Süddeutsche Zeitung

Corona-Maßnahmen:Mit der Notbremse gegen die dritte Welle

Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass künftig in allen Landkreisen und Städten einheitliche Regeln bei der Bekämpfung der Pandemie gelten. Was heißt das für die Bürger? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Paul Munzinger und Rainer Stadler

Wiederholt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Wochen erkennen lassen, dass sie mit der Pandemiebekämpfung der Länder unzufrieden ist. Für Öffnungsexperimente in Zeiten von steigenden Corona-Fallzahlen zeigte sie kaum Verständnis. Nun will sie alle Alleingänge stoppen und mit bundesweit einheitlichen Maßnahmen die dritte Welle eindämmen. Das Bundeskabinett hat entsprechende Änderungen des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Was kommt auf die Bürger zu? Und wie sinnvoll sind die Maßnahmen?

Die zentralen Beschlüsse

Wenn ein Landkreis den Inzidenzwert 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschreitet, tritt die Notbremse in Kraft. Es gilt dann eine Ausgangssperre, die eigene Wohnung darf von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens nicht verlassen werden. Der Einzelhandel wird weitgehend geschlossen. Lebensmittelhändler, Buchläden und Gartenmärkte dürfen weiter öffnen. Gastronomie, Freizeit- und Kultureinrichtungen müssen schließen, Sport ist grundsätzlich ebenfalls untersagt. Lediglich Individualsport wie Joggen ist allein, zu zweit oder zusammen mit Angehörigen des eigenen Haushalts erlaubt. Ausgenommen sind außerdem Veranstaltungen des Profisports, ohne Zuschauer. Private Treffen im eigenen Haushalt sind nur mit einer Person erlaubt, maximal dürfen sich fünf Personen begegnen.

Wer ist von den neuen Regeln ausgenommen?

Demonstrationen und Gottesdienste fallen nicht unter die Beschränkungen des Gesetzesentwurfs. Die nächtliche Ausgangssperre gilt nicht für "gewichtige und unabdingbare Gründe" - etwa berufliche Tätigkeiten oder medizinische Notfälle. Auch bei privaten Treffen gibt es Ausnahmen: Veranstaltungen anlässlich von Todesfällen etwa sind mit bis zu 15 Teilnehmern möglich. Gastronomen dürfen weiter Speisen und Getränke ausliefern oder zum Mitnehmen anbieten. Kundennahe Dienstleistungen zu "medizinischen, therapeutischen, pflegerischen und seelsorgerischen Zwecken" sind ebenfalls erlaubt. Auch Friseurbetriebe dürfen weiter arbeiten, sofern Kundinnen und Kunden einen gültigen, negativen Covid-Test vorlegen können.

Wie wirksam sind Ausgangssperren?

Da eine Übertragung des Virus im Freien grundsätzlich als eher unwahrscheinlich gilt, sind Ausgangssperren umstritten. Abends allein oder zu zweit spazieren zu gehen, stelle "keine große Gefahr" dar, sagt etwa Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Die Bundesregierung argumentiert, die Ausgangsbeschränkungen würden "der Kontrolle und Beförderung der Einhaltung der allgemeinen Kontaktregeln dienen und die Entstehung unzulässiger Kontakte und neuer Infektionsketten verhindern". Sie nennt dafür mehrere Studien aus anderen Ländern.

Fakt ist, dass Länder wie Großbritannien oder Portugal, die einen starken Anstieg der Corona-Fallzahlen aufgrund mutierter Virusformen verzeichneten, strikte Ausgangssperren verhängten. Die Fallzahlen sanken daraufhin. Die Bundesregierung hofft jedenfalls, "die Mobilität in den Abendstunden" und "bisher stattfindende private Zusammenkünfte", denen "ein erhebliches Infektionsrisiko" zukomme, mit der Ausgangssperre zu begrenzen.

Worauf müssen sich die Schulen vorbereiten?

Bei den Schulen nimmt der Bund den Ländern das Heft des Handelns erst ab einer Inzidenz von 200 aus der Hand. Jede Form des Präsenzunterrichts ist dann untersagt, egal ob die Klassen ganz, zur Hälfte oder zu einem Drittel im Schulgebäude sind. Distanzunterricht ist Pflicht.

Für Länder wie Sachsen-Anhalt oder Hamburg ändert sich nichts, weil sie ihre Schulen auch bisher spätestens bei einer Inzidenz von 200 schließen. Andere Länder schicken ihre Schülerinnen und Schüler schon früher in den Distanzunterricht, Bayern etwa tut dies bei einer Inzidenz von 100. Abschlussklassen sind überall ausgenommen, das sieht auch das neue Infektionsschutzgesetz vor.

Verändern wird sich die Situation dagegen etwa in Sachsen. Dort öffneten die Schulen nach Ostern "inzidenzunabhängig". Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) hatte die Pläne schon am Wochenende kritisiert und von einer Gefahr für den Bildungsföderalismus gesprochen. Lehrerverbänden dagegen ist eine Obergrenze von 200 für Präsenzunterricht zu hoch.

Eine Schul-Maßnahme aber gibt es, die der Bund den Ländern auch unterhalb dieses Werts vorschreiben will: Das neue Gesetz sieht eine Testpflicht vor, zweimal die Woche, für Lehrende und Lernende. Auch das gibt es bereits in vielen Ländern. Einige, etwa Mecklenburg-Vorpommern, setzen beim Testen bisher auf Freiwilligkeit.

Wann treten die neuen Regeln in Kraft, wie lange gelten sie?

Der Beschluss des Kabinetts geht nun an Bundestag und Bundesrat. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin drängt angesichts steigender Patientenzahlen in den Intensivstationen auf Umsetzung der Regeln noch in dieser Woche. Gegen die rasche Verabschiedung des Gesetzes spricht allerdings, dass mehrere Länderminister Diskussionsbedarf angemeldet haben.

Im Entwurf ist vorgesehen, dass die Notbremse erst wieder ausgesetzt wird, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz im betroffenen Landkreis an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter dem kritischen Wert von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner liegt. Grundsätzlich sollen die Regeln "nur so lange gelten, wie der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellt.

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