Coesfeld-Prozess:"Das war o.k. Das war richtig geil"

Im Prozess um die Misshandlung von Coesfelder Bundeswehr-Rekruten zeigen sich die angeklagten Soldaten keiner Schuld bewusst.

Hans Holzhaider

Es geht zu wie in einem Bienenkorb im Sitzungssaal 23 des Münsteraner Landgerichts: 18 Angeklagte und fast doppelt so viele Rechtsanwälte drängen sich vor der Barriere, die den Zuschauerraum abtrennt, dazu die drei Berufsrichter, zwei Schöffen, zwei Protokollführer, zwei Staatsanwälte, ein Ergänzungsrichter und ein Ergänzungsschöffe. Bis kurz vor Weihnachten soll dieser Prozess dauern, da ist es leicht möglich, dass einmal ein Richter oder Schöffe ausfällt.

Es wimmelt von Journalisten, nachdem das ZDF beim Bundesverfassungsgericht auch den Zutritt für Fotografen und Kameraleute durchgesetzt hat. Der meistfotografierte Mann im Saal ist der Feldwebel Maik F. - als einziger der Angeklagten ist er in Uniform erschienen, obwohl auch zwölf weitere Angeklagte nach wie vor aktive Soldaten sind. Nur zwei sind wegen der Vorgänge, über die hier verhandelt worden ist, fristlos entlassen worden, sie geben als Beruf Maschinenbediener und LKW-Fahrer an.

Es geht um Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch und um Misshandlung und entwürdigende Behandlung von Untergebenen nach dem Wehrstrafgesetz. Im ersten und zweiten Quartal des Jahres 2004 waren Rekruten, die bei der 7. Kompanie des Instandsetzungsbataillons 7 in Coesfeld ihre Grundausbildung absolvierten, bei Nachtmärschen überfallen und gefesselt worden. Mit verbundenen Augen hatte man die Männer dann in einem Fall in eine Sandgrube, in drei weiteren Fällen in einen Keller im Kasernengelände transportiert und dort einem simulierten Verhör unterzogen.

Die Anklage, die Staatsanwalt Michael Frerick vorträgt, listet auf, was sich dabei zugetragen haben soll: Den Rekruten wurde mittels einer Kübelspritze Wasser in die geöffneten Hosen gepumpt, einzelnen Soldaten auch in den gewaltsam geöffneten Mund. Im Kasernenkeller sollen Rekruten mit Stromstößen aus einem Feldtelefon traktiert worden sein.

Eine Geiselnahme als "Höhepunkt"

Einer der Ausbilder habe mit Tritten und Schlägen nachgeholfen, wenn sich die gefesselten Soldaten nicht schnell genug bewegt hätten. Allen Vorgesetzten, also den drei beteiligten Zugführern und dem Kompaniechef, sei klar gewesen, dass eine solche Ausbildung für Rekruten unzulässig ist, zumal die Soldaten auch in keiner Weise auf eine solche Übung vorbereitet worden seien.

Die Zugführer Martin D. und Michel H., beide im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels, waren die geistigen Väter jener Übung, die nun sie und 16 ihrer Kameraden auf die Anklagebank gebracht hat. Hauptmann Ingo S., der damalige Kompaniechef, ist voll des Lobes über seine ehemaligen Untergebenen. "Zur Bataillonsspitze" hätten beide gehört, als "sehr vertrauenswürdig", als "unbedingt zuverlässig" habe er die beiden Zugführer eingeschätzt.

Als D. und S. ihm als "Höhepunkt" der Rekrutenausbildung eine simulierte Geiselnahme vorschlugen, habe er das trotz anfänglicher Bedenken genehmigt, aber selbstverständlich unter der Bedingung, dass dabei "nichts Rechtswidriges" geschehe. Schließlich, so der Hauptmann, sollte die Ausbildung laut Bataillonsbefehl auch "einsatzorientiert" und "fordernd" ablaufen. Mit den Details sei er nicht befasst gewesen, da habe er sich ganz auf seine Untergebenen verlassen.

"Das war o.k. Das war richtig geil"

Kurz vor Ende der Übung, so sagt der ehemalige Kompaniechef weiter aus, sei er dann auch selbst in der als "Gefangenenlager" hergerichteten Sandgrube gewesen. Er habe fünf bis sechs Rekruten gesehen, deren Hände gefesselt und deren Augen verbunden waren, er habe auch gesehen, wie einige mit Wasser bespritzt wurden oder einen Baumstamm tragen mussten.

Doch nichts davon sei aus seiner Sicht zu beanstanden gewesen. Fesseln sei eine ,,übliche Praxis'' bei der Bundeswehr, man habe zu diesem Zweck immer Kabelbinder in der ABC-Tasche bei sich. Das Übergießen mit kaltem Wasser habe er angesichts sommerlicher Temperaturen als "willkommene Abkühlung" betrachtet.

Von den sogenannten "Exzessen" will Ingo S. erst später von "einheitsfremden Offizieren" erfahren haben. Rekruten, die er dazu befragt habe, hätten davon nichts berichtet. Zu weiteren Nachforschungen sei er dann nicht gekommen, weil er zum einen "mit anderen Aufgaben zugeschüttet" war und zum anderen "zeitnah" in Urlaub gegangen sei.

Aus den Akten erfahren

Von Stromschlägen und Wasser-in-den-Mund-Pumpen habe auch er "erst aus den Akten erfahren", beteuert der Hauptfeldwebel Martin D. Andernfalls wäre er selbstverständlich "massiv dagegen vorgegangen". Er kann bis heute nicht fassen, warum er wegen dieser Angelegenheit vor Gericht gezerrt wird. Er und seine Kameraden seien Vorzeigesoldaten gewesen, das habe ihn "mit einigem Stolz erfüllt", ja, er könne sagen, "dass ich für die Bundeswehr gelebt habe".

Immer habe er sich für eine "innovative" und "erlebnisorientierte" Ausbildung eingesetzt. "Früher", sagt der Angeklagte D., ,,hieß es immer: Der Osten greift an, wir verteidigen uns. Wir waren bemüht, neue, realistischere Übungslagen zu schaffen.'' Wie so etwas aussehen kann, hatten Martin D. und Michel H. in ihrer eigenen Sonderausbildung für den Auslandseinsatz erlebt. Da wurden sie aus einem Bus heraus gefangengenommen und im Rahmen eines simulierten Verhörs einigen sehr anstrengenden Leibesübungen unterzogen.

Den Rekruten jedenfalls, da ist sich Hauptfeldwebel Martin D. sicher, habe die ganze Sache einen Heidenspaß gemacht. "Alle äußerten sich euphorisch", sagt der Angeklagte, keiner habe was Negatives gesagt. Auch als er ausdrücklich um "konstruktive Kritik" gebeten habe, sei der einstimmige Tenor nur gewesen: "Das war o.k. Das war richtig geil".

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