Klimaschutz:"Wir stolpern von Krise zu Krise"

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Bessere Luft in Zeiten des Shutdown: Ein einsamer Fahrradfahrer am Wochenende im hessischen Taunus. (Foto: Michael Probst/AP)

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts, darüber, wie Corona nicht nur die Gesellschaft widerstandsfähiger macht, sondern auch die Umweltpolitik verändern kann.

Interview von Michael Bauchmüller

Die Krise als Chance - nach Auffassung des Umweltbundesamtes kann das in Corona-Zeiten auch fürs Klima gelten. Entscheidend sei, jetzt Strukturen umzubauen, sagt sein Präsident Dirk Messner: "In Krisenmomenten ist das Spielfeld offen."

SZ: Das Land steht still, die Emissionen sinken. Hilft die Corona-Krise dem Klima?

Dirk Messner: Erst einmal nur vorübergehend. Wenn wir die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen, ohne die Strukturen zu ändern, werden die Emissionen alle wieder da sein. Krise und Rezession sind keine kluge Klimaschutzpolitik. Dafür müssen sich wirtschaftliche Strukturen ändern. Und da gibt es durchaus gegenläufige Tendenzen.

Was meinen Sie?

Es gibt Stimmen, die in der aktuellen Situation der Wirtschaft ambitionierte Umweltpolitik nicht mehr zumuten wollen. In so tiefen Einschnitten wie im Augenblick, mit Unsicherheit, Sorge um die Zukunft, Schockstarre, ist das ein typischer Mechanismus. Menschen besinnen sich auf das, was gestern gut funktioniert hat. Innovationen, wie sie auch eine nachhaltige Politik braucht, spielen da keine Rolle. Aber es kann auch ganz anders kommen.

Nämlich wie?

Krisen sind zugleich sehr oft Knotenpunkte von Entwicklungen. Da werden Dinge möglich, die man sich vorher nicht hätte vorstellen können, zum Guten wie zum Schlechten. In solchen Krisenmomenten ist das Spielfeld offen, Dinge werden neu tariert. Deshalb müssen wir jetzt zeigen, welche Lösungen wir haben, die in eine nachhaltige Zukunft führen.

Aber wen interessiert das, wenn alle Welt nur über Corona spricht?

Genau deshalb müssen wir jetzt anfangen, darüber zu reden. Wir haben eine Krise, über die wir sehr gut Bescheid wissen, nämlich die Klimakrise. Es darf uns nicht passieren, dass jetzt eine unerwartete Krise wie Corona kommt - und wir über deren Bekämpfung die bereits anlaufende, noch gravierendere Krise vergessen.

Die Bedrohung des eigenen Jobs ist für viele Menschen eben viel greifbarer.

Und deshalb nimmt die Bundesregierung ja auch sehr viel Geld in die Hand, für Liquidität, Kurzarbeitergeld, direkte Hilfen. Das ist alles richtig und wichtig. Und dann wird es einen großen anderen Teil geben, da wird es um Strukturpolitik gehen, um Investitionen zur Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsstruktur. Und da sollten wir solche Investitionen nach vorne schieben, bei denen wir sowohl die Folgen der Corona-Krise bekämpfen als auch den Klimaschutz voranbringen.

Dirk Messner, 57, ist seit Januar Präsident des Umweltbundesamtes. Seit Jahren forscht Messner, der diverse Institute und einen Regierungsbeirat geleitet hatte, zu Fragen der Nachhaltigkeit und globalen Kooperation. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Was könnte das sein?

Drei Beispiele: Wir brauchen eine Elektrifizierung des Verkehrs, um ihn klimafreundlicher zu machen. Teile eines Konjunkturpakets könnten wir dafür verwenden. Oder bei Gebäuden: Auch da sind Langfrist-Investitionen in die Sanierung nötig. Die könnten wir unterstützen. Drittens brauchen wir grünen Wasserstoff, um Dekarbonisierung in energieintensiven Industrien zu ermöglichen. In allen drei Bereichen würden neue Jobs, wirtschaftliche Entwicklung einhergehen mit Klimaschutz.

Global sollte 2020 ein wichtiges Jahr für den Klimaschutz werden: Alle Staaten sollten ihre Ziele überprüfen und schärfen. Wirft Corona die Welt um Jahre zurück?

Die Gefahr besteht. Es fehlt schließlich nicht an Lösungen, eher aber an Zeit. Wenn wir bis 2050 bei null Emissionen landen wollen - und das müssen wir - müssen wir sie jede Dekade halbieren. Die Weichen dafür werden jetzt gestellt. Falls wir in dieser Phase zwei, drei, vier Jahre verlieren, weil Staaten in alte Strukturen investieren, ist das Zwei-Grad-Ziel im Grunde nicht mehr zu schaffen.

Klingt pessimistisch.

Es muss aber so nicht kommen. Wenn etwa die EU die Corona-Bekämpfung verknüpft mit einer möglichst weitreichenden Umsetzung ihres Green Deals, dann wäre das ein Signal an die Weltwirtschaft: Europa nutzt die Krise zur Strukturveränderung in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Es wird in den nächsten Monaten auch um die Deutungshoheit über die Zukunft gehen. Alle haben doch das Gefühl, irgendwas läuft schief, wir stolpern von Krise zu Krise. Was die Gesellschaft jetzt sucht, ist Orientierung, sind Wege in eine bessere Zukunft. Und die können und müssen wir beschreiben.

Kann diese Krise, die alle ausbremst, uns zu Spaziergängern macht, unsere Art zu leben grundlegend verändern?

Die Hoffnung habe ich. Beim Klimaschutz haben wir immer auch über Lebensstile gesprochen, über Lebensqualität, über ein Weniger-ist-mehr. Vielleicht hilft uns die Corona-Krise dabei, kulturelle Innovationen zu ermöglichen: Lebensstile, die Wohlbefinden mit den Grenzen der Ökosysteme in Einklang bringen. Hinzu kommt: Wir reden immer auch über widerstandsfähige Gesellschaften. Und diese Widerstandskraft wird immer häufiger gefordert.

Was meinen Sie?

Wir erleben solche Verwerfungen mittlerweile in kurzen Abständen: 9/11 und Terror, die Sars-Krise in Asien, die Finanzmarktkrise, die Ebola-Epidemie in Afrika, Wanderungsbewegungen nach Europa. Wolfgang Schäuble hat mal vom "Rendezvous mit der Globalisierung" gesprochen. Solche Rendezvous haben wir ständig. Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir mit solchen Ereignissen künftig umgehen.

Das heißt?

Wir lernen wieder, wie wichtig öffentliche Institutionen sind. Wir lernen den Rat der Wissenschaft neu zu schätzen, wir üben uns in Solidarität. Und wir sollten erkennen, dass globale Kooperation immer wichtiger wird, im Zeitalter globaler Vernetzungen. Man könnte auch sagen: Wir rütteln gerade unsere Gesellschaften zurecht und sehen, was uns widerstandsfähiger macht.

© SZ vom 30.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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