Süddeutsche Zeitung

Infektionsgeschehen:Deutschland braucht die bundesweite Corona-Ampel

Ein verständliches System kann das Land durch den Pandemie-Herbst lotsen. Die Ampel sollte sich vor allem nach den Infektionszahlen richten - so wie Markus Söder es vorschlägt.

Kommentar von Christian Endt

Rote, gelbe und grüne Lichter sollen Deutschland künftig durch die Pandemie lotsen: Nach dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) hat sich nun auch sein bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) für eine Corona-Ampel ausgesprochen. Am Dienstag wollen Bund und Länder darüber beraten. Die Idee ist richtig und kann viel dazu beitragen, dass die Akzeptanz der Bürger für Maßnahmen und Einschränkungen im Corona-Herbst nicht verloren geht. Doch die Konzepte aus Düsseldorf und München unterscheiden sich deutlich. Sie taugen nicht gleichermaßen für ein Frühwarnsystem.

Das Coronavirus breitet sich in Deutschland gerade wieder verstärkt aus, aber nicht im ganzen Land: Während in Remscheid in Nordrhein-Westfalen zuletzt mehr als 70 Neuinfektionen in sieben Tagen je 100 000 Einwohner registriert wurden, gab es etwa in der Vulkaneifel keinen einzigen neuen Fall. Daher drängen gerade die Landesregierungen zu Recht auf regional unterschiedliche Auflagen, die dem örtlichen Infektionsgeschehen entsprechen.

Dennoch sollten die Regeln einer einheitlichen Logik folgen. Wenn in zwei Gegenden die Infektionslage ähnlich ist, sollten sich auch die Regeln ähneln. Nur dann sind sie für die Bürger nachvollziehbar, und das wiederum ist die Voraussetzung für ihren Erfolg. Denn schon im Frühjahr zeigte sich: Die Infektionen gingen zurück, noch bevor die Ausgangsbeschränkungen in Kraft traten. Viele Menschen blieben freiwillig zu Hause, aus Vernunft. Darauf kommt es auch im Herbst an, und für diese Vernunft braucht es Nachvollziehbarkeit.

Das kann eine Corona-Ampel leisten: Sie würde festlegen, auf welche Maßzahlen es ankommt - und welche Auflagen beim Überschreiten bestimmter Schwellenwerte gelten. Das wäre ein einheitliches Regelwerk für jeden der 401 Kreise in Deutschland, und dennoch müsste in Thüringen keine Kneipe schließen, nur weil in Berlin-Mitte die Fallzahlen steigen.

Uneins sind Söder und Laschet darin, welche Maßzahlen in die Ampel einfließen sollen. Söders Vorschlag richtet sich allein nach der Inzidenz, also der Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche in Relation zur Bevölkerungsgröße. Diese Zahlen liegen für jeden Landkreis vor, sie sind für jeden nachvollziehbar und bei einer einheitlichen Teststrategie auch gut vergleichbar.

Der mehrdimensionale Ansatz ist interessant, aber schwieriger umsetzbar

Laschet spricht sich dagegen für eine mehrdimensionale Ampel aus, die neben den bloßen Infektionen auch weitere Indikatoren berücksichtigen soll. Etwa den Anteil der Ansteckungen, die sich auf bekannte Infektionsketten zurückverfolgen lassen. Das wäre in der Tat interessant, wird bislang aber gar nicht systematisch erfasst.

Außerdem soll die Auslastung von Krankenhäusern und Intensivpatienten einfließen. Damit wollen Laschet und sein Berater, der Virologe Hendrik Streeck, dem Umstand Rechnung tragen, dass derzeit trotz steigender Fallzahlen nur wenige schwere Verläufe beobachtet werden, was viele als Anlass zur Gelassenheit auslegen. Zwar ist es richtig, dass am Ende vor allem diese schweren und tödlichen Verläufe verhindert werden müssen. Doch zum einen mehren sich die Erkenntnisse über Langzeitfolgen auch bei milderen Covid-Erkrankungen. Und zum anderen greifen steigende Fallzahlen früher oder später immer auf Risikogruppen über, und dann füllen sich auch die Krankenhäuser. In Spanien, vor allem in Madrid, ist das gerade zu sehen, dort sind die Intensivstationen voll. Und was bringt eine Ampel, die erst dann auf Rot schaltet, wenn es bereits geknallt hat?

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