Comey-Buch über den US-Präsidenten:Das Schlimmste sind Trumps Lügen

Ex-FBI director Comey to testify in Russia probe on June 8

Mit dem Buch "Größer als das Amt" will der vor einem knappen Jahr gefeuerte James Comey sein Verhältnis zu Clinton und Trump erklären. (Foto: AFP)

(Foto: AFP)

Der US-Präsident sei unmoralisch, gefährlich und ohne Humor, so Ex-FBI-Chef Comey. "Größer als das Amt" ist ein Buch über Führungsethik. Der Autor erinnert darin auch an dunkle Seiten der Bush-Präsidentschaft und lobt Obama.

Rezension von Matthias Kolb

Irgendwann in den letzten Wochen des Jahres 2016 kommt eines seiner fünf Kinder zu FBI-Chef James Comey und zeigt ihm "einen Tweet, der die allgemeine Gefühlslage jener Zeit widerzuspiegeln schien: 'Dieser Comey ist ein Mitläufer. Ich kapiere bloß nicht, bei welcher Partei.'" Diese Umschreibung, die in Kapitel 11 unter der Überschrift "Schweigen oder Sprechen" seines Buchs zu finden ist, fasst die öffentliche Wahrnehmung des 58-Jährigen gut zusammen.

Für viele Demokraten hat Comey, der Mitglied der Republikaner ist, durch sein Agieren in der Affäre um die Arbeits-E-Mails von Hillary Clinton dafür gesorgt, dass Donald Trump US-Präsident geworden ist und die Welt mit Tweets in Atem hält und mitunter in Kriegsangst versetzt. In den Augen der Konservativen ist der 58-Jährige besessen davon, Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen und bereit, Informationen an die Medien zu leaken (Trumps Tweet über Comey als "verlogenen Schleimball" trifft den Eindruck der Basis recht gut).

Mit dem Buch "Größer als das Amt", das am Dienstag erscheint und bereits hierzulande die Bestseller-Listen großer Online-Versandhändler anführt, legt der vor einem knappen Jahr gefeuerte Comey nun Rechenschaft ab und will sein Verhältnis zu Clinton und Trump erklären. Dass er in der Vorbemerkung ein Buch über "Führungsethik" ankündigt, ist clever: So wirkt jedes Lob für die vielen Chefs seiner langen Karriere als Staatsanwalt oder Vize-Justizminister wie eine weitere "Anklage" (so der deutsche Untertitel) gegen Trump. Diesen nennt er einen "Mann ohne Moral", der "ohne jede Bindung an die Wahrheit und die Werte unserer Demokratie" handele.

Detailliert beschreibt er in den letzten drei Kapiteln (in der deutschen Fassung ab Seite 293) seine Begegnungen und Dialoge mit Trump, und Comey verbirgt seine Geringschätzung nicht. Beim ersten Treffen hatte Comey am 6. Januar 2017 die unschöne Aufgabe, den President-Elect im Trump Tower über die im Steele-Dossier versammelten Gerüchte zu informieren, dass Trumps Wahlkampfteam Kontakte zur russischen Regierung gehabt habe. Die Formulierung "Als er mir die Hand entgegenstreckte, stellte ich fest, dass sie kleiner war als meine, aber nicht ungewöhnlich klein" gehört zu jenen, die womöglich nur ein Ziel haben: Trump soll "explodieren" (so ein anonymer Mitarbeiter des Weißen Hauses zu Politico) und weitere unbedachte Äußerungen machen.

Comey wiederholt bekannte Anschuldigungen - garniert mit Details

Angewidert beschreibt Comey, dass die Nachricht von Russlands Einmischung in die US-Wahl bei Trumps Team aus Jasagern keine Frage wie "Wie können wir das Land dagegen schützen?" auslöste, sondern sofort über die beste PR-Strategie debattiert wurde - während die Chefs der US-Nachrichtendienste noch im Raum waren. Der Ex-FBI-Chef schildert jenes Abendessen, bei dem er sich von Trump nach Mafia-Art bedrängt fühlte ("Ich brauche Loyalität. Ich erwarte Loyalität") - und bei dem der Präsident darüber sprach, dass ihn "auch nur die einprozentige Wahrscheinlichkeit" bekümmere, dass seine Frau Melania den "Golden Showers"-Gerüchten glauben könnte.

