Corona-Demos:Auch Spinner können gefährlich werden

Corona-Demos: Ein Schild steht während einer Demonstration gegen Corona-Beschränkungen vor der Residenz in München.

Ein Schild steht während einer Demonstration gegen Corona-Beschränkungen vor der Residenz in München.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Innenminister der Länder warnen vor gezielten Falschmeldungen zur Corona-Pandemie durch Extremisten und Verschwörungstheoretiker. Muss der Verfassungsschutz die Sache in den Blick nehmen?

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Vom kommenden Mittwoch an treffen sich in Erfurt die Innenminister der Länder und des Bundes zu einer ihrer Konferenzen, alle reisen persönlich an, trotz Corona. Lange war überlegt worden, nur per Video zu konferieren, oder vielleicht nur ganz schnell an einem einzigen Tag und ohne den üblichen Stab an Mitarbeitern. Jetzt wird fast alles so sein wie früher. Volles Haus - unter Einhaltung der Abstandsregelungen.

Über ein Thema, das zeichnet sich ab, wird besonders viel diskutiert, vermutlich auch gestritten werden. Es geht um Top 3 auf der Tagesordnung, um "gezielte Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen" in Corona-Zeiten. Noch vor Wochen hatten Regierungen in Bund und Ländern mit großer Sorge auf Demonstrationen gegen die Kontaktbeschränkungen geschaut, an vielen Orten tauchten Verschwörungserzähler und Rechtsextreme auf. Man fürchtete eine Art Corona-Pegida.

Unterirdische Tötungsfabriken - davon war die Frau überzeugt, die 1990 auf Lafontaine einstach

Inzwischen sind die Proteste wieder abgeebbt, aber Sorgen dennoch geblieben. So notiert das Bundeskriminalamt in einem Lagebild, dass sich dies ändern könne, wenn die "wirtschaftlichen Konsequenzen" für "größere Teile der Arbeitnehmerschaft" bemerkbar würden. Dann könne ein "erneutes Anwachsen von Stressbelastung und Unzufriedenheit" die Folge sein - und ebenso eine Anfälligkeit für Verschwörungsmythen. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warnte unlängst davor, dass Corona Deutschland stärker spalten könnte als die Flüchtlingskrise 2015.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) demonstriert dagegen Gelassenheit. Anfang Juni trug er im Kabinett seine Einschätzung vor. Ja, es gebe Verschwörungstheorien und auch den Versuch extremistischer Gruppierungen, die Proteste zu kapern. Auch russische Staatsmedien versuchten, "einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben", China dagegen bastele an seinem Bild als geschickter Krisenmanager. Das alles müsse man ernst nehmen, sagte Seehofer. Aber er plädiere dafür, durch transparente Kommunikation zu reagieren und die Sache nicht größer zu machen, als sie sei. Die Maßnahmen der Regierung - und auch die Berichterstattung der Medien - genössen ein großes Vertrauen. Darauf solle man setzen.

In Politik und Sicherheitsbehörden ist diese Sicht nicht unumstritten. Die EU-Kommission macht in ihrem jüngsten Bericht über Desinformation "vor allem kremlfreundliche Quellen" wie "Russia Today" für inzwischen fast 500 Fälle gezielter Irreführung im Zusammenhang mit Corona verantwortlich. Und sie warnt, Fake News seien nicht nur für die Gesundheit gefährlich, wenn falsche Heilmittel propagiert würden. Gerüchte über einen angeblichen Zusammenhang zwischen dem 5G-Mobilfunknetz und der Pandemie hätten schon zu mehreren Brandanschlägen auf die Telekommunikationsinfrastruktur in ganz Europa geführt.

