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Corona-Pandemie:Ohne Impfung weniger Lohn

Wer in Corona-Quarantäne muss, bekommt bisher trotzdem sein Gehalt. Nun haben Bund und Länder beschlossen, das für Ungeimpfte zu streichen. Was spricht dafür, was dagegen - und was bedeutet das konkret? Ein Überblick.

Von Kassian Stroh

Wer in Corona-Quarantäne sitzt und deswegen nicht arbeiten kann, bekommt in Deutschland sein Gehalt trotzdem. Der Arbeitgeber zahlt weiter - und bekommt das Geld anschließend erstattet. Noch. Denn für Ungeimpfte wird sich das bald ändern. Für die Erstattung des Lohns sind die Länder zuständig. Und die einigten sich mit dem Bund nun darauf, dass die meisten Nicht-Geimpften spätestens ab 1. November keine Entschädigung mehr bekommen sollen.

Was bedeutet das dann für die Beschäftigten und wer stellt sich warum dagegen? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Worum geht es genau?

Wer zum Beispiel engeren Kontakt zu einem Covid-19-Patienten hatte oder aus einem Risikogebiet zurückkehrt, muss meist in Quarantäne. Wenn er dann nicht im Home-Office arbeiten kann, zahlte das Land bislang sein Gehalt. Und zwar in voller Höhe (zumindest für die ersten sechs Wochen, aber so lange ist eigentlich niemand in Quarantäne). Das wollen die Bundesländer bei den Ungeimpften nun nicht mehr; bei den Geimpften spielt diese Frage quasi keine Rolle, da sie wegen der geringeren Ansteckungsgefahr fast nie in Quarantäne müssen.

Welche Positionen gab es vor der Einigung?

Baden-Württemberg hat die Zahlungen vergangene Woche eingestellt, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wollen im Oktober folgen. In Ländern wie Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gab es ähnliche Überlegungen. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hielt diesen Schritt für richtig, wie er schon vor gut zehn Tagen sagte: Letztlich kämen ja die Steuerzahler für die Entschädigung auf; und er sehe nicht ein, "warum auf Dauer andere zahlen sollen, wenn sich jemand nicht für die kostenlose Impfung entscheidet, obwohl er könnte".

Aber es gab Gegenstimmen, auch in den Ländern - beispielhaft ist der Konflikt innerhalb der bayerischen Regierung. Die CSU ist für den Schritt: Wenn jemand sich nicht gegen Corona impfen lassen wolle, dürfe das "nicht zulasten der Gesellschaft gehen", sagt Gesundheitsminister Holetschek. Und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) glaubt, dass so auch die Impfbereitschaft einen "deutlichen Schub" bekommen könnte. Söders Vize Hubert Aiwanger von den Freien Wählern hingegen lehnt den Schritt als "Impfzwang durch die Hintertür" ab. Auch der SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach warnt davor - wenn auch aus anderen Gründen: Er fürchtet, dass Leute dann den Arbeitgeber anlügen oder die Quarantäne umgehen, in die sie eigentlich müssten, und so andere gefährden.

Wer kritisiert die Pläne noch?

Nicht zuletzt die Gewerkschaften. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, befürchtet, dass so der Konflikt ums Impfen auf die Betriebe und ihre Beschäftigten verlagert werde - mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Im Zweifel müssten dann nämlich sensible Gesundheitsdaten offengelegt werden, sagte Hoffmann im Deutschlandfunk. Also zum Beispiel zu der Frage, ob sich ein Mitarbeiter habe impfen lassen können oder nicht - und wenn nicht, warum. Es sei ein Gebot der Solidarität, sich impfen zu lassen, sagt Hoffmann, aber nicht mit dem Instrument, den Entgeltersatz zu streichen.

Am Dienstag meldete sich zudem der große Sozialverband VdK zu Wort: Es gebe zu Recht keine allgemeine Impfpflicht, sagte dessen Vorsitzende Verena Bentele. "Dann darf es aber auch keine existenzgefährdenden Folgen haben, wenn sich ein Mensch mit angeschlagener Gesundheit aufgrund einer chronischen Erkrankung gegen eine Impfung entscheidet." Dies gelte besonders, wenn medizinisch noch nicht einzuschätzen sei, wie sich eine Impfung auf die Gesundheit des Betroffenen auswirkt.

Der Verdienstausfall müsse bei einer Quarantäne deshalb "unabhängig vom Impfstatus gezahlt werden", fordert Bentele. Schließlich werde ja auch Lohnersatz gezahlt, wenn jemand erkrankt, weil er viel raucht, sich ungesund ernährt oder riskante Sportarten ausübt. Ähnlich argumentiert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, der die Abschaffung der Entgeltentschädigung für "überzogen" hält.

Soll es Ausnahmen geben und bekommen Corona-Infizierte ihr Gehalt weiter?

In Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht haben impfen lassen können, ausgenommen und bekommen auch künftig während einer Quarantäne ihr Gehalt - das dürfte auch bundesweit so kommen. Allzu viele Menschen sind das aber nicht mehr, seit die Ständige Impfkommission auch für Schwangere und Stillende eine Corona-Impfung empfiehlt.

Nicht betroffen ist auch, wer geimpft oder von Corona genesen ist: In Ausnahmefällen können auch sie in Quarantäne geschickt werden - sie bekommen dann aber weiter ihr Gehalt. Genauso wie Menschen, bei denen das Coronavirus nachgewiesen wurde und die deswegen zu Hause bleiben müssen: Sie gelten juristisch als Kranke, hier greift die ganz normale Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Dürfen die Länder die Entgeltentschädigung einfach streichen?

Ja. Sie ist in Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes geregelt - und da steht, dass die Entschädigung nicht bekommt, wer eine nicht unbedingt nötige Reise in ein Risikogebiet unternommen hat oder durch eine Impfung die Quarantäne hätte vermeiden können. Anfangs spielte das in der Corona-Pandemie keine Rolle, jetzt aber sehr wohl, denn Impfmöglichkeiten gibt es inzwischen genug. "Der Gesetzestext lässt eigentlich auch keinen Ermessensspielraum zu", sagt ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums. Will heißen: Die Zahlung kann nicht nur gestrichen werden, sie muss sogar. Dass fast alle Länder immer noch zahlen, werten auch manche Juristen als Kulanz.

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