Am Samstag endet Ramadan, das wolle man doch feiern, sagt die 27-jährige Somalierin am Telefon. Dafür aber müsse sie einkaufen. Der Supermarkt sei nicht weit von der Flüchtlingsunterkunft. Nicht weit und doch unerreichbar für sie wie für die meisten der 580 Bewohner des Ankerzentrums in Geldersheim bei Schweinfurt. Denn die unterfränkische Erstaufnahme-Einrichtung, in der sich bislang 137 Bewohner infiziert haben, steht seit acht Wochen unter Quarantäne. Nur wer genesen ist, darf seither das Gelände verlassen. Für alle anderen bleiben die Tore zu. Wie lange das so weitergeht, weiß keiner.
Solange man die Infektionsketten nicht klar nachverfolgen könne, verlängere sich die Quarantäne bei jedem neuen Fall, sagt Johannes Hardenacke, Sprecher der Regierung von Unterfranken. Das sei eine Vorgabe des Gesundheitsamtes. Am Montag hielten es die Bewohner nicht mehr aus. Mit Schüsseln und Löffeln zogen ein paar Dutzend von ihnen zum Ausgang, hämmerten gegen das Eisentor und forderten endlich wieder Ausgang. Einige begannen zu randalieren, die Polizei wurde gerufen. Das weitläufige Gelände einer ehemaligen US-Kaserne gehört eigentlich zu den besseren Unterkünften in Bayern. Für je zwei Zimmer gibt es einen Duschraum mit WC. Die Unterkunft ist nur zur Hälfte ausgelastet, sodass sich derzeit zwei Bewohner ein Zimmer teilen müssen. Dennoch gelingt es seit Wochen nicht, Corona aus dem Gelände zu vertreiben. Große Einrichtungen seien eben schwer zu handhaben, sagt Hardenacke. Das betreffe Flüchtlingsunterkünfte genauso wie Altenheime. Man habe Verständnis für den Unmut der Bewohner.
"Wir haben aber noch keine Lösung." Ähnlich ratlos ist man offenbar vielerorts in Deutschland. Seit Beginn der Pandemie sind Flüchtlingsheime immer wieder von Corona-Ausbrüchen betroffen. In der 600-Personen-Einrichtung Ellwangen in Baden-Württemberg, die Anfang April eine Masseninfektion erlebte, hat man zu Beginn versucht, positiv und negativ getestete Personen räumlich voneinander zu trennen, auf verschiedene Häuser zu verteilen. Aus Sicht der Initiative "Refugees for Refugees", die mit Geflüchteten in Ellwangen in Kontakt steht, wurde das nicht ausreichend konsequent gemacht.
Immerhin, nach fünf Wochen konnte die generelle Kontakt- und Ausgangssperre dort aufgehoben werden. Doch weiterhin befinden sich etwa 60 Personen in abgetrennten Gebäuden in Quarantäne; genauso wie in vielen anderen Heimen überall in Deutschland auch.
Allein in Bayern stehen nach Auskunft des Innenministeriums derzeit 26 Unterkünfte unter Quarantäne.
In Mehrbettzimmern lässt sich schlecht Abstand halten. In gemeinschaftlich genutzten Toiletten breitet sich das Virus leichter aus. Flüchtlingsorganisationen haben deshalb von Anfang an eine geringere Belegung der Unterkünfte verlangt, was man inzwischen in vielen Bundesländern auch versucht. Baden-Württemberg hat Mitte April kurzfristig bei Karlsruhe eine weitere Erstaufnahmeeinrichtung geschaffen.
Nordrhein-Westfalen hat Jugendherbergen mit Flüchtlingen belegt, um in Unterkünften Platz zu schaffen. Außerdem sollen in dem Land Flüchtlingsunterkünfte, die wegen des geringeren Bedarfs der vergangenen Jahre nicht mehr in Betrieb sind, wieder geöffnet werden, darunter ein ehemaliges Krankenhaus in Wuppertal. Dorthin will man Flüchtlinge mit Vorerkrankungen verlegen. Trotzdem wurde in NRW erst am Montag ein neuer Ausbruch bekannt. In einer Unterkunft in Sankt Augustin haben sich 152 von 312 Bewohnern infiziert. Nach Auskunft des Flüchtlingsrats NRW ist das nur einer von fünf größeren Ausbrüchen im Land.
Aus Sicht der Flüchtlingsverbände sind die großen Aufnahmezentren an sich das Problem. Im vergangenen Herbst hatte die Bundesregierung festgelegt, dass Flüchtlinge, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind oder die eine Ablehnung bekommen haben, grundsätzlich 18 Monate in Sammelunterkünften der Bundesländer bleiben müssen. Erst danach dürfen sie die Erstaufnahme-Einrichtungen der Länder verlassen und in kleinere Unterkünfte verlegt werden. Nur Familien dürfen schon nach sechs Monaten wechseln.
"Das ist eine aktiv gewollte Ausgrenzung dieser Menschen", kritisiert Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW. Die Flüchtlinge dort hätten kaum Kontakt zum Volk. Die Kinder gingen nicht zur Schule. Corona zeige nun, dass die Massenlager auch gesundheitlich ein Problem darstellen.
Auch Pro Asyl hatte bereits im März gefordert, Flüchtlinge sofort in dezentrale, kleinere Unterkünfte zu bringen. Viele Bundesländer erließen aber erst einmal einen Verlegungsstopp, sodass die Flüchtlinge in den großen Erstaufnahme-Einrichtungen blieben. Verlegungen werden erst jetzt teilweise wieder aufgenommen. Umzüge in reguläre Wohnungen in den Kommunen gab es zudem in Einzelfällen, etwa weil Gerichte in Chemnitz, Dresden und Leipzig das bei zwei schwangeren Frauen und zwei Flüchtlingen verfügt hatten, die Vorerkrankungen hatten.