Wegen Haftbefehl in Chile:Angehöriger der Colonia Dignidad in Italien festgenommen

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Die Colonia Dignidad, gegründet von einer deutschen Sekte, 400 Kilometer südlich von Santiago de Chile, wurde für viele Kinder zur Hölle. (Foto: Villa Baviera; Handout/dpa)

Reinhard Döring soll eng mit dem Geheimdienst von Diktator Pinochet zusammengearbeitet haben, der in der Siedlung der deutschen Sekte in Chile folterte und mordete. In Deutschland lebte Döring unbehelligt, in Italien wurde er nun festgenommen.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Der flüchtige Scherge der Foltersekte Colonia Dignidad wollte Urlaub machen. Was sollte schon passieren, er lebte seit vielen Jahren unbehelligt in Deutschland. Toskana also, ein Ausflug im Frühherbst. Jetzt sitzt Reinhard Döring in Untersuchungshaft in Florenz, italienische Polizisten nahmen ihn in einem Hotel in Forte dei Marmi an der Mittelmeerküste fest. Die chilenische Justiz kann nun seine Auslieferung beantragen, denn in Chile wurde er wegen seines mutmaßlichen Beitrags zu schweren Verbrechen schon lange gesucht. Es galt ein Haftbefehl von 2005.

Döring, Jahrgang 1946, gehörte zum engen Kreis um den inzwischen verstorbenen Anführer Paul Schäfer. Der Kinderschänder und Laienprediger Schäfer baute die deutsche Enklave Anfang der Sechzigerjahre am Fuße der Anden auf. Döring soll auch ein Kontaktmann der Kolonie zum Geheimdienst von Augusto Pinochet gewesen sein - während der Militärdiktatur (1973-1990) wurden Oppositionelle auf dem Gelände der sogenannten Colonia Dignidad gequält, verhört und ermordet.

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In der Colonia Dignidad in Chile wurde entführt, versklavt, gequält und gemordet. Doch das Verfahren gegen die mutmaßliche Nummer zwei der Sekte wird eingestellt. Ein Politologe spricht von einer "Verhöhnung der Opfer".

Von Peter Burghardt

Es heißt, Döring habe Gefangene bewacht und zur Exekution gebracht. Er soll außerdem Waffen der Colonia und Motoren aus den Autos der Verschwundenen versteckt haben, um Spuren zu beseitigen. In Chile wird ihm vorgeworfen, 1976 an der Entführung von Juan Maino, Elizabeth Rekas und Antonio Elizondo mitgewirkt zu haben. Doch Döring entkam der Anklage, indem er 2004 nach Deutschland floh und sich wie andere Heimkehrer der Colonia in Gronau im Münsterland niederließ.

Deutsche Ermittler und Richter haben von jeher wenig Interesse an seinem und den übrigen Fällen. Die Ermittlungen gegen ihn wurden 2019 ebenso eingestellt wie die gegen den Sektenarzt Hartmut Hopp, der als Nummer zwei hinter Schäfer galt. Hopp lebt seit 2011 ungestört in Krefeld, obwohl er in Chile rechtskräftig zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch verurteilt wurde und Interpol weltweit nach ihm fahndete.

Deutschland liefert deutsche Staatsbürger selten aus. Das Gesuchen aus Santiago, Hopps Strafe in Deutschland zu vollstrecken, lehnten deutsche Gerichte ebenfalls ab. Die Krefelder Staatsanwaltschaft beendete auch ein weiteres Verfahren gegen ihn. Dörings Festnahme in Italien lege das Scheitern der deutschen Justiz offen, sagt der Berliner Politologe und Menschenrechtler Jan Stehle, der über die Colonia Dignidad und ihre Netzwerke intensiv forscht. Aber die Nachricht aus der Toskana gibt ihm auch Hoffnung, dass die strafrechtliche Aufarbeitung doch noch vorankommt.

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