CO₂-Steuer:Deutschland muss sein verkrustetes Steuersystem aufbrechen

Rauchender Schornstein

Die Diskussionen um eine CO₂-Steuer bleiben folgenlos, so lange sich die Bundesregierung nicht von Zeile 419 des Koalitionsvertrags verabschiedet.

(Foto: dpa)

Mit Steuern und Abgaben lässt sich Wandel vorantreiben. Halb Europa tut das - warum eigentlich niemand in Deutschland?

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Zu den heiligen Kühen der Politik in Deutschland zählt neben der schwarzen Null auch die Steuer. Nahezu jede Regierung verzichtet darauf, über die Steuerpolitik gezielte gesellschaftliche Veränderungen auszulösen. Die aktuelle Regierung hat sich zum Beispiel in Zeile 419 des Koalitionsvertrages die Hände gebunden. "Keine Erhöhung der Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger", ist da zu lesen. Es ist ein Versprechen, das in der Praxis nicht mehr zu halten ist.

Der Schutz des Klimas, die stetig auseinanderdriftende Gesellschaft, Unternehmen, die wettbewerbsfähig sein sollen und gleichzeitig Kraft für Innovation brauchen - überall streiten Bürger, Politiker und Unternehmer darüber, ob und wie man mithilfe gezielter Steuerpolitik die Dinge in eine andere Richtung lenken kann.

Beispiel Steuer auf den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid: Wer viel Auto fährt, soll dafür mehr zahlen. Manche fordern, Unternehmen zu entlasten, weil die Nachbarn in Europa das auch tun. Andere wollen den Zerfall der Gesellschaft in arm und reich stoppen, indem sie den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer erhöhen und damit Geld zugunsten Schwächerer umverteilen. All diese Diskussionen sind richtig und überfällig. Aber sie bleiben folgenlos, so lange sich die Bundesregierung nicht von Zeile 419 des Koalitionsvertrags verabschiedet.

Deutschland braucht eine Regierung, die das verkrustete und verschachtelte System aus Steuern und Abgaben in die Moderne führt. Unbestritten ist auch, wo die Gesellschaft neue Impulse erwartet: beim Schutz des Klimas, bei der gerechteren Verteilung von Vermögen und bei dem durch die Digitalisierung angetriebenen Wandel in der Arbeitswelt. Die Maßstäbe haben sich verschoben, das muss sich in der Abgabenlast abbilden.

Die Führung der stärksten Volkswirtschaft Europas kann nicht länger die Augen davor verschließen, dass anderswo Regierungen sehr wohl das traditionelle Instrument der Steuer- und Abgabenpolitik benutzen, um Politik zu machen. Man schaue nur in die USA, nach Österreich, Frankreich oder Großbritannien.

Fatal wäre es, jetzt nur an der einen oder der anderen Steuerschraube zu drehen und nicht das große Ganze ins Visier zu nehmen. Ebenso fatal wären Schnellschüsse. Ein Blick nach Frankreich zeigt, was passiert, wenn man zwar das Richtige will - nämlich das klimaschädliche Kohlendioxid zu besteuern -, dabei aber dilettantisch und gegen den breiten Bürgerwillen handelt. Präsident Emmanuel Macron setzte eine Steuer vor, er erklärte die Verwendung der Einnahmen unzureichend, und er vergaß, die neue Belastung zu kompensieren. Die Proteste der Gelbwesten halten bis heute an.

Glaubwürdig sind Politiker nur, wenn sie sich am Ende auch zu handeln trauen

Zur guten Nachricht gehört, dass die Bundesrepublik auf bestem Wege ist, sich radikale Proteste wie im Nachbarland zu ersparen. Die Debatte über den bestmöglichen Klimaschutz verläuft bis auf einige populistische Ausreißer im Süden der Republik ungewöhnlich sachlich. Regierungs- und sogar Oppositionsparteien sind sich weitgehend einig, den Ausstoß von Kohlendioxid als Maßstab für die Besteuerung von Energie einzuführen.

Ob das über eine Steuer oder den Handel mit Erlaubnisscheinen geschieht, ist offen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) favorisiert den Handel. Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) hält eine Steuer für möglich - unter der Bedingung, dass die Bürger an anderer Stelle weniger zahlen (etwa bei der Stromsteuer) oder direkt entlastet werden. Das klingt nach einem Konzept. Dennoch gilt gerade in Zeiten des Wahlkampfes: Glaubwürdig werden sowohl Merkel wie auch Scholz nur sein, wenn sie sich am Ende auch zu handeln trauen.

Es ist schon ein merkwürdiges Phänomen: Die Bundesregierung glaubt seit Jahren, beim Bürger punkten zu können, indem sie sich darauf beschränkt, Steuereinnahmen zu verwalten statt sie gezielt einzusetzen, um dort zu lenken, wo es nötig wäre. Manchmal bedurfte es sogar richterlicher Anordnungen, um minimale Steuerkorrekturen durchzusetzen. Nur weil das Bundesverfassungsgericht es verfügte, beschäftigte sich die Bundesregierung mit der Erbschaftsteuer und jetzt mit der Grundsteuer.

Die Deutschen sind in einem Widerspruch gefangen. Sie wünschen sich, es möge in der Gesellschaft gerecht zugehen. Ihre Bereitschaft, selbst etwas dafür zu tun, ist allerdings gering ausgeprägt. Aus diesem Widerspruch erklärt sich auch der Widerstand, der jeglichen Steuervorhaben entgegen schlägt. Steuern für große Erbschaften? Für ungenutzte Grundstücke? Man möchte bitte nicht selbst betroffen sein.

Die Bundesregierung hat sich dem Willen der Wähler lange weitgehend gefügt und darauf verzichtet, über Steuerpolitik die Gesellschaft und ihre Probleme zu lenken. Das Ergebnis ist, dass die Verwerfungen immer größer werden. Es ist Zeit, diese Mutlosigkeit zu beenden.

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