Was Comey als nächstes schreibt, zeigt dessen abgrundtiefe Verachtung für seinen früheren Chef: "Das lenkte mich ein wenig ab, weil ich mich sofort fragte, warum seine Frau auch nur im Traum glauben sollte, er habe sich in Moskau mit aufeinander urinierenden Prostituierten abgegeben. Trotz all meiner Schwächen beträgt die Chance null Prozent - wirklich absolut null -, dass Patrice (Comeys Ehefrau, Anm. d. Red) Anschuldigungen glauben würde, wonach ich in Moskau mit Nutten zusammen gewesen wäre, die sich gegenseitig anpinkelten. Allein die Idee fände sie lachhaft. Was für eine Ehe mit was für einem Mann mag das sein, wo die Partnerin zu dem Schluss kommt, die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Gatte so etwas nicht getan hat, beträgt 99 Prozent?"

Mangelnde Klarheit kann Comey niemand vorwerfen, der das erste "Tell it All"-Buch eines Insiders der Trump-Ära verfasst hat und auch in TV-Interviews Details nennt, die für die sonst strikt überparteilichen FBI-Direktoren tabu sind. Comey ist eindeutig parteiisch und freut sich diebisch, wenn er Trumps fehlende Bildung belegen kann: "'Die schreiben diese Dinger einzeln, mit der Hand', staunte Trump und meinte wohl das Personal des Weißen Hauses. 'Ein Kalligraf', erwiderte ich nickend. Er sah mich fragend an. 'Die schreiben die mit der Hand', wiederholte er."

Substanziell neue Erkenntnisse über "Trump und seine einzigartigen eigenen Chaos-Marken" liefert Comey nicht - seine Anschuldigungen hatte er schon im Juni 2017 vor dem Senat (hier als PDF) gemacht: Der US-Präsident drängte ihn, die Ermittlungen gegen Trumps entlassenen Sicherheitsberater Mike Flynn einzustellen. Ob dies wirklich der "Versuch der Justizbehinderung" war, muss nun Sonderermittler Robert Mueller entscheiden - Comey hält dies für "denkbar".

Comey: Ich wollte nicht, dass Clinton "unrechtmäßige Präsidentin" wird

Ein Fünftel seines Buches widmet er den Ermittlungen um die E-Mails von Ex-Außenministerin Hillary Clinton. Ausführlich referiert er, wie die Bundespolizei in solchen Fällen ermittle und versucht, diverse Verschwörungstheorien auszuräumen. Der FBI-Chef sei nie bei Vernehmungen dabei, also habe er Clinton im Juni 2016 keine Fragen gestellt. Ebenso üblich sei es, Entwürfe des "Sachstandberichts" vorab anzufertigen - es sei stets ergebnisoffen ermittelt worden.

Comey nennt das Vergehen von Ex-CIA-Chef David Petraeus (er hatte 2011 seiner Geliebten Geheimdokumente gegeben und bekam wegen Geheimnisverrats eine Bewährungsstrafe) viel fahrlässiger als Clintons Umgang mit den E-Mails. Hier gab es keinen kriminellen Vorsatz, weshalb er die Ermittlungen im Juli 2016 einstellte. Dass er damals eine Pressekonferenz gab, lag nur daran, dass sich Justizministerin Loretta Lynch nicht äußern wollte, weil sie kurz davor ein Vier-Augen-Gespräch mit Bill Clinton geführt hatte. Dass Hillary Clinton "äußerst leichtfertig" gehandelt habe, würde Comey rückblickend nicht mehr sagen - aber nur wegen möglicher juristischer Fehlinterpretationen.

