Corona:"Die Kinder müssen es ausbaden"

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Homeschooling am Familienesstisch (Symbolbild) (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Nicole Reese, Juraprofessorin in Bielefeld, gehört zu einer Gruppe von Eltern, die mit einer Klage die Öffnung der Schulen in Nordrhein-Westfalen erzwingen wollen - trotz aller Warnungen, dass Präsenzunterricht die Ausbreitung des Virus beschleunigt.

Von Paul Munzinger, München

"Das Recht auf Bildung der Antragstellerin und aller Kinder in Nordrhein-Westfalen wird vorliegend auf das Gröbste, Einfallsloseste und Unnötigste verletzt", heißt es in einer Normenkontrollklage, die am Mittwoch beim nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster eingegangen ist. Die Antragstellerin ist eine Zweitklässlerin aus Düsseldorf, hinter ihr steht eine Gruppe von Eltern, die sich den Namen "Klage für Bildung" gegeben hat. Ihr Ziel: Die Öffnung der Schulen in NRW per Eilantrag zu erzwingen. Der Gruppe gehört auch Nicole Reese an, Juraprofessorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Bielefeld und Mutter von vier Kindern. Ihre drei Töchter gehen in die 2., 4. und 8. Klasse, ihr Sohn in die 6.

Frau Reese, gemeinsam mit anderen Eltern klagen Sie gegen den Distanzunterricht an Grundschulen. Würden Sie sich wirklich wohlfühlen, wenn Ihre Kinder im Moment zur Schule gingen?

Ja. Ich glaube, dass die Schulen so gute Hygienekonzepte haben, dass das funktioniert. Ansteckungen an Grundschulen sind extrem selten, und für Kinder ist Corona sowieso ungefährlich. Ich würde mich freuen, wenn meine Kinder wieder in die Schule gehen könnten. Distanzunterricht ist eine Überforderung für alle, insbesondere für Grundschüler.

Corona mag für Kinder weniger gefährlich sein als für Erwachsene, aber bei den Schulschließungen geht es ja auch darum, Ansteckungen zu unterbinden. Und Schulen spielen durchaus eine Rolle im Infektionsgeschehen, darüber herrscht doch mittlerweile Einigkeit.

Die einen Studien sagen das, die anderen sagen jenes, aber Fakt ist: An Schulen hat es kaum große Ausbrüche gegeben und wenn doch, waren es Einzelfälle. Die Datenlage ist schlecht, aber oft genug waren es die Lehrer, die die Infektionen reingetragen haben von außen. Und wenn es Fälle gab, dann bei Kindern ab 14 Jahren. An den Grundschulen, und auf die bezieht sich ja unsere Klage, gab es ganz wenige Infektionen. Grundschulen sind nicht das Problem.

Sie würden also nur die Grundschulen öffnen?

Nein, ich würde mindestens bis zur 6. oder 7. Klasse die Schulen öffnen. Diese Schüler brauchen noch viel mehr Anleitung als die größeren. Ich sehe das an meinem Sohn. Der ist total chaotisch und hoffnungslos überfordert.

Eine Schweizer Studie kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Schulschließungen schon deshalb effektiv sind, weil sie die Mobilität der Menschen massiv einschränkt. Es geht also nicht nur um Kinder, sondern auch um ihre Eltern.

Wenn mein Ziel ist, dass die Eltern sich weniger bewegen, warum sorge ich dann nicht dafür, dass sie im Home-Office arbeiten? Statt den Schülern kann ich doch auch die Eltern zu Hause lassen. Irland hat es genauso gemacht, die haben ein hervorragendes Hygienekonzept und die Schulen trotz Lockdown offen gelassen.

Die Corona-Maßnahmen sind also nicht zu hart, sondern falsch gewichtet?

Warum kann ich noch auf die Malediven fliegen? Warum kann ich noch eine Reise auf dem Kreuzfahrtschiff buchen? Warum gehen so viele Menschen immer noch zur Arbeit? Mein Mann arbeitet bei der Justiz. Die Mitarbeiter sind überwiegend im Büro, weil sie keine internetfähigen Rechner haben. Das ist eine falsche Prioritätensetzung. Die Kinder müssen es ausbaden.

Wie sieht denn gerade Ihr Alltag aus?

Heute habe ich das Glück, im Büro zu sein, deshalb habe ich auch gerade Muße, mit Ihnen zu telefonieren. Mein Mann ist zu Hause. Er ist heute, an Tag drei des Distanzunterrichts, am Ende seiner Kräfte. Wir sind in einer guten Situation, haben beide ein gutes Einkommen, aber auch wir haben nicht genügend Endgeräte, damit meine vier Kinder gleichzeitig damit arbeiten können. Sie müssen sich abwechseln, sie müssen warten. Bei unserem Sohn hat schon am zweiten Tag die Lernplattform nicht funktioniert, sein Gehirn will er sowieso nicht anstrengen. Unsere Tochter war heute nach sechs Stunden synchroner Online-Lehre schon völlig erschlagen, morgen hat sie neun Stunden. Und unsere Kleinste würden wir am liebsten an einen Stuhl ketten, damit sie überhaupt sitzen bleibt.

Nicole Reese, Juraprofessorin und Mutter von vier Kindern. (Foto: Privat)

So wie es aussieht, werden Sie mit dieser Situation wohl noch länger klarkommen müssen.

Wenn unsere Kanzlerin ernst macht mit dem Lockdown bis März, dann weiß ich nicht, wie viele Eltern hinterher einen Burn-out haben, psychische Probleme, Belastungsstörungen. Das ist eine absolute Überforderung, auch der Eltern, vor allem aber der Kinder.

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