Vor allem der Kleine, sagt Katharina Neumann, leide total, "ihm geht es am schlechtesten mit der Situation". Die "Situation", von der die Hamburgerin spricht, sind die geschlossenen Kitas im Land. Drei Kinder haben sie und ihr Mann, zwölf, acht und vier Jahre alt, und sie findet, dass vor allem die psychische Situation gerade der Kleinsten zu wenig Beachtung findet. "Große Kinder werden auf das Problem der Wissenslücken reduziert, und die kleinen werden gar nicht diskutiert, höchstens als Betreuungsproblem." Sie selbst hätten es noch einigermaßen leicht, sie hätten einen kleinen Garten und wohnten im Grünen. In anderen Familien aber sei das mittlerweile "eine richtige Notsituation".
Die einzige Lobby für kleine Kinder seien die Arbeitgeber ihrer Eltern, sagt eine Mutter
Ähnlich sieht es Anja Gierig aus Berlin. Sie hat mit ihrem Freund zwei Kinder, neun und vier Jahre alt, "und gerade die Kleine leidet krass", sagt sie. "Die Isolation der Kinder ist eine Riesensache." Enttäuscht sei sie gewesen angesichts des Beschlusses, die Kitas und für viele Kinder auch die Schulen bis auf Weiteres geschlossen zu halten. Das sei kein "Jammern", wie manche bemängelten, "das ist ein riesengroßer Teil unseres Lebens, der fehlt". Wie es in anderen Familien aussehe, wolle sie sich zum Teil gar nicht vorstellen. "Natürlich kann man nicht sofort alles wieder aufmachen. Aber der 1. August als Datum war wie ein Faustschlag", sagt sie mit Blick auf die Ankündigung des Landes Berlin, erst im August den Regelbetrieb in den Kindergärten wieder aufzunehmen. Ihr Eindruck ist: "Die einzige Lobby, die Kitakinder haben, sind die Arbeitgeber ihrer Eltern."
So wie Anja Gierig und Katharina Neumann geht es derzeit den meisten Familien mit kleinen Kindern. Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte am Montag, es sei keine "abschließende Lösung", die Kitas bis August geschlossen zu halten. Eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Experten hat nun damit begonnen, ein Konzept für eine schrittweise Öffnungen zu erarbeiten.
Eltern fordern einheitlichen digitalen Unterricht in Schulen
Sonja Froschauer aus Grünwald, Mutter eines sechsjährigen Sohnes, der im Herbst in die Schule kommt, sagt derweil: "Wir sind allmählich an der Grenze zum Wahnsinn." Ihr Mann arbeitet bei Siemens, sie ist Unternehmerin, "und unser Sohn ist als Einzelkind jetzt seit fünf Wochen daheim". Sie hatte sich zumindest "einen groben Zeithorizont" erhofft. Dann könne man planen, ob der Mann in Teilzeit geht oder ob es reicht, ein paar Wochen mit Urlaub zu überbrücken. Luft gemacht hat sie sich nun erst einmal mit einem offenen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten. Der allerdings bislang noch unbeantwortet ist.
Einige Bundesländer lockern inzwischen zumindest den Zugang zu Notbetreuungen, unter anderem für Alleinerziehende. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten mehr als 450 000 Alleinerziehende in systemrelevanten Berufen, davon alleine 179 000 im Gesundheitswesen und 50 000 im Lebensmitteleinzelhandel. Die Zahlen hatte die Linksfraktion im Bundestag abgefragt, wie die N euen Osnabrücker Zeitung berichtete. Insgesamt sind demnach rund 1,78 Millionen Alleinerziehende erwerbstätig, fast 1,5 Millionen von ihnen sind Mütter.
Nicht nur die Eltern von Kitakindern sehen die aktuelle Situation kritisch. Inken Pauli aus München ist Mutter eines Grundschul- und eines Gymnasiumskindes. Sie hat die Petition "Digitaler Unterricht bei langfristigen Schulschließungen - sofort und einheitlich!" gestartet. Home-Schooling, Home-Office, Hausarbeit, mit den Kindern rausgehen - das sei zu viel, sagt sie. "Es würde schon entlasten, wenn der Unterricht digital stattfände, von neun bis 13 Uhr." Derzeit würden gerade Kinder, deren Eltern keine Muttersprachler seien, abgehängt. Unter anderem müsse der Datenschutz gelockert werden, um Fernunterricht zu ermöglichen. In Berlin aber verschickte der Senat zuletzt so strenge Vorgaben für den Einsatz von Onlinekonferenzprogrammen, dass die bekannteren Anbieter schon mal nicht infrage kommen.
Können Spielplätze geöffnet werden?
Mehr Struktur für den Fernunterricht wünscht sich auch Margit Werner aus Lappersdorf. Sie ist alleinerziehend und hat eine neunjährige Tochter. Es gebe gute und schlechte Beispiele, wie Schulen mit der Lage umgingen, aber "Schule zu Hause ohne Qualitäts- und Mengenstandards" funktioniere nicht. "Es muss doch irgendein intelligentes Konzept geben!"
Und dann ist da noch ein weiterer Aspekt, der viele Eltern umtreibt: die Spielplätze. Katharina Neumann aus Hamburg wünscht sich dringend Konzepte, wie diese wieder geöffnet werden könnten. "Natürlich bringt das Risiken mit sich, aber mittlerweile ist das Risiko, die Kinder weiter einzusperren, auch groß." Auch Ministerin Giffey forderte am Montag eine Debatte darüber, Spielplätze zumindest teilweise oder unter Auflagen zu öffnen.