COP 29:Das Klimakalkül des Ilham Alijew

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Ölförderung in Baku. Mit den Einnahmen hat Aserbaidschans Autokrat Alijew seine Armee hochgerüstet. (Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP)

Die Weltklimakonferenz tagt in Aserbaidschan, das mit Erdöl reich geworden ist. Über einen Autokraten, der den Gipfel braucht, um sein Image aufzupolieren.

Von Silke Bigalke, Moskau

Jetzt fahren Elektrobusse durch Baku. Präsident Ilham Alijew hat sie kurz vor dem Gipfel noch schnell aus China liefern lassen. Er hat Leihfahrräder in der Hauptstadt verteilt, Fahrradwege geschaffen. Schließlich soll sich hier von Montag an alles um das Weltklima drehen. Das Olympiastadion ließ Alijew für die Teilnehmer umbauen und riesige Zelte im und um das Stadion errichten. Alles ist bereit.

Zum dritten Mal in Folge findet die Weltklimakonferenz COP in einem Erdöl exportierenden Land statt, nach Ägypten und den Vereinten Arabischen Emiraten jetzt also in Aserbaidschan. Der kleine Staat liegt zwischen Russland und Iran am Kaspischen Meer, seine Wirtschaft hängt fast ausschließlich vom Verkauf fossiler Brennstoffe ab. Nicht nur deswegen ist die Ortswahl für Alijew ein Triumph. Der große Gipfel, die Besucher aus aller Welt kommen für ihn zur perfekten Zeit.

Herrscher Alijew ist für patriotische Aserbaidschaner ein Held

Alijew herrscht seit 21 Jahren und zunehmend autoritär über Aserbaidschan. Mit den Erdöleinnahmen hat er seine Armee hochgerüstet und sich kürzlich ein Lebensziel erfüllt: Vergangenes Jahr eroberte er die letzten Gebiete in Bergkarabach von den Armeniern zurück, nach jahrelangen Kämpfen, einer monatelangen Blockade, mit der er die armenische Bevölkerung erst ausgehungert und schließlich vertrieben hat. In Europa brachte ihm das eine schlechte Presse ein. Unter vielen patriotischen Aserbaidschanern aber machte es ihn zum Helden.

Die COP 29 ist für ihn nun die Gelegenheit, sich und Aserbaidschan neu zu positionieren. Um grüne Energie dürfte es ihm dabei weniger gehen als um Bakus Image in der Welt. Alijew steht nicht nur erstaunlich gut zu Russland, das einst als Armeniens Schutzmacht galt. Wladimir Putin war erst im August zu Besuch in Baku. Seit Putins Angriff auf die Ukraine ist Alijew auch gern gesehener Gast bei den Europäern, die sein Erdgas umso dringender haben möchten. Vergangenes Jahr versprach er, die Lieferungen nach Europa bis 2027 zu verdoppeln.

Er scheint dafür mit vielem davonzukommen, auch mit dem beispiellosen Druck, den er vor dem Gipfel auf Menschenrechtler, Klimaschützer und Korruptionsbekämpfer ausübt. Mindestens ein Dutzend Journalisten ließ er allein in den vergangenen zwölf Monaten festnehmen, zählt die Organisation Human Rights Watch. Mehrere Redaktionen wurden abgeriegelt, ihre Ausrüstung beschlagnahmt. Der prominente Menschenrechtler Anar Mammadli beispielsweise wurde inhaftiert, kurz nachdem er im Februar die „Climate Justice Initiative“ mitbegründet hat. Die Gruppe wollte die Konferenz dazu nutzen, für Bürgerrechte und Umweltgerechtigkeit zu werben.

Der Machthaber arbeitet daran, kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen

Für Kritiker des Regimes ist schwer zu verstehen, warum Aserbaidschan trotzdem Gastgeber sein darf, „ohne dass Fragen zu seiner Klimabilanz gestellt wurden, geschweige denn zu seiner Menschenrechtsbilanz“, wie die unabhängige Journalistin Arzu Geybullayeva im Videogespräch sagt. Zu ihrer Sicherheit lebt sie im Exil. International müsse sich Alijew wenig Sorgen um Kritik machen. Doch im Land, sagt Geybullayeva, fürchteten die Behörden unabhängige Berichte, die die Leute auf Missstände aufmerksam machen könnten, auf den Reichtum der Beamten, auf Korruption, auf Wasserknappheit und ungeheizte Schulen.

Offenbar wollte Alijew auch die letzten kritischen Stimmen vor dem Gipfel zum Schweigen bringen. Er selbst bezeichnete alle Vorwürfe pauschal als „Verleumdungskampagne einiger Medien“, die Aserbaidschans Image schaden wollten. Sie würden ihn nicht davon abhalten, so Alijew, „unsere noble Mission zu erfüllen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen“.

