Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Viele Versuche, die Impfpflicht zu untergraben

Im Dezember wurde beschlossen, dass sich Beschäftigte in Kliniken und Heimen gegen Corona impfen lassen müssen. Seitdem wurden die Kritiker immer lauter. Dass Bayern das Vorhaben nun aussetzt, ist nur der vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung.

Von Kassian Stroh

Deutschland tut sich schwer mit dem Thema Corona-Impfpflicht. Eine allgemeine soll es irgendwann geben, das Vorhaben kommt im Bundestag aber nicht recht voran. Beschlossen ist bisher lediglich eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht für das Gesundheitswesen und die Pflege. Doch selbst ob die kommt, erscheint nun als fraglich. Als erstes Bundesland hat Bayern am Montag angekündigt, sie vorerst nicht umzusetzen; die CDU fordert dasselbe. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Reihe von Versuchen, das Vorhaben noch zu Fall zu bringen. Ein Rückblick.

10. Dezember 2021

Andere Länder wie beispielsweise Frankreich haben sie bereits seit Monaten, nun kommt die Teil-Impfpflicht für bestimmte Berufe auch in Deutschland. Genauer gesagt: Damit sich Ungeimpfte noch ihre Spritzen holen können, kommt sie am 15. März 2022. Wer in einer Klinik oder Arztpraxis, einem Pflegeheim oder Geburtshaus, für einen Rettungs- oder Pflegedienst arbeitet, muss von da an nachweisen, dass er gegen das Coronavirus geimpft oder von Covid-19 genesen ist. Die politische Zustimmung ist breit: Im Bundestag stimmen 571 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der neuen Ampelkoalition, 80 dagegen, 38 enthalten sich. Der Bundesrat, in dem die Regierungen der 16 Länder sitzen, stimmt in seiner Sondersitzung sogar einstimmig zu.

Gleichwohl ist in den Wochen zuvor Kritik an dem Vorhaben laut geworden: zum einen die generelle Frage, ob es zulässig ist, Menschen eine bestimmte Impfung vorzuschreiben. Zum zweiten die Sorge, dass Beschäftigte in der Folge kündigen könnten, was den großen Mangel an medizinischem Fach- und Pflegepersonal weiter verschärfen könnte. Und schließlich ist nicht so ganz klar, was passiert, wenn sich ein Pfleger weigert, sich impfen zu lassen. Wird er dann abgemahnt, muss ihm gekündigt werden? Das Gesetz bleibt hier vage. Die örtlichen Gesundheitsämter sollen solchen Menschen Tätigkeitsverbote auferlegen können; sie sollen in Zweifelsfällen auch ermitteln, ob jemand wirklich gegen Corona geimpft ist oder nicht. Diese Regelungen werden in den kommenden Wochen noch wichtig werden.

Mitte Dezember 2021

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat schon seit Längerem für Februar eine allgemeine Impfpflicht in Aussicht gestellt - also eigentlich noch bevor die einrichtungsbezogene in Kraft tritt. Und wegen dieser allgemeinen beginnt es nun in seiner Koalition zu rumoren. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP zum Beispiel opponiert dagegen und findet Mitstreiter. Manche von ihnen argumentieren, die Impfpflicht für Ärztinnen und Pfleger sei zwar richtig gewesen, die allgemeine Pflicht schieße aber über das Ziel hinaus. Beide Debatten lassen sich kaum voneinander trennen.

25. Dezember 2021

Die Politik ist in der Weihnachtspause, die Debatte ruhig. Nur der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) meldet sich zu Wort und fordert eine allgemeine Impfpflicht und harte Strafen für Verweigerer. Sie müsse nahezu gleichzeitig mit der einrichtungsbezogenen im März kommen, der Gleichbehandlung wegen. Andernfalls fühlten sich viele Beschäftige in den Gesundheits- und Pflegeberufen stigmatisiert. Bayern wird in der Debatte noch eine wichtige Rolle spielen - nur eine ganz andere als noch im Dezember.

Anfang Januar

Droht in den Pflegeheimen und Kliniken nun ein größerer Personal-Exodus? Betreiber und Gewerkschaften sind sich unsicher, die Signale sind widersprüchlich. In Zeitungen oder Anzeigenblättern erscheinen immer wieder Anzeigen ungeimpfter Pflegekräfte, die angeblich von Mitte März an eine neue Stelle suchen. Manchmal sind es Dutzende in einer Ausgabe. Recherchen von Journalisten zeigen: Manche Annoncen stammen tatsächlich von impfunwilligen Pflegekräften, doch viele sind erfunden.

Mitte Januar

Zunehmend melden sich Verbände zu Wort, die über Unklarheiten bei der Umsetzung klagen. Was geschieht mit ungeimpften Mitarbeitern zwischen dem 15. März und einem möglichen Tätigkeitsverbot durch das Gesundheitsamt, fragt die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Dürfen sie so lange weiterarbeiten, sind sie freizustellen? Die Gewerkschaft Verdi sagt klar, ihnen dürfe nicht gekündigt werden. Entsprechend werde man Mitglieder auch vor Gericht unterstützen.

