Corona:Wie Deutschlands Städte der Pandemie Herr werden wollen

Coronavirus - Corona-Neuinfektionen - Stuttgart

Fragile Lage: Eine Seifenblase schwebt vor Menschen mit Mund-Nasen-Schutz in Stuttgart.

(Foto: dpa)

Immer mehr deutsche Metropolen entwickeln sich zu Corona-Hotspots. Woran das liegt, und was die Politik nun dagegen unternehmen will.

Von Jan Bielicki und Kristiana Ludwig, Berlin

Die elf größten Städte in Deutschland haben jetzt eines gemeinsam, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag: "Eine hohe und zum Teil auch eine rapide wachsende Zahl an Corona-Infektionen". Erstmals hatte sie deswegen eine Telefonkonferenz der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister einberufen, an dessen Ende Versprechen standen: Spätestens dann, wenn eine Stadt die Grenze von 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb einer Woche erreicht habe, wolle der Bund Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Bundeswehr schicken, um den örtlichen Gesundheitsämtern beim Aufspüren der Kontaktpersonen zu helfen. Die Städte sagten zu, in ihren Verwaltungen und Hochschulen nach freiwilligen Helfern zu suchen.

Spätestens von einem Wert von 50 positiven Tests an sollen die Großstädte - ähnlich wie bereits in München geschehen - eine Maskenpflicht an öffentlichen Orten sowie Sperrstunden und Alkoholverbote erlassen, sagte Merkel. Sollte das alles nicht helfen, die Zahlen binnen zehn Tagen zu bremsen, "sind weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich", heißt es in dem Ergebnispapier der Runde. Dies könne die Regeln für Restaurants oder Fußballspiele betreffen, sagte sie. Das Verhalten der Städte in den nächsten Tagen und Wochen entscheide darüber, ob die Pandemie beherrschbar bleibe, "oder ob uns diese Kontrolle entgleitet".

Die Bürgermeister aus Berlin und Stuttgart machten jedoch auch deutlich, dass sie von den innerdeutschen Reisebeschränkungen, auf die sich die Ministerpräsidenten verständigt hatten, wenig hielten. Man wünsche sich Regeln, die für alle gelten. Bayern etwa verbot am Freitag die Beherbergung von Reisenden aus Gebieten, die auf den Landkarten des RKI alarmrot leuchten. Darunter sind immer mehr Städte. Am Mittwoch überschritt Bremen die Grenze von 50, tags darauf folgten Berlin und Frankfurt, auch Köln hat diesen kritischen Wert am Freitag fast erreicht. In München war das schon Ende September der Fall. Inzwischen liegt die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz dort wieder etwas unterhalb der Marke.

Zwar zeigt sich in anderen Großstädten wie Leipzig oder Hannover das Ansteckungsgeschehen längst nicht so virulent. Doch die Zahlen des RKI deuten darauf hin, dass sich das Virus in den Metropolen gerade besonders schnell verbreitet. So vertreten die elf Rathauschefs, mit denen sich die Kanzlerin austauschte, etwa 12,5 Millionen Menschen, also 15 Prozent von Deutschlands Gesamtbevölkerung. Allerdings wurden in ihren Städten 20 Prozent aller deutschen Corona-Infektionen registriert, und von den 4500 neuen Positiv-Fällen, die das RKI am Freitag meldete, war es sogar jeder vierte - ein besorgniserregendes Anzeichen für die Dynamik der Pandemie in den Städten.

Verwunderlich ist dieser Trend nicht. Dicht bevölkerte Städte bieten einem Virus eben günstigere Bedingungen als Dörfer im weiten Land. Hinzu kommen Millionen Pendler, die täglich in die Zentren drängen, zum Arbeiten, Einkaufen oder schlicht zum Feiern. Vor allem das Feiervolk in den Szenevierteln - je mehr dem Alkohol zugetan, desto weniger auf Abstand bedacht - ist ins Visier der Gesundheitsämter geraten, viele Maßnahmen wie Sperrstunden oder Alkoholverbote zielen auf das Nachtleben.

Aber was sollen die Städte sonst tun? Das Aufspüren von Infektionsketten erweist sich in der eng und oft anonym vernetzten Großstadt als besonders mühsam. Manche Stadtverwaltungen sind bereits jetzt überfordert. Die Zahlen stiegen "so sprunghaft", sagte Merkel, dass der Punkt, an dem die Kontaktverfolgung nicht mehr gelinge, mancherorts "schon beinahe erreicht zu sein scheint. Wenn das einmal so ist, dann breitet sich das Virus unkontrolliert und unkontrollierbar aus". Zwar helfen schon heute oft Bundeswehr und RKI-Mitarbeiter aus. Die Personalnot sei aber groß, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller: "Ich habe 200 offene Stellen". Es gebe nicht genügend Bewerber.

Das gleiche Bild zeigt sich in den Kliniken, von denen die größten in den Städten stehen und auch schwer erkrankte Covid-19-Patienten aus dem Umland versorgen. In den kommenden Wochen werde nicht die Zahl der Intensivbetten zum Problem, sondern der Mangel an geschulten Pflegekräften, sagte Ulrich Frei, Vorstand der Berliner Charité. Bereits jetzt registriere man eine steigende Zahl von Covid-19-Patienten und immer mehr infizierte Mitarbeiter. Der Chef des Universitätsklinikums Frankfurt, Jürgen Graf, konstatiert für den Großraum Rhein-Main ebenfalls eine "sehr kritische Situation". Zumal sich das Virus auch jenseits der Städte verbreitet. Die Landkreise Esslingen, Wesermarsch, Cloppenburg, Vechta etwa liegen derzeit ebenfalls deutlich oberhalb der 50er-Alarmmarke.

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