Corona:"Meine Mutter wimmert manchmal vor Alleinsein"

Corona: Schild mit der Aufschrift "Stopp! Besuchsverbot - Ausnahmen nur im Einzelfall" am Eingang zum Klinikum München West.

Schild mit der Aufschrift "Stopp! Besuchsverbot - Ausnahmen nur im Einzelfall" am Eingang zum Klinikum München West.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Während das öffentliche Leben gelockert wird, schotten sich viele Krankenhäuser weiter ab. Man wolle die Gesundheit der Patienten nicht gefährden, heißt es. Kritiker halten das für schädlich.

Von Christina Berndt und Rainer Stadler

Beim Fußball hat er gerade das große Los gezogen. Demnächst darf Pavel Klein in das neue Stadion des SC Freiburg, zusammen mit 10 000 anderen Menschen. Wenn es darum ging, seine fast 90-jährige, schwer kranke Mutter zu besuchen, hatte er zuletzt weniger Glück. In ihrem Krankenhaus gilt totales Besuchsverbot. Nur ein einziges Mal durfte er sie seit Mitte Januar sehen, bald wird noch einmal eine Ausnahme gemacht. "Ich spüre am Telefon, wie die Einsamkeit sie umbringt. Meine Mutter wimmert manchmal vor Alleinsein", erzählt Klein, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben will - aus Sorge, dass er sonst womöglich gar keine Besuchszeit mehr bekommt. "Diese Besuchsverbote bei gleichzeitiger Öffnung der Fußballstadien - was für eine moralische Bankrotterklärung unserer Gesellschaft", sagt er.

Während die Politik das öffentlichen Leben stufenweise lockert, herrscht an den Krankenhäusern weiter große Vorsicht. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erklärt, Besuchseinschränkungen habe es in Krankenhäusern schon vor der Pandemie gegeben, etwa auf Isolier- oder Intensivstationen. In Kliniken sei nun einmal alles der Gesundheit der Patienten untergeordnet. Insbesondere immunitätsgeschwächte Patienten, die gerade einen Eingriff hinter sich haben, seien durch Bakterien und Viren gefährdet. Dass die Gefahr einer Übertragung durch Besucher steigt, wenn sich Corona wie jetzt in der Omikron-Welle in nie da gewesener Geschwindigkeit und Fallzahl in Deutschland verbreitet, liegt auf der Hand. Eine Sperrung des gesamten Krankenhauses für alle Besucher sei dennoch "die letzte aller Eskalationsstufen", heißt es von der DKG.

In wie vielen Häusern diese Stufe derzeit gilt, weiß niemand. In den meisten Bundesländern haben Kliniken selbst das letzte Wort, ob und wie sie den Besuchsverkehr einschränken. Dennoch unterscheiden sich die Regelungen stark zwischen den Ländern. Das hessische Gesundheitsministerium etwa gibt an, dass es keine Rechtsverordnung zu den Besuchen gebe, die Kliniken übten "eigenverantwortlich" ihr Hausrecht aus. Im Saarland gibt es laut Gesundheitsministerium derzeit die Regel: je Patientin oder Patient ein Besuch pro Tag für eine Stunde. Laut der Corona-Verordnung von Bremen können Betreiber von Einrichtungen zwar den Zugang für Besucher untersagen, müssen aber Ausnahmen zulassen, "wenn ein besonderes berechtigtes Interesse vorliegt". Dies gelte etwa bei Minderjährigen, Gebärenden oder Palliativpatienten. Das zuständige Ministerium in Bayern betont, die Begleitung Sterbender sei "unabhängig vom Infektionsstatus jederzeit zu gewährleisten".

Auch Ärzte wissen: Besuchsverbote schaden dem Heilungsprozess

Doch reicht das? "Im Krankenhaus zu sein, ist für viele Menschen auch außerhalb der palliativen Situation ein gravierender Einschnitt", gibt die Ärztin und Medizinethikerin Christiane Woopen von der Universität Bonn zu bedenken. "So gut die Pflege auch im Einzelfall sein mag, der Umgang mit den Menschen, die im eigenen Leben eine zentrale Rolle spielen, bedeutet ja eine ganz andere Form von Heimat, Wohligkeit, Nähe und damit auch von Orientierung." Auch der Arzt von Pavel Kleins Mutter räumte ein, dass die "soziale Indikation" eigentlich täglichen Besuch erforderlich mache.

Manche Kliniken beherzigen das. "Wir haben uns immer gegen rigide Besuchsverbote gewehrt und versucht, dies so liberal wie möglich zu handhaben", sagt Ulrike Protzer, die Leiterin der Virologie an der TU München, zu der das Klinikum rechts der Isar gehört. "Es ist einfach für die Heilung nicht gut." Risiken ließen sich auch durch ein "elaboriertes Einlasskonzept" minimieren, das Kontrollen auch auf den Stationen, Testungen der Besucher und konsequente Maskenpflicht voraussetzt. "Dadurch haben wir es gut hingekriegt."

Krankenhäuser müssten sich nicht verschanzen, sagt auch Eugen Brysch, der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz. "Mit Omikron-sensitiven Schnelltests direkt in der Einrichtung täglich und ohne Ausnahme kann die Ansteckungsgefahr effizient eingedämmt werden." Doch an dieser Stelle versagten alle Bundesländer, "da es kein verbindliches Testregime" gebe. Die Leidtragenden seien die Patienten und ihre Angehörigen.

Ob Besuche erlaubt sind, liegt oft im Ermessen der behandelnden Ärzte

Einzelne Kliniken lockern nun langsam wieder, nachdem sie sich in der Omikron-Welle abgeschottet haben. In Nürnberg etwa freut man sich, "dass wir den pandemiebedingten Besuchsstopp endlich wieder aufheben können": Vom 1. März an dürfen Patientinnen und Patienten wieder für eine Stunde am Tag Besuch bekommen.

Andere Kliniken halten vorerst an der strikten Isolierung ihrer Patienten fest. "Die Sorge, Viren in die besonders gefährdeten Bereiche einzutragen, ist nach wie vor sehr hoch", sagt Hans-Georg Kräusslich, Mitglied des Vorstands am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiter der dortigen Virologie. Gerade Ärztinnen und Ärzte aus den besonders gefährdeten Bereichen wie der Transplantationsmedizin und der Hämatoonkologie seien sehr vorsichtig, weil ihre Patienten selbst dann nicht hinreichend geschützt seien, wenn sie geimpft und geboostert sind. Im Einzelfall seien in der Pandemie auch Patienten gestorben, nachdem eine Infektion eingeschleppt worden sei. "Andere Bereiche haben dagegen schon früh in der Pandemie gedrängt, lasst die Angehörigen rein, sie sind ja für den Heilungsprozess sehr wichtig", erzählt Kräusslich. Aber gerade in Klinikzentren, in denen die Stationen über gemeinsame Wege miteinander verbunden sind, seien differenzierte Lösungen je nach Risikograd der Abteilung schwierig zu finden.

In Heidelberg steht es deshalb, ähnlich wie in der Klinik von Pavel Kleins Mutter, im Ermessen der behandelnden Ärzte, ob sie Besuch erlauben. Man könne aber kein allgemeines Regelwerk erlassen, das jedem Einzelfall gerecht wird, sagt Kräusslich: "Bei 2000 Betten ist das nicht zu schaffen." Es sei aber klar, "dass wir das Besuchsverbot lockern müssen". Die schwierige Frage sei nur, wann.

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