Auch die Zweigleisigkeit von allgemeiner und berufsbezogener Impfpflicht scheint viele Betroffene umzutreiben. Beispielhaft dafür steht die Vereinigung der Pflegenden in Bayern, die sich am 18. Januar zu Wort meldet und fordert, die einrichtungsbezogene auszusetzen und stattdessen eine allgemeine zu beschließen. Denn die Mehrheit der Beschäftigten in der Pflege sei ohnehin geimpft und geboostert, eine Impfpflicht nur für sie empfänden sie als Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens, sagt Verbandschef Georg Sigl-Lehner.

22. Januar

Für die Umsetzung der Impfpflicht sind die Länder zuständig. Und die streiten nun mit dem Bund darüber, wie das vonstattengehen soll. Die meisten wollen das nicht selbst klären, sondern fordern ein bundesweit einheitliches Vorgehen. Der Bund müsse dafür "rechtssichere Kriterien" vorlegen - etwa für die Frage: Wer prüft die Nachweise der Beschäftigten? In einer gemeinsamen Videokonferenz aller Gesundheitsminister gibt es aber "kein Einvernehmen mit dem Bund". Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) argumentiert laut Protokoll, er könne nur Ratschläge geben, keine "Voraussetzungen für den Vollzug schaffen", da die Kompetenz dafür bei den Ländern liege.

24. Januar

Kanzler Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder treffen sich per Video. In ihrer gemeinsamen Erklärung steht später, man wolle verstärkt fürs Impfen werben, an der Idee einer allgemeinen Impfpflicht halte man fest. Zur einrichtungsbezogenen findet sich darin kein Wort. Nur so viel: Die Länder wollen zusammentragen, wie hoch die Impfquote in den entsprechenden Einrichtungen sei, der Bund prüfe "die Möglichkeiten eines flächendeckenden Monitorings".

In Bautzen erregt am selben Abend der Auftritt eines CDU-Kommunalpolitikers Aufsehen: Udo Witschas, der stellvertretende Landrat, sagt da bei einer Rede: "Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird ab dem 16. 3., dann werden wir unseren Mitarbeitern im Pflege- und medizinischen Bereich kein Berufs- oder Betretungsverbot erteilen." Er wird bejubelt, auch Rechtsextreme verbreiten das Video seiner Rede. Anderntags lässt Witschas wissen, er sei missverstanden worden: Er habe die Gesetzeslage nicht infrage gestellt, halte jedoch an der Forderung nach einer Aussetzung oder Aufhebung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fest.

Ende Januar/Anfang Februar

Da der Bund keine Vollzugsregeln vorlegen will, gewöhnt man sich in der bayerischen Staatsregierung an den Gedanken, dies doch selber tun zu müssen, "damit die Versorgung nicht gefährdet ist", wie Gesundheitsminister Holetschek sagt. Dies einfach "bei den ohnehin hochbelasteten Gesundheitsämtern oder den Arbeitgebern" abzuladen, gehe nicht.

In Mecklenburg-Vorpommern schreiben die Landräte derweil an die Ministerpräsidentin, ihre Gesundheitsämter könnten die Impfpflicht nicht umsetzen. Sie seien überlastet. Auch der Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, klagt, viele Verfahrensfragen seien unklar: "Hier stochern im Moment alle im Nebel." Die Landräte in Sachsen fordern geschlossen, die Einführung der Impfpflicht zu verschieben, die Krankenhausgesellschaft verlangt Übergangsfristen.

7. Februar

Der erste Ministerpräsident geht von der Stange, es ist der bayerische: Markus Söder kündigt für sein Land "großzügigste Übergangsregelungen" an und räumt unumwunden ein, das bedeute faktisch, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ausgesetzt werde - womöglich für Monate. Unterstützt von den Grünen und den Gesundheitspolitikern der SPD geißelt Lauterbach das scharf: Auch Bayern müsse das Gesetz ernst nehmen, es gehe um den Schutz gefährdeter Menschen und um die Glaubwürdigkeit von Politik.

Doch CSU-Chef Söder bleibt damit nicht allein: Nur vier Stunden nach ihm fordert auch CDU-Chef Friedrich Merz, die Impfpflicht in Gesundheit und Pflege auszusetzen. Das sei die "ganz einhellige Meinung" der CDU-Spitze, denn die Bundesregierung lasse die Einrichtungen und ihre Beschäftigten alleine, sagt Merz. Und für ihn scheint dieser 7. Februar der Einstieg in den Ausstieg aus dem ganzen heiklen Thema Impfpflicht zu sein: "Wir müssen noch einmal neu darüber nachdenken, wie wir mit diesem Thema Impfpflicht umgehen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5524200
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.