Süddeutsche Zeitung

Haushalt:Bundesrechnungshof übt scharfe Kritik an Corona-Hilfen

"Verfassungsrechtlich bedenklich" seien die Pläne für neue Kredite, mit denen die Bundesregierung die Folgen der Pandemie abmildern will.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Zu hohe Nothilfen, verfassungsrechtlich bedenkliche Planungen, unüberschaubare Schulden: Der Bundesrechungshof übt heftige Kritik an den üppigen, insgesamt mehr als 1000 Milliarden Euro umfassenden Finanzhilfen, mit denen der Bund die Folgen der Corona-Pandemie lindern will. Das geht aus einem Bericht hervor, den die Bonner Behörde am Montag an den Haushaltsausschuss des Bundestags weitergeleitet hat. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Die Corona-Krise hat deutliche Spuren im Bundeshaushalt hinterlassen", schreiben die Prüfer. Die Hilfen erreichten "historische Dimensionen", eine Normalisierung der Bundesfinanzen werde nicht nur länger dauern als nach der globalen Finanzkrise, "sondern auch erheblich größere Anstrengungen erfordern".

Der Haushaltsausschuss berät derzeit den von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegten Entwurf des Budgets 2021 und der Finanzplanung bis 2024; beide sollen bis Ende November verabschiedet werden. Scholz plant für 2021 mit deutlich mehr zusätzlichen Krediten, als die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erlaubt. Demnach dürfte der Bund nur rund 28 Milliarden Euro zusätzliche Schulden machen, geplant sind derzeit aber 96 Milliarden Euro. Diese Notlagen-Kredite seien "unangemessen hoch", kritisieren die Prüfer des Bundesrechnungshofs nun. Es fehle an Bemühungen, die Kredite strikter zu begrenzen, die Planung sei "verfassungsrechtlich bedenklich".

Konkret kritisieren die Prüfer, dass Scholz im Bundeshaushalt an verschiedenen Stellen "unechte Sondervermögen" anlege. Es würden Etats aufgebläht, um Reserven anzulegen, mindestens 30 Milliarden Euro seien im Haushalt versteckt. Zugleich würden vorhandene Rücklagen, insgesamt 48 Milliarden Euro, nicht genutzt, sondern aufgespart. Ähnliche Vorwürfe kommen aus der Opposition. Die FDP forderte bei der ersten Lesung des Budgets, Rücklagen aufzulösen, ehe neue Kredite aufgenommen werden. Die Koalition lehnt das ab. Sie will die Rücklagen benutzen, um von 2022 an wieder die Schuldenbremse einhalten zu können.

Der Bundesrechnungshof zweifelt daran, dass die Kalkulationen der Haushaltsplaner aufgehen. Union und SPD gehen bisher trotz der aufgesparten Rücklagen von einer Haushaltslücke von mehr als 42 Milliarden Euro in den Jahren 2022 bis 2024 aus. Wie diese Lücke gefüllt werden soll, ist offen - und eine Aufgabe für die neue Regierung, die nach der Wahl im Herbst 2021 übernehmen wird. Sie könnte entweder die Einnahmen des Bundes erhöhen, etwa über höhere Steuern, oder die Ausgaben senken.

Im Bundestagswahlkampf 2021 wird die Haushaltslücke Thema werden

Spätestens im Bundestagswahlkampf 2021 werden die Parteien erklären müssen, wie sie die enorme Lücke schließen wollen. Der Bundesrechnungshof allerdings glaubt, dass die Aufgabe viel größer sein wird, als Union und SPD derzeit planen. Laut Prüfbericht aus Bonn weist der Finanzplan bis 2024 "Kreditbedarfe und Lücken von rund 130 Milliarden Euro aus". Übersetzt in konkrete Politik bedeutet das, dass der Bund entweder strikt sparen oder drastisch Steuern und Abgaben erhöhen muss, wenn er die Schuldenbremse von 2022 an einhalten will.

Im Bericht heißt es weiter, die schwierige Haushaltslage sei "nicht allein auf die Corona-Krise zurückzuführen". Der Bund gebe generell zu viel Geld aus und versäume seit Jahren, das Budget grundsätzlich zu überarbeiten. Das Bundesfinanzministerium wies die Kritik der Rechnungsprüfer im Namen der Bundesregierung zurück.

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