Pandemie-Bekämpfung:Exportweltmeister Europa

Auffrischung der Corona Impfung

Covid-Impfstoff ist in vielen Ländern knapp. Die EU hingegen exportiert die Mittel im großen Stil.

(Foto: Wolfgang Kumm/DPA)

Die EU hat eine Milliarde Dosen Covid-Impfstoff ausgeführt - mehr, als an ihre Mitgliedstaaten geliefert wurde. In vielen armen Regionen der Welt sind die Vakzine aber weiter sehr knapp. Das befeuert eine heikle Debatte.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Europäische Union hat eine symbolische Marke bei einem ebenso wichtigen wie heiklen Thema geknackt: Mehr als eine Milliarde Dosen Corona-Impfstoff sind inzwischen aus der EU in andere Länder und Kontinente exportiert worden. Das teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in einer Videobotschaft mit. "Die Europäische Union ist ganz eindeutig der größte Exporteur von Covid-19-Impfstoffen", sagte die Deutsche. Das Thema ist brisant, denn in vielen ärmeren Ländern ist Impfstoff äußerst knapp. Das lässt Forderungen laut werden, den Patentschutz aufzuheben - zum Schaden der Hersteller wie Biontech.

Außerdem gab es zu Jahresanfang Streit über Exportverbote. Aus den USA und Großbritannien durfte de facto kein Vakzin in die EU geliefert werden, umgekehrt schickten europäische Fabriken weiter Impfstoff nach Amerika und ins Vereinigte Königreich. Wegen dieses Ungleichgewichts verhängte die Kommission Ende Januar eine Genehmigungspflicht für solche Ausfuhren - ein kontroverser Schritt, der aber die Exporte nicht abgewürgt hat, wie die Zahlen belegen. Von der Leyen sagte, dass Corona-Vakzine aus EU-Werken in "mehr als 150 Länder auf allen Kontinenten versandt" worden seien. Nach einer Kommissionsstatistik sind die wichtigsten fünf Empfänger Japan, die Türkei, Großbritannien, Korea und Malaysia. An die Covax-Initiative seien 87 Millionen Dosen gegangen, ergänzte von der Leyen. Covax verteilt Vakzin an ärmere Staaten weltweit. Zudem werde die EU in den kommenden Monaten "mindestens 500 Millionen Dosen für die am stärksten gefährdeten Länder spenden", versprach die Kommissions-Chefin.

Nach Angaben ihrer Behörde produzieren in der Europäischen Union 55 Fabriken Covid-Impfstoff. Diese haben den Großteil ihrer Fertigung in Länder außerhalb der EU geliefert: Eine Milliarde exportierte Dosen stehen 737 Millionen Dosen gegenüber, die bislang an die EU-Staaten verteilt wurden. Davon stammen 509 Millionen von der Mainzer Firma Biontech und ihrem US-Partner Pfizer sowie jeweils gut 100 Millionen von Astra Zeneca und Moderna, wie aus Daten der EU-Seuchenschutzbehörde ECDC hervorgeht.

Gespritzt worden sind bislang 570 Millionen Dosen in den EU-Staaten. Annähernd drei Viertel der erwachsenen EU-Bürger sind damit vollständig geimpft, eine höhere Quote als in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Allerdings verbergen sich hinter dem Wert dramatische Unterschiede zwischen Mitgliedstaaten, denn manche Regierungen tun sich schwer, Impfskeptiker zu überzeugen. So sind in Irland, Malta und Portugal mehr als 90 Prozent der Erwachsenen komplett geimpft, doch in Bulgarien sind es nur 24 Prozent und in Rumänien 35 Prozent. Von der Leyen sagte bei ihrer Rede zur Lage der EU im September, sie sehe "diese Unterschiede mit Sorge".

Der Fall Curevac werde geprüft, heißt es

Die Kommission hat insgesamt mit sieben Herstellern Verträge über bis zu 4,6 Milliarden Dosen bis zum Jahr 2023 abgeschlossen. Einen dieser Verträge - über gut 400 Millionen Dosen - hat Brüssel allerdings mit der Tübinger Biotech-Firma Curevac vereinbart, und vor einer Woche gab Curevac bekannt, seinen Covid-Impfstoff aus dem Zulassungsverfahren zurückzuziehen. Damit wird diese Vorbestellung flachfallen. Die Kommission hat aber eine Vorauszahlung an das Unternehmen geleistet. Was Curevacs Entscheidung für diesen Vorschuss bedeute, würden Fachleute gerade prüfen, sagt ein Kommissionssprecher.

Aus Sicht vieler armer Länder weltweit sind das Luxusprobleme. In mehr als 50 Staaten, vor allem in Afrika und dem Mittleren Osten, liege die Impfquote unter zehn Prozent, klagt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Genfer Organisation gibt als Ziel aus, bis kommenden Sommer in jedem Land der Erde 70 Prozent der Erwachsenen oder mehr gegen Covid geimpft zu haben. Einige Regierungen, etwa aus Indien und Südafrika, fordern, die Patente für Corona-Vakzine freizugeben, um die Produktion anzukurbeln. Dies würde bedeuten, dass jeder Pharmakonzern weltweit zum Beispiel das Mittel fertigen darf, das Biontech entwickelt hat. Die Mainzer könnten nicht mehr wegen Patentverletzungen klagen. Über diesen Vorschlag wird bei der Welthandelsorganisation WTO beraten, ohne dass es hier voranginge.

Die Kommission und die Mehrheit der EU-Staaten sind gegen eine Patentfreigabe. Diese Skeptiker argumentieren, dass der Ansatz nicht dabei helfen würde, die komplizierte Produktion schnell auszuweiten. Stattdessen setzt Brüssel darauf, den Aufbau von Fabriken in Afrika mit einer Milliarde Euro zu fördern, in Zusammenarbeit mit Patentinhabern. Ende August gelobte Biontech, seine modernen Vakzine künftig auch in Afrika zu fertigen. Standorte in Ruanda und im Senegal würden bereits geprüft, hieß es.

Schon 591 Millionen digitale Covid-Pässe

Neben den Daten zu Impfstoff-Exporten gab die Kommission am Montag noch eine andere beeindruckende Zahl zu der Pandemie bekannt: So haben die 27 Mitgliedstaaten inzwischen mehr als 591 Millionen digitale Covid-Zertifikate ausgestellt. Diese belegen, dass ein Bürger geimpft, genesen oder negativ getestet ist, und funktionieren auch im EU-Ausland. Neben den EU-Staaten haben sich die Schweiz, Liechtenstein, Island, Norwegen sowie zwölf andere Länder dem System angeschlossen; mit 28 weiteren Regierungen laufen Verhandlungen.

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