Süddeutsche Zeitung

Querdenker-Demo:Und dann zischt der Wasserstrahl

Lesezeit: 3 min

In Frankfurt versammelten sich 2000 Gegner der Kontaktbeschränkungen und präsentieren ihre eigene Weltwahrnehmung. Friedlich bleibt es auch an diesem Tag nicht.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Auch Querdenker brauchen Klopapier. Der Endfünfziger, der mit Händen und Füßen auf die Umstehenden einredet, hat einen Zehnerpack hinten auf sein grünes Rad geschnallt. Nein, kein Hamsterkauf, beteuert er, als man ihn darauf anspricht, "das hätten die gerne, dass wir die Panik noch vergrößern". Die. Der Staat, die Politik, die Medien, die die Menschen in Angst halten, um ihnen die Freiheit zu nehmen. Aber das funktioniert nicht mehr, sagt er. Er war dabei in Berlin, wo Hunderttausende, ach was, "einskommazwei Millionen" gegen die Pandemieauflagen demonstriert haben. Da ist er sich sicher, die Polizei habe von nur 20.000 Teilnehmern reden müssen. Er war in Leipzig, wo die Leute die Polizeikette überwanden und einfach auf der Ringstraße weiterliefen, wie im Oktober 1989, als die Macht der DDR zerbröckelte.

Und jetzt ist er in Frankfurt, seiner Heimatstadt. "Kein Lockdown für Bembeltown!" Man müsse gegen die Corona-Diktatur kämpfen, gegen "einen Faschismus, der keine Konzentrationslager braucht", wie er mit steigender Lautstärke sagt. Eine Ordnerin kommt vorbei. Ob er nicht eine Maske aufsetzen mag? Es sei ihr peinlich, darum zu bitten, aber so sei nun mal die Auflage. Keinesfalls, sagt der Mann, "ich will nicht vor denen kriechen". "Dann wird die Demo aufgelöst", mahnt die Frau. "Das wollen die doch sowieso," ruft der Mann unterm Nicken der Umstehenden.

Es ist am Samstag um halb drei Uhr noch wenig los auf dem Goetheplatz, wo der bronzene Dichterfürst übers Volk schaut. Rote Herzluftballons und diverse Kleinschriften zur Erlösung der Welt werden verteilt, blondierte Frauen mit Trump-Käppi stehen neben Männern mit Strickjacke, hinten ein paar Jungs mit Tarnfleck-Hemd und Trapperhut. "Verschwörungstheorien gefährden Ihre Gesundheit", steht auf dem Plakat, das eine Frau den Demonstranten entgegenhält. "Mit Ihnen ist es bald vorbei" zischt ihr eine Protestierende zu.

Der Demonstrationszug vom Hauptbahnhof lässt auf sich warten. Erst geht es nicht los, weil die Polizei die vielleicht 250 Teilnehmenden wieder und wieder ermahnen muss, Masken aufzusetzen und Abstände zu halten. Die Stadt hat angekündigt, hart durchzugreifen, die Sieben-Tage Inzidenz der Infizierten liegt bei fast 300 pro hunderttausend Einwohner, die Stimmung in der Stadt ist angespannt, Bundespolizisten helfen seit einigen Tagen, die Maskenpflicht und das Alkoholverbot in der Innenstadt durchzusetzen.

Doch erst einmal trifft die polizeiliche Härte nicht die Querdenker, sondern die linken Gegendemonstranten. Sie haben an mehreren Stellen den Weg blockiert und rufen: "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!" Es gibt, sagt später die Polizei, Angriffe auf Polizisten. Ein Wasserwerfer macht den Weg frei für die Querdenker, zur Empörung der Coronaleugner-kritischen Netzgemeinde. Später wird Janine Wissler, die Fraktionschefin der Linken im Hessischen Landtag, den Einsatz als "unverhältnismäßig" kritisieren.

Am Goetheplatz muss derweil Frankie, wie er sich nennt, die Zeit überbrücken, der Moderator, der betont, er mache das nicht gerne, aber für seine Tochter; er sei in der DDR aufgewachsen und wisse, was eine Diktatur bedeute. Er verliest noch einmal die Auflagen der Stadt für die Demonstration: Maske auf und Abstand halten, es ist verboten, einen Davidstern mit Inschriften wie "CoV-2", "ungeimpft", "Impfen macht frei", "Dr. Mengele" oder "ZION" zu tragen - wie es auf früheren Querdenken-Demos geschehen war. Man distanziere sich von allen Neonazis und Rechtsextremen, ruft Frankie, "wenn einer neben Euch sich als Nazi zu erkennen gibt, isoliert ihn, er hat hier nichts zu suchen", ruft er unter dem Applaus der Menge.

Auf der Bühne wird ein "Zeuge Coronas" aufgeklärt

Der Platz füllt sich. Die Polizei hat den Demonstrationszug zum Goetheplatz aufgelöst, die Leute kommen in kleinen Gruppen hierher, 2000 Menschen sind erlaubt. Ein Lautsprecherwagen der Polizei meldet sich immer wieder: Maske auf, Abstand halten. Auf der Bühne läuft ein Zwiegespräch: Ein ahnungsloser Maskenträger, ein "Zeuge Coronas", wird von einem Wissenden aufgeklärt, dass es gar keinen Beweis für das Virus gibt und es an den schlechten Immunsystemen liegt und an der verbreiteten Angst, wenn die Leute krank werden.

Aber so richtig hört keiner mehr zu. Polizisten in Kampfmontur haben Stellung bezogen, die Stadt Frankfurt hatte angekündigt, rigoros durchzugreifen, sollten die Auflagen nicht befolgt werden - und immer noch haben viele Menschen keine Maske auf. Frankie zitiert Martin Luther King: Ziviler Ungehorsam wird zur Pflicht, wenn der Staat ungerechte Gesetze erlässt. Es ist 16.10 Uhr. Der Wasserwerfer biegt um die Ecke, ein behelmter Polizist nimmt das Mikrofon an sich. Man habe lange Geduld gehabt, tönt es aus dem Lautsprecherwagen, aber nun sei die Versammlung aufgelöst.

"Wir bleiben hier", tönt es aus mehreren Ecken. Eine Frau, sie hat sich ein Zitronennetz aus dem Supermarkt um Mund und Nase gebunden, ruft: "Das war alles so geplant, das ist der große Plan!" "Bitte räumen Sie den Platz jetzt", ruft der Einsatzleiter der Polizei. Viele gehen, einige bleiben. Der Wasserwerfer, ein blaues Ungetüm, ist mittlerweile auf den Platz gefahren. Und dann zischt auch gegen die Querdenker ein Wasserstrahl.

Am Abend berichtet die Polizei von einem verletzten Beamten: Eine Querdenkerin habe ihm ins Bein gebissen.

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