Er könnte vor der eigenen Haustür damit anfangen, denn Aserbaidschan spürt die Folgen des Klimawandels. Wasserknappheit gehört zu den größten Problemen, denn es fällt zu wenig Schnee, ein natürlicher Wasserspeicher. Anders als sintflutartige Regenfälle, die über das Land hinwegwaschen, wenn sie nicht aufgefangen werden. Bleibt der Schnee aus, führt das zu niedrigen Flussständen im Frühjahr. Dazu komme ein schlechtes Wassermanagement und ungleiche Verteilung, sagt Javid Gara, der die aserbaidschanische Umweltschutzgruppe Ecofront leitet.

Die Viehherden werden auf den Weiden nicht mehr satt

Einige große Landwirtschaftsbetriebe bekämen so viel Wasser, wie sie wollten, aber lokale Gemeinden würden beschränkt. Die großen Betriebe gehören reichen Aserbaidschanern mit Verbindungen. Sie haben Wald- oder Weideland aufgekauft und in Acker umgewandelt, der Wasser braucht.

Ein weiteres Problem ist die schlechte Infrastruktur. Frisches Wasser geht durch Lecks verloren, verschmutztes Wasser wird nicht geklärt. Trotzdem, sagt Gara, würde all das irgendwie ausreichen, „ohne den Klimawandel“. Wasser ist für ihn auch deswegen das wichtigste Thema, weil der Mangel die Lebensmittel teurer macht, Tomaten, Gurken, vor allem Fleisch. Weil die Herden auf den verbliebenen Weiden nicht mehr satt werden.

Als Javid Gara vor sechs Jahren zum Umweltaktivisten wurde, ging es ihm vor allem um den aserbaidschanischen Wald. Der wurde damals großflächig abgeholzt, für die Farmen und Obstplantagen reicher Unternehmer. Der Ecofront-Protest sei damals erfolgreich gewesen, sagt er, das Abholzen wurde gestoppt. Hört die Regierung in Baku tatsächlich auf Umweltschützer? „Das hängt auch davon ab, wie leicht ein Problem zu lösen ist“, sagt Gara. Wenn es etwa um Abwasser gehe, das ins Kaspische Meer gepumpt werde, sei die Sache schwieriger, da brauche man eine bessere Infrastruktur, einen Plan, das dauere Jahre. Dann nehme die Regierung so ein Thema nicht ernst.

Negative Folgen der Ölförderung schaffen es kaum in die Nachrichten

Die Hauptstadt Baku liegt am Rand der Halbinsel Abşeron, wo mehr als 150 Jahre Ölförderung Spuren hinterlassen haben. Heute werden die größten Mengen Offshore gewonnen. Es gebe einige ölverschmutzte Gebiete, manche Gemeinden seien stärker betroffen als andere, sagt Gara. Zusammengefasst ist er aber der Meinung, dass es schlimmer sein könnte. Der größte Teil des Landes „hat wahrscheinlich noch nie Öl gesehen. Wie es überhaupt aussieht. Denn es kommt hauptsächlich aus dem Meer“.

Die Journalistin Arzu Geybullayeva dagegen glaubt, dass die Aserbaidschaner schlicht nicht genug über die negativen Folgen der Ölförderung wüssten, das Thema werde kaum in den Nachrichten besprochen. Umweltprobleme würden höchstens dann öffentlich, wenn Menschen direkt betroffen seien und sich wehrten.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Dorf Söyüdlü tief im Landesinnern. Dort wird kein Öl, aber ein anderes wichtiges Exportgut gefördert: Gold. Die Mine liegt im Fall von Söyüdlü viel zu nah an der Siedlung. Gold wird in Minen wie dieser aus der Erde gewaschen, das Wasser samt giftiger Schadstoffe in einem künstlichen See aufgefangen. Die Bewohner klagten, dass der See sie krank mache, niemand in der Nähe atmen könne. Außerdem war er zum Überlaufen voll. Die Regierung habe die Mine für eine Weile stillgelegt, dann wieder in Betrieb genommen, sagt Umweltschützer Gara. Er sorgt sich um den Auffangsee. Wenn er überlaufe, werde die Sache zur nationalen Katastrophe. Man bräuchte ein zweites Schadstoffreservoir.

Der Umweltaktivist spricht dann noch über grüne Energie, die wird in seiner Heimat jetzt auch gefördert, für den heimischen Markt. Die Aserbaidschaner sollen lieber grüne Energie nutzen, als das eigene Gas zu verbrennen, am Gas verdient Alijew in Europa besser. Ein riesiger Solarpark wurde südlich von Baku gebaut, weitere sollen folgen, auch Windparks.

Das bedeute aber nicht, sagt Gara, dass Baku an einer weltweiten Energiewende interessiert sei. Eher daran, sie zu verlangsamen. Aber ein neuer Solarpark sieht eben gut aus vor dem Klimagipfel, genauso wie Elektrobusse und Fahrradwege.

Einige dieser Fahrradwege, ist in lokalen Medien zu lesen, enden übrigens im Nirgendwo.

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