Contra E-Scooter:Große Illusion

Der Verkehr in den Städten ist eine Kampfzone, in der Rücksichtslosigkeit an der Tagesordnung ist. Die neuen Stromer lösen keines dieser urbanen Probleme. Sie sind selber eines.

Von Peter Fahrenholz

In einer idealen Verkehrswelt wäre alles ganz einfach. Es gäbe einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, dementsprechend weniger Autos auf den Straßen, die natürlich emissionsfrei unterwegs wären. Es gäbe ein leistungsfähiges Netz an Radwegen und Radstraßen und genügend Raum für die Fußgänger. Und alle würden die Regeln beachten und aufeinander Rücksicht nehmen. In so einer Welt hätten auch E-Scooter ihren Platz. Die Realität sieht anders aus. Ganz anders. Der öffentliche Verkehrsraum in den Städten ist eine Kampfzone, in der Rücksichtslosigkeit an der Tagesordnung ist und Regeln für viele bloß unverbindliche Hinweise sind. Da fahren Radfahrer bei Rot über die Kreuzung und zeigen den Stinkefinger, wenn sie deswegen angehupt werden, Fußgänger überqueren die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten, weil sie damit beschäftigt sind, auf ihr Handy zu starren, Autofahrer blockieren die Radwege oder wechseln in letzter Sekunde die Fahrspur, gerne auch ohne zu blinken. Und jetzt kommen auch noch die E-Scooter dazu.

Was das bedeutet, hätte man wissen können. Denn überall, wo es die kleinen Stromer bereits gibt, kämpfen die Städte mit den gleichen Problemen. Wahllos abgestellte Roller, die Aufgänge und Gehwege blockieren, Fahrer, die den Bürgersteig als Slalomparcours nutzen, steigende Unfallzahlen. Und überall versucht man, das Chaos durch strengere Regeln zu ordnen, deren Einhaltung sich aber nur schwer kontrollieren lässt. In San Francisco, einer Stadt, die für ihr lässiges Lebensgefühl bekannt ist, wurden die Leihroller kurzzeitig sogar ganz verboten.

Hinter dem Hype verblasst die Frage, welchen Nutzen die E-Roller für das Gesamtsystem Verkehr haben. Ob sie wirklich dazu beitragen, dass Leute häufiger auf das Auto verzichten oder nur eine neue Form von Spaßmobilität sind, die auf einen ohnehin schon überlasteten Verkehrsraum noch draufgepackt wird.

Es schwingen auch viele Illusionen bei dieser "neuen Mobilität" (Verkehrsminister Andreas Scheuer) mit. Wer glaubt, E-Scooter seien unter ökologischen Aspekten fast so gut, wie mit dem Fahrrad zu fahren oder zu Fuß zu gehen, täuscht sich. Die Leihroller haben eine Lebensdauer von nur wenigen Monaten, danach werden sie zu Elektroschrott. Und weil sich solche Teile nun mal nicht von selber laden, werden sie von Transportern eingesammelt und mit vollem Akku wieder verteilt. Es wird nicht lange dauern, und jemand wird ausrechnen, wie viele zusätzliche Dieselkilometer dadurch zusammenkommen.

Auch der Preis wird gerne ausgeblendet. E-Scooter sind für kurze Strecken in der Stadt nämlich eine besonders teure Form der Mobilität. Denn ihre Nutzung wird nicht nach Kilometern, sondern nach der Zeit berechnet, zuzüglich einer Freischaltungsgebühr. Das bedeutet, dass an jeder roten Ampel der Zähler unerbittlich weiterläuft. Wer etwa in München für seine sogenannte letzte Meile jeden Werktag für 15 Minuten einen E-Scooter nutzt, zahlt deutlich mehr als für ein Monatsticket des ÖPNV.

Ja, wenn das Wetter gut ist und wenig Verkehr herrscht, macht es Spaß, mit einem E-Roller dahinzugleiten. Aber Spaß kann nicht der entscheidende Faktor sein, vor allem, wenn er mit so vielen Nachteilen erkauft wird. E-Scooter lösen keines der urbanen Verkehrsprobleme. Sondern sie sind selber eins.

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