Ausführlich berichtet er im Kapitel "Prügelknabe" darüber, warum zehn Tage vor der Wahl neue Ermittlungen in der Clinton-Affäre aufgenommen wurden. Seine Mitarbeiter hätten geglaubt, dass sich auf dem Laptop von Anthony Weiner einige der E-Mails befinden könnten, die die Demokratin angeblich gelöscht hatte (Weiners Ex-Frau ist die Clinton-Vertraute Huma Abedin). Ihm sei versichert worden, dass die Untersuchung Wochen dauern werde - also bis nach der Wahl.

Er habe den Vorgang öffentlich gemacht, weil er fürchtete, dass die haushohe Favoritin Clinton "durch Verschweigen der neu in Gang gesetzten Ermittlungen zu einer unrechtmäßig gewählten Präsidentin werden" könnte. Es erscheint zweifelhaft, dass dies die vielen liberalen Comey-Kritiker überzeugen wird; unstrittig ist aber, dass sich der damalige FBI-Direktor in einer Situation befand, in der er nur verlieren und eine Politisierung der Bundespolizei kaum verhindern konnte.

Lebensgeschichte eines prinzipientreuen Aufsteigers

Wie es überhaupt dazu kam, dass James Comey an die FBI-Spitze kam, davon handelt der erste Teil des autobiografisch geprägten Buchs. Der Sohn irischer Einwanderer studiert erst Chemie, weil er später Arzt werden will. Schließlich geht er doch an die Law School und wird Staatsanwalt in New York, wo er den PR-besessenen Trump-Freund Rudy Giuliani als ersten Chef bekommt. Ausführlich schildert er seine Mafia-Ermittlungen gegen die "Cosa Nostra" - diese Erfahrungen sollen seinem viel zitierten Vergleich von Trump als "Mafiaboss" noch mehr Wirkung verschaffen.

Mit Ehefrau Patrice zieht er nach Virginia und arbeitet als Staatsanwalt. Nach 9/11 wird er zum US-Bundesanwalt von Manhattan ernannt. Es ist ein enormer Karrieresprung und weil unter seiner Aufsicht auch die TV-Unternehmerin und Vorzeige-Hausfrau Martha Stewart wegen Geldwäsche zu Gefängnis verurteilt wurde, gerät Comey ins Rampenlicht. Auch diese Passagen sind im Trump-Kontext interessant, weil Comey mehrfach betont: Oft ist nicht das Vergehen das Schlimmste, sondern die Lügen, um alles zu vertuschen.

Dass Comey ein großes Ego besitzt, leugnet nicht mal er selbst (an seiner Führungskompetenz lässt er keine Zweifel). Alle Kapitel beginnen mit Zitaten von Theologen wie Reinhold Niebuhr ("Und trotzdem musst du versuchen, unsere fehlerhafte Welt wenigstens einigermaßen gerecht zu machen.") oder von US-Präsidenten. "Die wichtigste Eigenschaft einer Führungspersönlichkeit ist zweifellos persönliche Integrität", sagte Eisenhower und auch Thomas Jefferson wird indirekt zum Trump-Kritiker gemacht: "Wer sich gestattet, einmal zu lügen, dem wird es beim zweiten und dritten Mal schon leichter fallen, bis es ihm schließlich zur Gewohnheit wird."

Für deutsche Leser dürfte besonders interessant sein, was Comey über seine Jahre als Vize-Justizminister unter George W. Bush von 2003 bis 2005 schreibt. Es ist die Zeit nach 9/11, als Foltermethoden und die Überwachung von US-Bürgern und dem Rest der Welt auf Basis äußerst fragwürdiger Rechtsgutachten genehmigt wurden. Comey ist hier der aufrechte Kämpfer für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Das ist im Vergleich zu Figuren wie dem Ex-Vizepräsidenten Dick Cheney sicherlich richtig, aber eine echte Wende konnte er nicht erreichen.

Es ist beklemmend und lehrreich zugleich, erneut zu lesen, wie Minister und Berater damals aus ideologischer Überzeugung und aus Angst vor weiteren Anschlägen Grundrechte missachten. Typisch war die Haltung von Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice: "Wenn das Justizministerium sagt, es ist legal, und die CIA sagt, es ist wirksam, dann ist Ende Gelände. Dann braucht es keine eingehende politische Diskussion mehr." Damals gab es im Justizministerium noch Juristen wie Comey, die Widerspruch einlegten. Ob dies heute noch der Fall ist, daran lassen Comeys Beschreibungen von Jeff Sessions ernsthaft zweifeln.

