Angesichts dynamisch ansteigender Infektionszahlen will die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern prüfen, welche Gegenmaßnahmen eine vierte Corona-Welle abwenden könnten. "Wir wollen keine allgemeine Impfpflicht durch die Hintertür", betonte eine Regierungssprecherin. "Wir wollen aber alles tun, um eine Situation, wie wir sie im Frühjahr hatten zu vermeiden." Für diese Strategie ist es nach ihren Angaben relevant, dass bereits geimpfte oder genesene Menschen nicht wesentlich zum Infektionsgeschehen beitragen - im Gegensatz zu Menschen, die nur einen negativen Schnelltest vorweisen können.
Am Wochenende war eine Debatte darüber entbrannt, ob deshalb Einschränkungen für Nicht-Geimpfte eingeführt werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) stieß auf heftigen Widerspruch. Deutlich sprach sich FDP-Chef Christian Lindner dagegen aus. Nach seiner Auffassung sollten "Geimpfte, Genesene und negativ Getestete" gleich behandelt werden, von ihnen gehe keine besondere Gefahr aus, sagte Lindner.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schließt dagegen offenbar Einschränkungen für Ungeimpfte nicht aus. Das Wichtigste sei zunächst, jedem ein Impfangebot zu machen, sagte sie am Montag beim Wahlkampfauftakt der Brandenburger Grünen für die Bundestagswahl in Michendorf. "Und dann im nächsten Schritt, wenn das geleistet worden ist, darüber zu sprechen, dass in manchen Bereichen Leute, die geimpft sind, Dinge tun können und andere nicht", erklärte Baerbock.
Bundesfamilien- und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bekräftigte am Montag ihre Ablehnung einer Impfpflicht. Die Ministerin sprach sich gegenüber dem Deutschlandfunk zudem dafür aus, bei dem bisherigen Verfahren zu bleiben, dass Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete gleiche Zugänge etwa zu Veranstaltungen haben. Die Ministerin sagte aber, man könne darüber nachdenken, ob Corona-Tests weiter kostenlos sein sollten.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Montag für Deutschland 958 neue Positiv-Tests. Das sind 412 mehr als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 14,3. Innerhalb einer Wochen seien die Fallzahlen um 75 Prozent gestiegen, erklärte eine Sprecherin der Bundesregierung. "Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, müssen wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen."
Mittlerweile ist fast die Hälfte der Menschen in Deutschland vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Allerdings ist zuletzt die Zahl der täglichen Impfungen stark gesunken. Laut Gesundheitsministerium ist es nun von besonderer Bedeutung, Bürgerinnen und Bürger mit dem Angebot einer Impfung zu erreichen, die sich bisher noch nicht dafür entschieden haben. Dafür seien niedrigschwellige Angebote vor Ort besonders wichtig: "Es besteht weniger ein Mangel an Information als mehr ein Mangel an Gelegenheit."
Eine Impfung gilt als bester Schutz vor dem Coronavirus, perfekt ist sie allerdings nicht. Die in Europa zugelassenen Impfstoffe schützen zwar sehr zuverlässig vor einer Infektion, doch können in seltenen Fällen auch Geimpfte erkranken und das Virus weitergeben. Wie oft das vorkommt, dazu sind die Daten noch sehr lückenhaft. Seit Beginn der Impfkampagne im vergangenen Dezember hat das Robert-Koch-Institut etwas mehr als 6000 sogenannte "Impfdurchbrüche" registriert.
Allerdings ist der Immunschutz nicht wie ein Lichtschalter, den man an- oder ausknipst. Geimpfte, die sich infizieren, haben in aller Regel weit mildere Krankheitsverläufe als Ungeimpfte. In den meisten Fällen gibt jemand, der nur leicht erkrankt, das Virus seltener weiter, als jemand mit einem heftigen Krankheitsverlauf.
Ein negativer Virustest bedeutet immer nur eine Momentaufnahme. Schnelltests sind weit weniger zuverlässig als ein Virus-Test per PCR. Sie sind gut darin, in wenigen Minuten Menschen aufzuspüren, die zum Testzeitpunkt hochinfektiös sind und meistens bereits Symptome spüren. Produzieren diese Menschen hingegen weniger Viren, etwa weil sie sich erst vor kurzem infiziert haben oder ihre Infektion bereits wieder abklingt, so scheitern die Schnelltests, während PCR-Tests noch immer Erreger aufspüren können.
Doch auch das hochempfindliche Testverfahren kann nicht erkennen, an welchem Punkt im Infektionsverlauf sich die Testperson gerade befindet. Da jedoch etwa 40 Prozent aller Infektionen von Menschen ausgehen, bevor diese erste Symptome spüren, reichen unregelmäßige Tests nicht aus, um die meisten Infektionen zu verhindern. Eine möglichst hohe Impfquote über 80 Prozent ist also weitaus besser geeignet, das Virus zu bremsen, als regelmäßige Tests.