Süddeutsche Zeitung

Lockerungen:Wie Merkels Wunsch nach Geschlossenheit zerbricht

Erst kommen harsche Drohungen aus Nordrhein-Westfalen, dann folgen Fast-Beschlüsse aus Niedersachsen. Es könnte das Ende des gemeinsamen Weges von Bund und Ländern sein.

Von Stefan Braun, Berlin

Man kann nicht sagen, dass sich Angela Merkel nicht bemüht hätte. Aber die Einigkeit im Kampf gegen die Pandemie - sie ist an diesem Montag endgültig zerbrochen. Minister und Ministerpräsidenten in mehreren Bundesländern wollten die nächste Besprechung mit der Bundeskanzlerin an diesem Mittwoch nicht mehr abwarten. Sie haben an diesem Montag Fakten geschaffen. Gut möglich, dass das ein endgültiges Ende im Versuch ist, die Rückkehr in die neue Normalität gemeinsam zu suchen.

Den Anfang machte am Montag morgen Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp. Mit ungewöhnlich scharfen Worten erklärte der FDP-Politiker schon früh am Tag, sein Land werde bei der Öffnung von Kitas den Alleingang wagen, sollte die Kanzlerin am Mittwoch weiter Lockerungen für die Kleinsten blockieren.

"Ich möchte jetzt gerne unseren Weg gehen. Wir lassen uns nicht noch eine Woche vertrösten", sagte der stellvertretende Ministerpräsident. Stamp betonte, dass man sich natürlich um die Sicherheit von Erziehern kümmern müsse. Aber: "Auf der anderen Seite müssen wir den Kindern möglichst zügig wieder den Zugang verschaffen." Die Situation von Familien und Kindern sei in den vergangenen Tagen und Wochen zu kurz gekommen. "Ich finde, das geht so nicht. Wir haben als Familienminister klare Wege aufgezeigt. Es gibt ein Konzept der schrittweisen Öffnung. Es gibt vier Phasen: von der Notbetreuung über die erweiterte Notbetreuung bis zum improvisierten Regelbetrieb und schließlich dem Regelbetrieb."

Scharfe Kritik übte Stamp an den Gesprächen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Es könne kein Dauerzustand sein, dass nur diese entscheiden, was möglich sei und was nicht: "Man könnte den Eindruck bekommen, wir sind bei Hofe. Die Länder brauchen ihre Freiheit, die Pandemie verläuft in den Ländern unterschiedlich."

Ungewöhnlich war schon der Akt an sich; eine derartige Drohung ist in den vergangenen Wochen noch viel ungewöhnlicher gewesen. Dem Sinne nach sagte Stamp nichts anderes als: Wir machen das auf alle Fälle; offen ist nur noch, ob Merkel mit dabei ist.

Seine Botschaft, geäußert im Morningbriefing des Journalisten Gabor Steingart, klang wie eine Drohung - und dürfte auch so gedacht gewesen sein. Dass wenig später Stamps Koalitionspartner, Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), signalisierte, dass er einen Alleingang problematisch fände, konnte dem Akt nicht die Wucht nehmen. Zum möglichen Konflikt im Bündnis in Düsseldorf setzt sich das Bild fest, dass auch wichtigste Minister in den größten Bundesländern so viel nicht mehr halten vom gemeinsamen Vorgehen.

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Prompt meldete sich gegen Mittag das nächste Bundesland, dieses Mal Niedersachsen. Dessen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kündigte im Bündnis mit dem CDU-Wirtschaftsminister Bernd Althusmann an, vom kommenden Montag an auch Restaurants und Gastronomie wieder zu öffnen. Die Zeit sei reif, heißt es aus Hannover. Dass SPD-Mann Weil und CDU-Kollege Althusmann den endgültigen Beschluss erst nach der Telefonschalte am Mittwoch mit der Kanzlerin treffen wollen, schwächt die Botschaft kaum.

Wie es heißt, soll die Zahl der Sitzplätze begrenzt werden; es soll also auch in Restaurants Abstandsregeln geben. Außerdem ist geplant, Bars und Clubs bis auf Weiteres geschlossen zu halten. Am grundsätzlichen Signal aber ändert das wenig: Wir öffnen wieder, Schritt für Schritt, und zwar so, wie wir es für richtig halten.

Diese Entscheidung ist besonders bemerkenswert, wenn man weiß, dass über die Gastronomie eigentlich erst in der kommenden Woche, also am 13. Mai mit der Kanzlerin gesprochen werden sollte. Solange aber wollte das Bündnis in Niedersachsen nicht mehr warten.

Noch am Wochenende hatten sich viele Ministerpräsidenten überrascht gezeigt, als die Koalition in Sachsen-Anhalt für diesen Montag neue Lockerungen ankündigte. Dort dürfen sich seit Montag wieder fünf Menschen treffen, auch wenn sie keinem gemeinsamen Haushalt angehören.

Am frühen Montagnachmittag meldete sich dann auch eine der bisher durchsetzungsfähigsten Stimmen zu Wort - sie gehört Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der CSU-Politiker stellte für Dienstag und Mittwoch Fahrpläne für weitere Lockerungen in Aussicht. Es sei nun die Zeit für schrittweise Erleichterungen, immer in Verbindung mit Auflagen, so Söder. Das bayerische Kabinett werde am Dienstag beschließen, mit welchen Vorschlägen man in die Bund-Länder-Beratungen gehe. Über die konkreten Schritte müsse aber jedes Land selber entscheiden - für Bayern kündigte er weiterhin einen vorsichtigeren Weg an.

Für die Kanzlerin wird das alles zusammen zu einem riesigen Problem. Nun tritt genau das ein, was sie verhindern wollte: Ein fast schon unkontrolliertes, vor allem aber unkoordiniertes Vorgehen auf einem Flickenteppich namens Deutschland.

Mit Material der Agenturen

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