pandemie bis zu 46 Prozent aller Neuinfizierten ausmachten, sank ihr Anteil in der Zeit der Grenzschließungen auf 0,4 Prozent. In den vergangenen vier Wochen aber wuchs der Eintrag durch Einreisende auf nunmehr rund zehn Prozent an. Am häufigsten brachten Menschen in den zurückliegenden vier Wochen das Virus aus Serbien, Kosovo, der Türkei, Bosnien-Herzegowina sowie Rumänien mit. Die verpflichtenden Tests von Reiserückkehrern aus Risikogebieten sollten deshalb so bald wie möglich, aller Voraussicht nach schon in der kommenden Woche beginnen, kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an.

Welche Länder zu den Risikogebieten gehören, ist einer Liste zu entnehmen, die vom RKI geführt wird. Sie wird in Absprache von Auswärtigem Amt, Gesundheits- und Innenministerium ständig aktualisiert, auch Spanien könnte angesichts der erneut hohen Infektionszahlen demnächst auf dieser Liste erscheinen. Das Auswärtige Amt hat am Dienstag jedoch erst einmal lediglich von Urlaubsreisen in einige beliebte Ferienregionen Nordspaniens abgeraten, darunter Katalonien mit der Costa Brava und der Metropole Barcelona. Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra hatte am Montag gewarnt, es könne einen neuen Lockdown geben: "Die Lage ist kritisch." Gleichwohl bedauerte die katalanische Regionalregierung die Entscheidung des Auswärtigen Amts. Die Regionalregierung handle verantwortungsvoll und bemühe sich, Leben zu schützen.

Griechenland führte die Maskenpflicht wieder ein, in Teilen Belgiens gilt neuerdings eine nächtliche Ausgangssperre.

Angesichts der Ereignisse auf Partymeilen im In- und Ausland, denken deutsche Kommunen vermehrt über Alkoholverbote nach. Der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) kündigte am Dienstag nach der letzten offiziellen Kabinettssitzung vor der Sommerpause in München nicht nur mehr Corona-Tests für Erntehelfer und Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften sowie für Urlaubsrückkehrer an; er sagte auch, die Staatsregierung werbe bei den Kommunen für Alkoholverbote im öffentlichen Raum. Der Hamburger Senat hat am Dienstag bereits die rechtlichen Voraussetzungen beschlossen, um den Alkoholverkauf in den Ausgehvierteln wie St. Pauli oder der Schanze einzuschränken. Die Bezirksämter könnten dies nun straßengenau umsetzen. Trotz eindringlicher Appelle, die Corona-Regeln einzuhalten, habe es wiederholte Verstöße gegeben, sagte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne).

Um die Pandemie in den kommenden Wochen und Monaten unter Kontrolle halten zu können, setzt die Bundesregierung auch auf die Corona-Warn-App. Bislang wurde die Software mehr als 16 Millionen Mal auf Mobiltelefone aufgespielt. Aus Sicht der Regierung genießt die Software eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung; dies werde umso bedeutender, wenn die Infektionszahlen weiter deutlich anziehen sollten. Die Software-Entwickler arbeiten nach ersten technischen Problemen, die sich in den vergangenen Tagen gezeigt hatten, weiter daran, die Warn-App für die kommende Zeit "robust" zu machen.

Auf etlichen Geräten hatte die Warn-App, die im Hintergrund laufen und die Nutzer warnen soll, wenn sie Infizierten nahe gekommen waren, nicht zuverlässig gearbeitet. Sicher sein konnte nur, wer aktiv einmal am Tag die Anwendung am Gerät öffnete. Es gab Probleme im Zusammenspiel entweder mit dem Betriebssystem oder bestimmten Geräteeinstellungen. Die Entwickler haben daraufhin eine neue Version veröffentlicht. Dennoch sollten Anwender weiterhin einmal am Tag die Warn-App auf ihren Geräten zur Sicherheit händisch öffnen, empfehlen die beteiligten Unternehmen, die Deutsche Telekom und SAP. Damit sei man dann auf der "sicheren Seite".

© SZ vom 29.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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