Die mangelhaften Führungsfähigkeiten von George W. Bush werden in "Größer als das Amt" überdeutlich, aber Comey lässt dennoch viel Sympathie erkennen: "Seinem ausgeprägten, manchmal diabolischen Sinn für Humor dagegen konnte ich mich nicht entziehen." Diese Eigenschaft ist Comey wichtig und er betont ihn auch in Bezug auf seinen Gegenspieler Trump, den er in seiner Erinnerung niemals habe lachen gesehen.

Wieso Obamas Humor ihn zu einem guten Präsidenten macht

Der Ex-FBI-Chef zieht daraus klare Schlüsse: "Ich vermute, seine offensichtliche Unfähigkeit, ebendas zu tun, wurzelt in tiefer Unsicherheit und der Unfähigkeit, sich verletzlich zu zeigen oder den Humor anderer anzuerkennen. Wenn man darüber nachdenkt, ist das für eine Führungspersönlichkeit wirklich sehr traurig und für einen Präsidenten geradezu furchterregend."

Solche Abschnitte würden ohnehin im Weißen Haus für Wutausbrüche sorgen, doch der Republikaner Comey geht noch weiter. Mehrmals lobt er Trumps Vorgänger Barack Obama, der nicht nur über eine "schnelle Auffassungsgabe" verfüge, sondern auch einen exzellenten Humor besitze. Am Demokraten bewundert Comey eines: "Anders als Bush aber stellte sich Obama niemals über andere, wenn er Witze machte. Das zeigte mir, wie groß sein Selbstvertrauen ist."

Gewiss: Obama ist in Comeys Augen nicht perfekt. Wie viele andere kritisiert er, dass dessen Team zu detailverliebt war, weshalb Entscheidungen aufgeschoben wurden. Aber Comey rechnet es dem Demokraten hoch an, dass er ihn als Republikaner zum FBI-Chef gemacht hat und sich nie in dessen Arbeit eingemischt hat. Und er berichtet von zwei Anekdoten, die Obama zu einer "überzeugenden Führungsfigur" machen - und die beim Egozentriker Trump unvorstellbar wären.

Nach Comeys Vereidigung als FBI-Chef im September 2013 wurden viele Fotos gemacht. Dabei waren die Freunde der beiden älteren Töchter Comeys. Obama lockte die jungen Männer mit einem Scherz weg, damit die Familie allein fotografiert werden konnte. Comey gefiel die Aktion des Präsidenten: "Mir war klar, dass er umsichtig war wie nur wenige. Was, wenn die Dinge zwischen den Mädchen und ihren Freunden nicht so liefen, wie es jetzt aussah? Würde, dass sie mit auf dem Foto waren, den Comeys dann für immer ein Stachel im Fleisch sein?"

Und um den Gegensatz zu Trump besonders deutlich zu machen, beschreibt Comey die letzten Minuten, bevor Obama ihn im Frühjahr 2013 als Nachfolger von Robert Mueller der Öffentlichkeit vorstellt. Der Präsident sagte damals zum designierten FBI-Direktor Comey: "Bob hat mir vor einiger Zeit etwas versprochen, und dieses Versprechen sollten Sie mir auch geben." Diese Sätze verunsichern den Leser fünf Jahre später: Forderte Obama geheime Zusicherungen oder gar wie Trump Loyalität?

Der geschickte Geschichtenerzähler Comey löst die Sache schnell auf. Mueller hatte dem Sport-Fanatiker Obama erlaubt, im Fitnessbereich des FBI Basketball zu spielen. Dies gestattete der neue Chef des Inlandsgeheimdienstes natürlich gerne.

Das Buch "Größer als das Amt. Auf der Suche nach der Wahrheit - Der Ex-FBI-Direktor klagt an" von James Comey erscheint am Dienstag bei Droemer Knaur und kostet 19,99 Euro.

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