Süddeutsche Zeitung

Compliance:Die Saubermänner

Konzerne wie Siemens stellen sich als Vorbilder in Sachen tadellose Geschäftspraktiken hin. Leider oft zu Unrecht. Wenn Siemens seinem hohen Anspruch genügen will, muss es einiges ändern.

Von Nicolas Richter

Das Wort Compliance klingt so gut, dass man ein Automodell danach benennen könnte: der neue Compliance mit 300 PS. Der Begriff beschreibt an sich etwas Selbstverständliches - dass sich Unternehmen an Recht und Gesetz halten. Aber viele Konzerne rühmen ihre Compliance, als definierten sie das Luxussegment ihrer zutiefst integren Firmen. Siemens tut dies mit besonderer Inbrunst: Nach dem Skandal um schwarze Kassen vor gut zehn Jahren wollte der Konzern zum globalen Vorbild in Sachen saubere Geschäftspraktiken aufsteigen, noch heute verspricht Vorstandschef Joe Kaeser, "nur" solche Geschäfte seien Siemens-Geschäfte. Das klingt bedingungslos und ist, wie so oft bei Werbeslogans, zu schön, um wahr zu sein.

Eine SZ-Recherche hat jüngst enthüllt: Chinesische Strafgerichte haben Dutzende Urteile wegen illegaler Absprachen beim Verkauf von Siemens-Geräten an öffentliche Krankenhäuser gefällt. Dies verrät einiges über den Zustand der Compliance weltweit, vermutlich über Siemens hinaus. In europäischen Firmenzentralen mögen Mitarbeiter heute so integer sein, dass sie von Kunden nicht mal mehr einen Kaffee annehmen, weil die Einladung ihr Urteilsvermögen trüben könnte. Aber das globale Geschäft findet auch in Erdteilen statt, in denen nicht so gründlich geputzt wird wie in Deutschland. Es ist wie in der katholischen Kirche: Je weiter man sich von Rom entfernt, desto lässiger wird manches ausgelegt. Im Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit hat Siemens, gewiss nicht als einziger Konzern, fragwürdige Entscheidungen gefällt.

Erstens: Outsourcing. Wäre Siemens so vorbildlich, wie es tut, würde es seine Geräte selbst an Krankenhäuser verkaufen; nur so ließe sich gewährleisten, dass die Geräte bestechungsfrei beim Endkunden ankommen. Stattdessen entsteht in China 75 Prozent des Umsatzes mit Siemens-Medizintechnik über Zwischenhändler. Falls diese Händler schmieren, um einen Auftrag zu ergattern, ist das sozusagen ihr Problem - und Siemens kann beteuern, von nichts gewusst zu haben. Dieses Wegdrängen von Bestechungsrisiken ist so alt wie die Korruption selbst, und viele Firmen organisieren ihren Vertrieb auch deswegen genau so. Wer es aber macht wie alle, ist kein Vorbild, schon gar nicht in korruptionsgeplagten Ländern wie China. Jeder vernünftige Mensch sollte wissen, dass er mit solchen Vertriebsmodellen Bestechung in Kauf nimmt.

Zweitens: Laxe Aufsicht. Siemens verteidigt sich damit, seine Händler intensiv zu kontrollieren. Auf Nachfrage aber räumt der Konzern ein, dass er Geschäftspartner im Schnitt nur alle drei Jahre überprüft. Das ist seltener, als sich der TÜV Autobremsen ansieht - und gerade im boomenden China eine Ewigkeit. Siemens hat nicht einmal mitbekommen, dass zwei eigene Angestellte in korrupte Geschäfte verwickelt waren und deswegen später in Gerichtsverfahren auftauchten.

Drittens: Nachtreten. Bereits vor zehn Jahren hat ein Compliance-Mitarbeiter von Siemens in Shanghai vor dem anfälligen Vertriebsmodell gewarnt. Siemens trennte sich von ihm. Heute erklärt der Konzern, der Whistleblower habe damals "den Unterschied zwischen theoretischen Risiken und den notwendigen und sinnvollen Maßnahmen zur Vermeidung von konkreten Risiken nicht richtig eingeschätzt". Diese Formel gibt das wieder, was Organisationen über ihre Whistleblower immer sagen: Nicht der Apparat ist das Problem, sondern der Mann. Dabei ist es offensichtlich die Firma Siemens, die ihre "konkreten Risiken" nicht im Griff hat.

Viertens: Vernebelung. Der Konzern verteidigt sich mithilfe juristischer Spitzfindigkeiten. Fragt man nach den Strafurteilen in China, entgegnet Siemens, der Konzern selbst sei weder als Beklagter noch als Zeuge geführt worden. Dabei ist unbestritten ein Ex-Siemens-Angestellter verurteilt worden, ein anderer hat als Zeuge ausgesagt, dass er regelmäßig Schmiergeld verteilte. Vom Umsatz hat Siemens damals profitiert; jetzt tut die Firma so, als gehe sie das nichts an.

Ja, Compliance ist undankbar. Meist wollen die Kollegen vom Vertrieb ein dickes Geschäft mit einem Händler abschließen. Sie drängen den für Compliance zuständigen Mitarbeiter, mit seiner Bedenkenträgerei aufzuhören, während sich der Händler in China oder Brasilien nicht gern in die Bücher schauen lässt. Wie genau schaut der Compliance-Beauftragte also hin? Und wie viel Bestechungsrisiko muss ein Konzern in Kauf nehmen, um nicht jeden Auftrag an bestechende Konkurrenten zu verlieren? Eindeutige Antworten sind in der Praxis gewiss selten - was die Sauberkeitsprahlerei von Siemens noch absurder klingen lässt.

Falls Siemens aber an seinen hohen Ansprüchen festhält, sollte es den Vertrieb selbst in die Hand nehmen und seine chinesischen Geschäftspartner besser beaufsichtigen. Sonst klingt "Compliance" wie etwas, das nur dazu dient, schmutzige Praktiken zu delegieren und sich mit Floskeln aus der Verantwortung zu stehlen.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2018
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