Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Bundesregierung bekommt neuen Corona-Expertenrat

Das Verhältnis der Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck galt als angespannt. Nun sollen sie die Politik in einem neuen Gremium gemeinsam beraten.

Von Markus Balser und René Hofmann, Berlin

Die neue Bundesregierung baut die wissenschaftliche Beratung in der Corona-Krise aus und setzt bereits von dieser Woche an ein neues Expertengremium ein. Die Pandemiebekämpfung solle sich stärker auf wissenschaftliche Expertise stützen, kündigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an. Dem Gremium sollen nach Angaben aus Regierungskreisen unter anderem Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, sowie Hendrik Streeck, Leiter des Virologischen Instituts der Uniklinik Bonn, angehören. "Wir werden bereits Dienstag zusammenkommen und das weitere Vorgehen beraten", kündigte Lauterbach an.

Insgesamt sollen dem neuen Expertenrat 19 Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen angehören. Das Gremium gilt auch als Versuch, die verschieden Positionen künftig geräuschloser zusammenzubringen. Beide Experten hatten sich in der Vergangenheit immer wieder öffentlich sehr unterschiedlich zur Bewältigung der Krise geäußert. Anders als Drosten war Streeck unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht zu Corona-Beratungen hinzugezogen worden.

In dem Gremium sollen sich künftig wöchentlich unter anderem Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Charité-Chef Heyo Kroemer und der Intensivmediziner Christian Karagiannidis (Divi-Intensivregister) austauschen. Teilnehmen sollen auch die Kinder- und Jugendmediziner Jörg Dötsch und Reinhard Berner. Sie hatten immer wieder auf die Folgen der Corona-Einschränkungen für Kinder und Jugendliche hingewiesen.

Die Regierung deutete an, dass sie auch zu einschneidenden Maßnahmen bereit ist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) plädierte am Sonntag dafür, im Kampf gegen die Corona-Pandemie beim Ergreifen von Gegenmaßnahmen flexibel zu bleiben. "Es darf keine roten Linien geben, das hat uns diese Pandemie nun wirklich gezeigt. Wir müssen immer bereit sein umzudenken, wenn die Umstände es erfordern", sagte er der Bild am Sonntag. Dann müsse man schnell und entschlossen handeln.

Impfzentren sind vielerorts überlastet

Ein Problem bleibt im Kampf gegen die Pandemie allerdings vielerorts die bereits hohe Auslastung der Impfzentren. Die Kapazitäten der Einrichtungen waren über den Sommer in vielen Regionen des Landes stark heruntergefahren worden. Nun kann der Ansturm der Impfwilligen mitunter kaum bewältig werden.

Wie groß dieser Ansturm ist, belegen Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI): Nach seinen Erhebungen gab es etwa in Bayern zuletzt fast eine Million Impfungen pro Woche. Demnach hätten sich die Impfzahlen in zwei Wochen fast verdoppelt. Die Aussichten, schnell einen Termin zu bekommen, sind regional aber sehr unterschiedlich. Am Sonntagnachmittag wurden in Augsburg zum Beispiel so gut wie keine Gelegenheiten angeboten und in München immer wieder nur wenige, deutlich besser sah es in Nürnberg, Regensburg oder Würzburg aus - zumindest zeitweise.

Die Termine werden von den Impfzentren freigeschaltet, sobald sie verfügbar sind. Dies führt dazu, dass Impfwillige in Regionen mit einer großen Nachfrage eine gewisse Beharrlichkeit mitbringen müssen. Weil es anders als zum Start des Systems inzwischen keine Wohnortbeschränkung oder Priorisierung nach Altersstufen mehr gebe, könne das zu Benachteiligungen führen, räumen Verantwortliche ein. So sei es gut möglich, dass ein internetaffiner, mobiler 18-Jähriger eher an eine Booster-Impfung komme als ein 80-Jähriger, hat die Münchner Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek beobachtet.

An der bayerischen Landeshauptstadt lassen sich die Herausforderungen, die sich vielerorts stellen, besonders gut beschreiben: Händeringend wurde zuletzt Personal gesucht, damit die städtischen Impfzentren wieder im einstigen Umfang betrieben werden können. Im größten in der Messe Riem wird nun wieder an sieben Tagen die Woche geimpft statt wie zwischenzeitlich nur an fünf. Rund 60 Impfteams beschäftigt die Stadt aktuell, von denen jedes pro Tag rund 130 Impfungen verabreicht. Bis Januar werden noch zehn weitere hinzukommen.

Engpässe bei den Vakzinen

Der Rekord der an einem Tag in München durch sie verabreichten Impfdosen steht bei 9000. Diese Marke soll ab Januar wieder erreicht werden können. Hinzu kommen die von den Hausärzten verabreichten Dosen - zuletzt rund 13 000. Eine deutliche Steigerung in diesem Segment erscheint kaum mehr möglich, da auch die Münchner Ärzte über Engpässe bei der Impfstoffbestellung berichten.

Am Montag beginnt in Deutschland auch die Impfung von Kindern. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) rief dazu auf, großflächig Impfungen für fünf- bis elfjährige Kinder anzubieten. Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine Impfung von Kindern von fünf bis elf Jahren, die Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf oder Angehörige mit hohem Risiko haben. Außerdem können Eltern nach individueller Aufklärung auch ihre gesunden Kinder impfen lassen.

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