Wie es aussieht, wenn ein Klimakiller mit viel Aufwand entsorgt wird, lässt sich in Norwegen schon bestaunen. In Øygarden, nordwestlich von Bergen, entsteht gerade das zugehörige Terminal, mit Kais, riesigen Tanks, endlosen Rohrleitungen. Noch in diesem Jahr soll hier Kohlendioxid mit Schiffen angelandet und dann verpresst werden. Über lange Leitungen, bis tief unter das Meer. 2400 Meter tief, um genau zu sein. Ehemalige Gaskavernen sollen jenes CO₂ aufnehmen, das zuvor aus den Abgasen von Industriebetrieben abgefangen wurde. CCS nennt sich das Ganze, "Carbon Capture and Storage". Und wie es aussieht, wird dergleichen auch bald in Deutschland möglich.
Das Bundeskabinett jedenfalls hat am Mittwoch den Weg dafür freigemacht - und ein Gesetz aus dem Jahr 2012 gewissermaßen in sein Gegenteil verkehrt. Damals hatte es einen heftigen Streit um die neue Technologie gegeben. Bürgerinitiativen kämpften gegen mögliche CO₂-Lager unter ihren Dörfern, Umweltschützer wähnten eine Hintertür für die Kohlekraft - schließlich sollten auch deren klimaschädliche Emissionen im großen Stil abgeschieden und verklappt werden. Am Ende stand ein "Kohlendioxid-Speicherungsgesetz", das die Speicherung faktisch ausschloss - so eng waren die Vorgaben, so leicht waren Verbote. Seitdem ruhte CCS in Deutschland sanft.
"Heute ist ein wichtiger Tag für die Industrie in Deutschland", sagt Robert Habeck
Passiert das Gesetz den Bundestag, wird sich das ändern. Vor allem in der Nordsee, im Bereich der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone, darf nun nach Speichern gesucht werden - "zu kommerziellen Zwecken im industriellen Maßstab", wie es in dem Gesetzentwurf heißt. Er enthält auch Regeln für Genehmigung und Bau von Kohlendioxid-Leitungen, schließlich muss das CO₂ irgendwie zu den Speichern gelangen. An Land ist die unterirdische Lagerung erst einmal nicht vorgesehen - aber sie ist auch nicht ausgeschlossen. Wenn einzelne Bundesländer das wollen, können sie dies bei sich erlauben. Selbst der Name des Gesetzeswerks wird nun geändert, es soll künftig "Gesetz zur dauerhaften Speicherung und zum Transport von Kohlendioxid" heißen. Mit Betonung auf dauerhaft.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte lange für die Novelle gekämpft. Die unterirdische CO₂-Speicherung galt bislang als das fehlende Puzzlestück in der deutschen Klimapolitik. Denn gerade in der Industrie gibt es Emissionen, die sich weder durch den Umstieg auf erneuerbare Energien noch durch effiziente Produktionsverfahren aus der Welt bringen lassen. Hier hilft nur Speicherung oder die Nutzbarmachung von CO₂ in Produkten, kurz CCU. Für beides mache Deutschland den Weg frei, lobte Habeck am Mittwoch. "Heute ist ein wichtiger Tag für die Industrie in Deutschland". Im Übrigen schließe man nun zu europäischen Nachbarn wie Norwegen und vielen weiteren Staaten auf. Auch der Transport deutschen Kohlendioxids in die dortigen Lagerstätten wird mit dem Gesetz leichter.
Umweltschützer sprechen von einer "gefährlichen Scheinlösung"
Doch aus der Welt ist aller Ärger noch nicht. So wird es im Gesetz zwar explizit verboten, Emissionen aus Kohlekraftwerken so zu entsorgen. Dies soll aber nicht für "Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern" gelten, vulgo Gaskraftwerke. Nicht nur Umweltschützer empört das, sondern auch Parteifreunde Habecks. "CCS kann für Teile der Industrie sinnvoll sein, aber es sollte auf unvermeidbare Emissionen beschränkt bleiben", sagt etwa die grüne Klimapolitikerin Lisa Badum. Und Emissionen aus Gaskraftwerken lassen sich vermeiden, etwa durch den Umstieg auf grünen Wasserstoff oder auf erneuerbare Energien. "Entscheidend bleibt, dass wir uns neben dem CCS-Gesetz um die über 95 Prozent der Emissionen kümmern, die vermeidbar sind" mahnt Badum.
Die Meinungen aber gehen denkbar weit auseinander. Der Umweltverband BUND etwa nennt CCS eine "gefährliche Scheinlösung, um den Ausstieg aus fossilen Energien und echte Lösungen zu verhindern", während der Energiewirtschafts-Verband BDEW darin einen Schritt hin zur Klimaneutralität sieht. Inwieweit die Technologie tatsächlich bei Gaskraftwerken eingesetzt werde, hänge "von den Kosten, der Infrastruktur und der Flexibilität der Anlagen" ab, heißt es dort. Und während sich bei den Grünen noch Skeptikerinnen finden, freut sich der FDP-Klimapolitiker Olaf in der Beek über eine endlich mal "technologieoffene" Lösung im Klimaschutz.
Doch auch die Sorgen um die Nordsee werden lauter. Zwar hat das Kabinett die Speicherung in Meeresschutzgebieten ausgeschlossen, die in ersten Entwürfen noch möglich war. Überall sonst soll sie aber grundsätzlich möglich werden. "Das ist ein weiterer Schritt in Richtung 'Industriepark Nordsee'", warnt Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbundes Nabu. Zunehmend werde das Meer als Rohstoffquelle, Deponie und Energiepark ausgebeutet. Hier auch nutzungsfreie Zonen zu etablieren, habe die Bundesregierung verpasst. Auch die Deutsche Umwelthilfe warnt, der Naturraum Nordsee gerate durch die wirtschaftliche Nutzung immer stärker unter Druck.