Süddeutsche Zeitung

Nach Drostens Entwarnung:Debatte um Ende der Corona-Maßnahmen

Nach Einschätzung des Virologen Christian Drosten ist die Pandemie vorbei. Bundesjustizminister Marco Buschmann plädiert nun für politische Konsequenzen. SPD und Grüne mahnen dagegen noch zur Vorsicht.

Nach den Äußerungen des Virologen Christian Drosten über ein Ende der Corona Pandemie ist eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der verbleibenden Maßnahmen entbrannt. In den Bundesländern, die Corona-Schutzmaßnahmen wie Isolationspflicht und Maskenregeln im öffentlichen Nahverkehr selbst festlegen, gelten derzeit noch unterschiedliche Auflagen zur Pandemiebekämpfung.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat sich für ein Auslaufen aller Schutzmaßnahmen ausgesprochen. "Christian Drosten gehörte in der Pandemie zu den vorsichtigsten Wissenschaftlern", schrieb der FDP-Politiker am Montag auf Twitter. "Nun lautet sein Befund: Die Pandemie ist vorbei. Wir sind im endemischen Zustand. Als politische Konsequenz sollten wir die letzten Corona-Schutzmaßnahmen beenden", so Buschmann. Sein Parteikollege und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki stimmte ihm zu: Mit Drostens Erklärung werde "jeglicher Grundrechtseinschränkung zur Eindämmung des Coronavirus die Grundlage entzogen".

Die Grünen-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt räumte ein, dass die Ampel-Regierung Fehler in der Pandemiebewältigung gemacht habe. "Das Problem war, dass es eine Impfpflicht für Pflegepersonal gab, aber nicht wie verabredet eine allgemeine Impfpflicht.", sagte sie gegenüber dem Nachrichtenportal T-Online. Sie verstehe alle, die das als ungerecht empfunden hätten. Göring-Eckardt sagte darüber hinaus, es müsse auch über Impfschäden gesprochen werden. "Unterm Strich bleibt aber: Die Impfung hat uns aus der Pandemie herausgeführt."

Kühnert: Keine Eile beim Ende der Maßnahmen

Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sieht die Impfung als entscheidend für die jetzige gute Situation. Der Mediziner schätzte gegenüber der Rheinischen Post, dass Deutschland ohne die Impfung "wahrscheinlich über eine Millionen Tote zu beklagen" hätte. Auch sei man wegen der hohen Immunität gut auf eine mögliche Ausdehnung der Viruswelle in China vorbereitet. Mit Blick auf die Coronamaßnahmen mahnt er allerdings weiter zur Vorsicht: Bis zum Frühjahr sollte man aus wegen der aktuell noch starken Verbreitung des Virus, damit einhergehenden Personalausfällen und der Belastung des Gesundheitswesens "weiter rücksichtsvoll sein und in Innenräumen deshalb Maske tragen, Händehygiene einhalten und auf regelmäßig Lüften achten."

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sieht ebenfalls keinen Grund zur Eile beim Ende der Maßnahmen. Das Infektionsschutzgesetz, welches noch bis zum siebten April kommenden Jahres gilt, sehe nur noch "ganz wenige Maßnahmen" vor wie zum Beispiel die Maskenpflicht im Bahn-Fernverkehr, erklärte Kühnert im ZDF-Morgenmagazin. Das Allermeiste liege in den Händen der Länder, insofern richte sich auch Buschmanns Äußerung an die Bundesländer. "Ich würde sagen: Wir erleben jetzt noch vier Monate Abschiedstournee des Infektionsschutzgesetzes, und wenn es dann keine Mutationen gibt, dann wird es auch wirklich in die Phase der Eigenverantwortung übergehen", sagte Kühnert.

Von der Ebene der Landkreise wird dagegen zu schnellem Handeln aufgerufen. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, forderte den Bund auf, "dringend die Notwendigkeit seiner noch bestehenden Maßnahmen" zu überprüfen. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte er, die Maskenpflicht in Bus und Bahn, die in einigen Bundesländern, sowie im Fernverkehr noch gilt, sei immer schwerer vermittelbar. Es könnten jetzt "weitere zielgerichtete Entscheidungen zur Aufhebung von Einschränkungen vorgenommen werden".

Auslöser der Debatte waren die Äußerungen von Christian Drosten, dem Leiter der Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité. Er hatte dem Tagesspiegel gesagt, Deutschland erlebe in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach seiner Einschätzung sei damit die Pandemie vorbei. Die Immunität in der Bevölkerung werde nach diesem Winter so breit und belastbar sein, dass das Virus im Sommer kaum noch durchkommen könne. Als einzige Einschränkung nannte der Virologe einen weiteren Mutationssprung. "Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr."

"Ich rechne damit, dass die Pandemie jetzt zunehmend ausläuft", so der Intensivmediziner Karagiannidis

Ähnlich äußerte sich der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, der auch Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung ist. Er hatte im Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) die Frage bejaht, ob die Pandemie nach dem Winter vorbei sei. "Ich rechne damit, dass die Pandemie jetzt zunehmend ausläuft", sagte Karagiannidis. Sicherlich werde es noch die eine oder andere kleine Welle geben. Die Immunitätslage der Bevölkerung sei jedoch solide und auf den Intensivstationen seien deutlich weniger Covid-Patienten.

Die Einschätzung, dass es sich bei Corona inzwischen um eine Endemie handelt, teilen mehrere Experten, so etwa der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens. Aus seiner Sicht ist eine Pandemie vor allem dadurch definiert, dass ein weltweit unbekannter Erreger, mit dem Menschen keine immunologische Erfahrung haben, in die Bevölkerung einbricht. Das sei inzwischen nicht mehr gegeben, hatte Mertens bereits Ende Oktober gesagt.

Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt appellierte an die Bevölkerung, manche Schutzmaßnahmen zukünftig selbstständig beizubehalten. "Ist es nicht klug, dass Menschen - auch für die Zukunft -, die Infekte haben, welcher Art auch immer, sich ein paar Tage lang isolieren, zurücknehmen, mit ein bisschen Umsicht und Nachsicht darüber nachdenken, inwieweit sie sich in Menschenansammlungen begeben?", sagte Reinhardt im Deutschlandfunk. Ob es allerdings noch rechtliche Maßnahmen wie das Infektionsschutzgesetz brauche, stellte auch er in Frage.

Auch der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery sagte, man könne sich im Umgang mit Corona "Erleichterungen leisten". Gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe mahnte er allerdings: "Dabei sollten wir aber nicht alle Vorsicht fahren lassen". Mit Blick auf die Politik rief der Arzt dazu auf, Infektionsschutzmaßnahmen nicht länger "zum Gegenstand ideologischer Diskussionen zu machen."

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