Ernst Ulrich von Weizsäcker (78) gehört zu den bekanntesten Umweltwissenschaftlern Deutschlands. Schon 1984 leitete er das Institut für Europäische Umweltpolitik, ab 1991 war er Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Während der rot-grünen Koalition 1998 bis 2005 saß der SPD-Politiker im Bundestag. Seit 2012 ist er einer der Direktoren des Club of Rome.
SZ: Der aktuelle Bericht des Club of Rome trägt den Titel "Wir sind dran". Der englische Titel lautet "Come on" im Sinne von "Lasst uns endlich loslegen. Warum wurde beim Klima- und Umweltschutz bisher so wenig erreicht?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Es sind zwei Dinge dazwischen gekommen: Die Bevölkerungsentwicklung und der steigende Pro-Kopf-Konsum. Seit 1972, als der Club of Rome den Bericht "Grenzen des Wachstums" veröffentlicht hat, hat sich die Bevölkerung weltweit auf siebeneinhalb Milliarden Menschen verdoppelt. Und der Naturverbrauch hat sich seither mehr als vervierfacht.
Wegen der Bevölkerungsentwicklung hat der Club of Rome 2016 empfohlen, die Zahl der Kinder zu verringern.
In Deutschland hat man über diesen Vorschlag gelacht. Bei uns hat ja die Zahl der Kinder abgenommen. Aber die Bevölkerung weltweit ist gewachsen und wächst weiter.
Der Umweltwissenschaftler, Physiker und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker.
(Foto: dpa)Es gibt Fachleute, in deren Augen die Bevölkerungszahl noch kein Problem ist.
Tatsächlich gibt es hier auch gute Nachrichten. Aus unserem Bericht geht hervor, dass die Regionen der Welt, in denen sich die Bevölkerung weitgehend stabilisiert hat, ökonomisch viel erfolgreicher sind als jene, wo die Zahl der Menschen noch wächst. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die frühere Idee, dass ein Land mehr Einwohner haben muss, damit es stark ist. Und vielleicht kann man sogar 15 Milliarden Menschen satt kriegen.
Aber?
Das geht nur, wenn man Klima und Massenausrottung von Tierarten nicht als Problem betrachtet. Wir müssen auf den Konsum der Menschen schauen: Die reichen Länder haben gigantische "ökologische Fußabdrücke". Und jetzt holen die vormals ärmeren Länder rasant auf. Das ist ja eigentlich sehr erfreulich. Aber bei der heutigen Technik bräuchten wir schon fünf Erdbälle, wenn die siebeneinhalb Milliarden Menschen, die es jetzt auf der Erde gibt, auf dem Konsumniveau der USA leben würden.
Mit anderen Worten: Mehr Wohlstand führt zu mehr Ressourcenverbrauch und damit wächst die Bedrohung für Klima und Umwelt. Ein Dilemma.
Ja, man sieht das sehr gut an den "UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung" von 2015. Elf der 17 Punkte auf der UN-Agenda sind in Wirklichkeit sehr ehrgeizige Wachstumspläne: Mehr Nahrung zur Überwindung des Hungers. Mehr Platz, mehr Fabriken, mehr Energie zur Überwindung von Armut, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Bildungsferne. Das alles bedeutet eine gigantische Zunahme des Ressourcenverbrauchs - auf Kosten der Natur!
Das steht im krassen Widerspruch zu den drei ökologischen Ziele der Agenda: Klimaschutz, Schutz der Ozeane und Erhalt der Biodiversität. Auf diesen inneren Widerspruch der Agenda hinzuweisen, ist allerdings ein Tabu.
Es könnte sich anhören, als wollte man die Menschen in den Entwicklungsländern daran hindern, Wohlstand wie im Westen zu erreichen. Was lässt sich da tun?
Vor allem muss der Westen sein Wohlstandsmodell korrigieren, aber nicht durch brutalen Verzicht, sondern durch bessere Technik und weniger Prasserei. Nur dann können die sozioökonomischen und umweltpolitischen UN-Ziele miteinander harmonieren. Der jüngste Bericht des Club of Rome will deshalb auch den politischen Rahmen korrigieren, so dass Naturverbrauch teurer und menschliche Arbeit und Lebensqualität kostengünstiger wird. Für Entwicklungsländer ist das geradezu überlebensnotwendig.
Angesichts der Klimaerhitzung sagen manche Experten, dass sofort weitgehende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wieso geschieht das nicht?
Stellen Sie sich vor, Sie fordern als Politiker Bevölkerungsstopp, Konsumstopp, das Ende der Kohlendioxidemission. Es gibt kein Land auf der Erde, in dem Sie so ins Parlament gewählt werden. Wir müssen sozialverträgliche Übergangswege entwickeln..
Und wie können wir kurzfristige ökonomische Interessen mit den langfristigen Notwendigkeiten in Einklang bringen, die unsere Lebensgrundlagen erhalten?
Die deutsche Energiewende war in dieser Hinsicht ein Erfolgsbeispiel: Wohlstand und Kohlendioxidausstoß sind stärker voneinander entkoppelt worden, als man das vor 20 Jahren noch für möglich hielt. Hinzu kommen muss allerdings noch eine Effizienzwende. Paradebeispiel Passivhaus: Bessere Wohnqualität und nur noch ein Zehntel des Bedarfs an Heizenergie. Ein Verzicht auf fossile Brennstoffe, eine Dekarbonisierung ist möglich, ohne der Wirtschaft zu schaden.
Sie weisen seit Jahren vor allem auf eine effizientere Nutzung der Ressourcen hin. Was ließe sich denn so erreichen?
Wir konnten vor einigen Jahren in dem Bericht "Faktor Fünf" an den Club of Rome zeigen, dass sich in den vier wichtigsten Sektoren der Wirtschaft - Bauwesen, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft - die Effizienz beim Einsatz von Ressourcen wie Energie, Mineralien oder Wasser um das Fünffache verbessern lässt. Natürlich nicht über Nacht, aber perspektivisch. Die Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität hat 150 Jahre gebraucht.
Warum sind Ihre Erkenntnisse dann nicht längst umgesetzt worden?
Weil die Menschen die Maßnahmen, die notwendig wären, verweigern. Ein wichtiger Punkt ist es, den Naturverbrauch teurer zu machen. Stattdessen wird alles getan, um ihn billig zu halten. Hunderte Milliarden Dollar Steuergelder werden allein dafür verwendet, damit Energie billig bleibt. Das murkst das Interesse der Wirtschaft ab, effizienter damit umzugehen.
Wenn Energie billig bleibt, gibt es keinen Anreiz, bei ihr zu sparen.
Naja, es gibt einen Anreiz, der etwa bei Autos, Lichttechnik und auch Häusern sichtbar ist. Das ist aber weit von dem entfernt, was wir eigentlich bräuchten. Und vor allem wird durch die Billigenergie fast jeder Effizienzfortschritt durch zusätzlichen Konsum wieder ausgeglichen. Das ist der "Rebound Effekt". Diesem kommen wir nur bei, wenn wir die Politik der Billigenergie überwinden.