Coronavirus:Finale der Superspreader

Euro 2020 - Final - Italy v England

Jubel bei den Italienern nach dem 1:1 gegen England im Finale der Fußball-EM. Das Wembley-Stadion war mit mehr als 60 000 Zuschauern voll besetzt.

(Foto: Pool via REUTERS)

Beim Endspiel der Fußball-EM in London steckten sich Tausende Menschen mit dem Coronavirus an. "Dies sollte uns allen eine Warnung sein", erklärt die britische Gesundheitsbehörde.

Von Alexander Mühlauer, London

Es waren Tage, die das Land nicht so schnell vergessen wird. Als das englische Nationalteam bei der Fußball-EM erst ins Halbfinale und dann ins Endspiel einzog, herrschte in London Ausnahmezustand. Rund um das Wembley-Stadion und an vielen anderen Plätzen der Stadt kamen derart viele Menschen zusammen, dass es nicht viel Phantasie bedurfte, um sich vorzustellen, wie stark sich das Coronavirus an diesen Tagen ausbreiten würde. Nun, sechs Wochen nach dem Finalspiel ist es amtlich: Das ganze Spektakel war ein Superspreader-Event.

Die Zahlen der Gesundheitsbehörde Public Health England zu den beiden Spielen am 7. und 11. Juli sind jedenfalls eindeutig. 2295 der Anwesenden in und um das Wembley-Stadion sollen demnach zum Zeitpunkt des Finales höchstwahrscheinlich infektiös gewesen sein. 3404 weitere Menschen sollen sich rund um dieses Ereignis infiziert haben. Beim Halbfinale sollen 375 Fans infektiös gewesen sein und sich 2092 angesteckt haben.

Das Ergebnis der Untersuchung wirft kein gutes Licht auf das Sicherheitskonzept der britischen Behörden. Denn eigentlich war es das erklärte Ziel, dass nur Menschen ins Wembley-Stadion kommen sollten, die einen Nachweis erbringen konnten, dass sie voll geimpft oder negativ auf das Coronavirus getestet worden sind. Doch das wurde von den Aufsehern vor dem Stadion nicht immer überprüft.

Hinzu kommt: Der geforderte Test durfte von den Besuchern selbst durchgeführt werden. Es war auch möglich, lediglich so zu tun, als habe man einen Test absolviert - es genügte schließlich, die Nummer des Selbsttests auf einer Website des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS hochzuladen und anzugeben, dass dieser negativ sei.

Eine Gesundheitsexpertin sagt: "Dies sollte uns allen eine Warnung sein."

Unschwer zu erkennen war zudem, dass die Sicherheitskräfte am Stadion schlichtweg überfordert waren. Insbesondere beim Finalspiel von England gegen Italien gelang es Tausenden, ohne Ticket ins Stadion einzudringen. Es spielten sich teils chaotische Szenen ab. Anhänger des englischen Nationalteams gingen gewaltsam gegen Kartenkontrolleure vor und schmissen Absperrgitter über den Haufen.

Bereits vor den EM-Spielen in London gab es heftige Kritik an der britischen Regierung. Gesundheitsexperten hatten den Verantwortlichen vorgeworfen, auf Druck der Uefa bis zu 60 000 Zuschauer im Stadion zuzulassen. Die Regierung verwies stets darauf, dass alles getan werde, um eine möglichst sichere Veranstaltung zu gewährleisten.

Nach Veröffentlichung der Zahlen von Public Health England sagte Jennifer Smith, stellvertretende medizinische Direktorin der Gesundheitsbehörde, dass die Daten zeigten, "wie leicht sich das Virus bei engem Kontakt ausbreiten kann". Und fügte hinzu: "Dies sollte uns allen eine Warnung sein, während wir versuchen, langsam wieder zur Normalität zurückzukehren."

Nachdem die Inzidenz in Großbritannien nach der Fußball-EM stark gestiegen war, ist der Wert wieder gefallen. Derzeit liegt er bei etwa 310. Angesichts der weiter erfolgreich laufenden Impfkampagne, nimmt die Regierung allerdings nicht die Inzidenz, sondern vor allem die Zahl der Krankenhauseinweisungen als Gradmesser für ihre Corona-Politik. Solange diese im Vergleich zum Winter auf niedrigem Niveau bleiben, will die Regierung an ihrem Lockerungskurs festhalten.

In England sind seit dem sogenannten "Freedom Day" am 19. Juli so gut wie alle Corona-Beschränkungen aufgehoben. Im gesamten Vereinigten Königreich haben mittlerweile 88 Prozent aller über 16-Jährigen die erste Impfung erhalten; 76 Prozent sind bereits voll geimpft.

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