So wird vor der Innenministerkonferenz intensiv debattiert, ob der Verfassungsschutz die Entwicklung breit in den Blick nehmen solle. Die Befürworter verweisen darauf, dass dies notwendig sei, um herauszufinden, welche Rolle ausländische Akteure und Extremisten wirklich spielen. Die Skeptiker weisen darauf hin, dass man sehr aufpassen müsse, nicht jene zu stigmatisieren, die einfach Sorgen um ihren Arbeitsplatz haben oder verzweifelt und erschöpft sind. Auch Laschet gehört zu jenen, die intern dafür plädieren, nicht überzureagieren. Einig sind sich die beiden Lager allerdings in ihrer Einschätzung, dass die Bereitschaft in der Gesellschaft abgenommen habe, sich klar abzugrenzen - und nicht gemeinsam mit Spinnern oder Extremisten auf die Straße zu gehen.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) zählt zu denen, die zur Tat schreiten wollen. Er mahnt, man dürfe nicht einfach schmunzeln über Sänger und Fernsehköche, die plötzlich Bill Gates für den Anführer einen Verschwörung halten, um die Menschheit mit Gift zu impfen. "Ich erinnere mich, wie wir vor drei, vier Jahren Witze über 'Reichsbürger' gemacht haben, als seien das alles nur harmlose Spinner, die an eine BRD GmbH glauben." Dann wurde deutlich, dass sie Strukturen aufbauen, sich Waffen besorgen. Der Thüringer Minister plädiert dafür, das Phänomen besser früh als spät ernst zu nehmen.

Manche Sicherheitsfachleute erinnern an den Fall der Arzthelferin, die im April 1990 auf den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine mit einem Messer einstach und ihn lebensgefährlich am Hals verletzte. Hinterher gab sie Verschwörungsmythen zu Protokoll, denen zufolge es unterirdische Tötungsfabriken etwa unter dem Frankfurter Flughafen gebe. In vielen Behörden kennt man auch die Briefe einzelner Bürger, die beklagen, von Geheimdiensten überwacht oder mit Strahlung verfolgt zu werden. Auch beim Generalbundesanwalt war am 8. November 2019 ein solches Schreiben eingegangen, unterzeichnet von einem Tobias R., und wie in vielen Fällen wurde es folgenlos beiseitegelegt. Aber dann schlug Tobias R. im Februar in Hanau zu, er erschoss neun Menschen.

Die Nähe von Verschwörungsglauben und Rassismus sei nicht zu unterschätzen, die rechtsextreme Szene verknüpfe derzeit "die Pandemie mit ihren bestehenden ,Tag X'-Szenarien über einen vermeintlich absehbaren Systemzusammenbruch mit Schuldzuweisungen", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Dies richte sich gegen "Asylbewerber und Migranten, teils auch Juden". Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) fügt hinzu: "Extremisten versuchen, diese Mythen mit ihrer Ideologie zu vermischen. Die Mischung ist dann noch gefährlicher."

Andererseits gibt es auch im Verfassungsschutz den Hinweis auf klare rechtliche Grenzen. Für Gegner der Schulmedizin oder des Mobilfunks ist der Dienst nun mal nicht zuständig, nur für Gegner der Demokratie. Seine scharfen Instrumente zur Überwachung sind nicht gegen Esoteriker oder Impfgegner erlaubt, sondern nur, wo es um "Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" geht. Diese Hürde ist hoch. Das Verbreiten von Fake News ist derzeit nicht einmal strafbar, auch die Polizei hat daher bislang kein Mandat, um hier einzugreifen.

Für die Debatte der Innenminister in Erfurt liegt jetzt ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch. Man beobachte, dass die "Corona-Pandemie von Extremisten, Verschwörungstheoretikern sowie nachrichtendienstlichen Akteuren fremder Staaten ausgenutzt" werde, heißt es in einem Beschlussvorschlag für die Konferenz. Sie versuchten, "Ängste und Unruhe in der Bevölkerung zu schüren" und die "Bemühungen des Staates zu unterminieren, die Menschen vor den Auswirkungen der Pandemie zu schützen". So weit, so eindeutig.

Allerdings sollen die für Polizei und Nachrichtendienste zuständigen Arbeitskreise der Innenministerkonferenz erst einmal ein umfassendes "Sonderlagebild" vorlegen. Das Ausmaß des Problems soll beobachtet und vermessen werden. Zudem wollen die Innenminister Vorschläge erarbeitet sehen, wie man auf solche Phänomene künftig schneller und besser reagieren kann. Auch für künftige Fälle.

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