Vor einem Monat hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Rahmen einer Zeremonie verkündet, Akten zur Colonia Dignidad bis 1996 zehn Jahre früher zu öffnen als gesetzlich vorgeschrieben. Er tat das, weil der Kinofilm "Colonia Dignidad" des Regisseurs Florian Gallenberger die verschlafene Aufmerksamkeit geweckt hatte. Und Steinmeier verband seinen Vorstoß mit einer Beichte: Das Auswärtige Amt und manche Gesandten hätten in dieser Sache keine sehr ruhmreiche Vergangenheit und wollten daraus lernen.
Das Sammelsurium nun sichtbarer Schriftstücke bestätigt das schlechte Gewissen und liefert auch sonst allerlei Bekanntes. Deutschland und Chile wussten seit Jahrzehnten viel über diese gigantischen Verbrechen und taten wenig, manche Politiker und vor allem Militärs standen Spalier. Die Justiz kam ähnlich träge voran.
Der Psychopath und Bandenchef Schäfer, genannt "Pius" und "Daueronkel", wurde nach zehn Jahren Flucht erst 2005 in Argentinien erwischt - 2010 starb der Guru mit dem Glasauge in einem Gefängnis in Santiago den Chile. Dort sitzen noch ein paar seiner engsten Mitstreiter von einst, andere Täter laufen frei herum. Viele von ihnen flohen nach Deutschland wie in einen sicheren Hafen.
Der frühere Sektenarzt Hartmut Hopp setzte sich 2011 nach Krefeld ab, in Chile wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt. Interpol würde ihn und andere weltweit festsetzen, nur nicht in der alten Heimat. Die Bundesrepublik liefert keine Landsleute in Länder jenseits der EU aus. Die Krefelder Staatsanwaltschaft verspricht seit Monaten, stattdessen den chilenischen Antrag auf deutsche Strafvollstreckung beim Landgericht einzureichen. In Kürze soll es laut Staatsanwalt Axel Stahl so weit sein.
Deutsche Ermittlungen gegen Hopp sind seit drei Jahrzehnten ergebnislos und viele Taten verjährt. Dabei wurde der pistolentragende Doktor mittlerweile auch des Mordes angezeigt und wird immer wieder als Nummer zwei und Außenbeauftragter der Colonia Dignidad ausgewiesen. Dafür braucht man nicht mal Unterlagen des Auswärtigen Amtes.
Als ein unerwünschter deutscher Botschafter im Helikopter auf ihrem Gelände einschwebte, blockierten die Siedler erst den Landeplatz. Dann soll Hopp einem mitgereisten chilenischen General gedroht haben, er werde ihn wegen Hausfriedensbruchs absetzen lassen.
Der eloquente Klinikchef galt als Vertrauter des Ehepaars Pinochet und ihres Geheimdienstchefs Manuel Contreras. Die Sektierer aus Alemania wurden zu einer Bastion der chilenischen Diktatur, ihr vermeintliches Mustergut geriet zum versteckten Folter-Camp. Schäfer kontrollierte alles und jeden, viele Beweise sind unter Verschluss.
Der Staat im Staate war ein Stützpunkt Chiles für einen eventuellen Krieg mit Argentinien und Peru. Die Colonia besaß Sendeanlagen, Flugpisten und Arsenale, Fahnder gruben 3,5 Tonnen Kriegswaffen inklusive Raketenwerfer aus. Ein früherer Geheimdienstler erwähnte Transporte von Laborgütern auch über Frankfurts Flughafen und Verbindungen zu einem mutmaßlichen CIA-Agenten und Auftragskiller, der mittlerweile im US-Zeugenschutzprogramm untergekommen ist.