Impfaffäre in Friesland:Mehr als 8000 Menschen haben womöglich Kochsalzlösung statt Biontech erhalten

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Impfzentrum Landkreis Friesland: Der Skandal um Kochsalzlösung in Impfspritzen ist um neue verwirrende Aspekte reicher. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Eine Krankenschwester soll in einem Impfzentrum im Landkreis Friesland nur ein Placebo verabreicht haben. Das Ausmaß kennt Niedersachsens Regierung noch nicht, ein mögliches Motiv schon.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Die Impfaffäre im Landkreis Friesland in Deutschlands Nordwesten wird immer größer und bizarrer. Im April hieß es, eine Krankenschwester in dem niedersächsischen Impfzentrum habe bei sechs Impfungen keinen Impfstoff verwendet, sondern eine Kochsalzlösung. Seit Dienstag nun macht diese Zahl die Runde: "Es geht um insgesamt 8557 Menschen, die womöglich ganz oder teilweise keinen Impfschutz erhalten haben, obwohl sie davon ausgehen", sagte Frieslands Landrat Sven Ambrosy (SPD) in Jever. Jeder und jedem von ihnen wird zur Nachimpfung geraten. Nach Angaben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums haben bereits mehr als 2000 Menschen dazu angemeldet. Die Gründe des Desasters sind noch unklar, auch von einem möglichen politischen Motiv ist die Rede.

Die Betroffenen sollen vorwiegend älter als 70 Jahre sein und zwischen dem 5. März und 20. April im Impfzentrum Roffhausen zwischen Wilhelmshaven und Schortens geimpft worden sein. Es heißt, eine damalige Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes habe statt der Vakzine Biontech, Moderna oder Astra Zeneca nur eine Kochsalzlösung verabreicht. Warum?

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Am 21. April war bekannt geworden, dass die examinierte DRK-Frau sechs Spritzen statt mit dem Impfstoff gegen Covid-19 mit einer Kochsalzlösung befüllt habe. Einer Kollegin war dies aufgefallen. Ihr sei vorher eine Ampulle mit Biontech heruntergefallen und zerbrochen, das habe sie vertuschen wollen, soll die Verdächtige erklärt haben. Sie wurde beim DRK-Kreisverband entlassen, Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln. Der Landkreis ließ zunächst 22 Menschen erneut impfen, bei ihnen waren trotz der Impfung keine Antikörper nachgewiesen worden.

Der Polizei gegenüber schweigt die Krankenschwester

Inzwischen halten es die Behörden für möglich, dass deutlich mehr Menschen in Roffhausen einen Piks ohne Wirkstoff bekommen haben. In dem betreffenden Zeitraum wurden 9673 Geimpfte registriert. "Wir wissen nicht, wie viele davon ungeimpft oder nur teilweise geimpft sind", sagte Heiger Scholz (SPD), Gesundheits-Staatssekretär und Leiter von Niedersachsens Corona-Krisenstab, dem NDR. Die Frau zeige sich "leider gegenüber der Polizei nicht kooperativ, sondern sie schweigt".

Ihre Version, sie habe versucht, mit dem Einsatz des Placebos ein Missgeschick zu vertuschen, könnte nicht die ganze Wahrheit sein. In sozialen Medien soll die Beschuldigte Beiträge geteilt haben, in denen Corona-Maßnahmen der Regierung kritisiert wurden. Auch habe sie über einen Chat "coronakritische Informationen" verteilt, informiert die Polizei Wilhelmshaven/Friesland. Der Evangelische Pressedienst zitiert Staatssekretär Scholz mit den Worten, dass es "ziemlich perfide" sei, "wenn eine Impfgegnerin sich so in ein Impfzentrum einschleicht".

Gefährlich ist so eine Kochsalzlösung nicht, aber sie bietet natürlich keinen Schutz gegen die Krankheit, die das Coronavirus auslöst. Auch Mitarbeiter mobiler Pflegedienste, Hospizmitarbeiter, Erzieherinnen oder Ärzte seien in jener Zeit geimpft worden, wird berichtet.

Alle, die es betreffen könnte, sollen per Post oder E-Mail informiert werden. Das Gesundheitsamt empfiehlt, die Nachholtermine wahrzunehmen, nur dann sei ein vollständiger Impfschutz gewährleistet. Unbedenklich seien Nachimpfungen auch für jene, die schon zweimal korrekt geimpft worden sind.

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