Clintons Wahlniederlage:Wer ist schuld an Clintons Niederlage?
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Analyse von Johannes Kuhn, New Orleans
Die Demokraten betrachten sich als Partei der amerikanischen Zukunft, doch von der Vergangenheit können sie weiterhin nicht lassen. Erneut schwebt dieser Tage die Frage über dem progressiven Lager, wer für die schmerzhafte Wahlniederlage Hillary Clintons und damit die Präsidentschaft Donald Trumps verantwortlich ist.
Diese Woche meldeten sich zwei Verdächtige zu Wort: Clinton selbst, die in einem Interview eigene Fehler einräumte, aber vor allem dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und FBI-Chef James Comey die Schuld für ihre Niederlage gab. Und eben James Comey, der sich vor dem Senat dafür rechtfertigen musste, knapp zwei Wochen vor der Wahl neue Entwicklungen in der Affäre um Clintons Privatmail-Nutzung publik gemacht zu haben - um diese dann kurz vor dem Wahltag mangels neuer Hinweise wieder einzustellen.
Comeys Spielraum wurde heftig diskutiert
"Ich konnte zwei Türen sehen, und beide waren Handlungen: Auf einer Stand 'spreche' und auf der anderen 'verheimliche'", rechtfertigte sich der 56-Jährige vor dem Senatsausschuss für Justiz. Etwas zu sagen, sei elf Tage vor der Wahl "ziemlich schlimm" gewesen, aber die Alternative - die Nichtveröffentlichung der Ermittlungen - wäre "katastrophal" gewesen. Er habe gewusst, dass die Entscheidung "für mich persönlich desaströs sein wird".
Eigentlich sagen die Richtlinien, dass Ermittlungsbehörden vor der Wahl nichts tun sollen, was nach der Beeinflussung einer Wahl aussehen könnte. Comeys Leute hatten jedoch Ermittlungen gegen Anthony Weiner ( Ex-Abgeordneter, Sexting-Freund, Unglücksrabe und damals Ehemann von Clinton-Mitarbeiterin Huma Abedin) auf dessen Laptop weitergeleitete E-Mails von Hillary Clinton gefunden.
Wie viel Spielraum Comey wirklich bei der Offenlegung hatte, wurde schon damals heftig diskutiert. Ein Extra-Fragezeichen resultiert aus der Tatsache, dass das FBI damals bereits seit Monaten gegen Akteure aus dem Trump-Umfeld wegen möglicher Kontakte zu Russland ermittelte, dies aber erst im März dieses Jahres bestätigte.
Nachträgliche Analysen sind umstritten
Der feine, womöglich ausschlaggebende Unterschied, wie Comey in einem Nebensatz andeutete: Das New Yorker FBI-Büro steht im Verdacht, allzu gute Kontakte zum ehemaligen Bürgermeister und Generalstaatsanwalt Rudy Giuliani zu pflegen, einem Trump-Vertrauten. Die Information über neue Clinton-Ermittlungen wären also womöglich ohnehin an die Öffentlichkeit gelangt - der FBI-Chef wäre der Vertuschung bezichtigt worden und unter Druck geraten.
Die indirekte Erpressbarkeit durch eigene Mitarbeiter wirft erneut jene Fragen nach Comeys Frühungsstärke auf, die Beobachter des Konflikts zwischen den zwei mächtigsten FBI-Standorten Washington und New York schon länger stellen.
Der Gedanke, dass seine Ankündigung den Wahlausgang beeinflusst haben könnte, "bereitet mir Übelkeit", erklärte Comey, der von US-Präsident Barack Obama 2013 zum FBI-Chef gemacht wurde. Um seines Wohlbefindens willen sei ihm zu wünschen, dass er nicht die Seite FivethirtyEight.com besucht: Das dem progressiven Lager zuneigende Portal erklärte auf seiner Homepage in großen Lettern "Der Comey-Brief hat Clinton wahrscheinlich die Wahl gekostet" und errechnet den Effekt auf ein bis vier Prozentpunkte, die Trump so kurz vor der Wahl aufholte. In der Analyse enthalten: eine scharfe Kritik an den Medien, die aus der Meldung eine Sensation machten, ohne die genauen Hintergründe zu kennen.
Solche nachträglichen Analysen sind allerdings selbst unter Demokraten umstritten, ignorieren sie doch den Anteil des eigenen Spitzenpersonals. "Jim Comey hat ihr (Clinton; Anm. d. Red.) nicht gesagt, dass sie nach dem Parteitag nicht mehr in Wisconsin auftreten muss", schimpfte Ex-Obama-Chefberater David Axelrod in seinem Haussender CNN in Anspielung an überraschend verlorene Bundesstaaten: "Jim Comey hat ihr nicht gesagt 'Investiere keine Ressourcen mehr in Michigan bis zur letzten Woche des Wahlkampfs'."
Die "Clinton-Maschine" schien nie so recht zu laufen
In der Tat legt die jüngst erschienene Wahlkampf-Autopsie "Shattered" von Jonathan Allen und Amie Parnes nahe, dass trotz bester Voraussetzungen die "Clinton-Maschine" nie so richtig funktionierte - oder besser: ähnlich wie 2008 wichtige Signale und die Stimmung in der Bevölkerung nicht richtig erfasste und auch den Eindruck unterschätzte, den die "E-Mail-Affäre" und Reden vor Goldman-Sachs-Personal in Teilen der Stammwählerschaft hinterließen.
Von einem "weiteren Wahlkampf-Schiff auf der Suche nach einem Eisberg" ist dort die Rede; ein paar Hunderttausend Stimmen, anders verteilt, hätten die Mrs. President Clinton allerdings sicher in den Hafen gelotst.
Stattdessen müssen sich die Demokraten nun um eine programmatische Neuausrichtung kümmern, deren Richtung allerdings durchaus von den Wahlkampf-Lehren abhängig ist. Immerhin schwelt weiterhin ein ungelöster Konflikt zwischen den Zentristen (einst vertreten durch Clinton und Obama) und dem linken Flügel (der nun wieder parteilose Bernie Sanders und Graswurzel-Aktivisten).
Streit gibt es auch zwischen den Befürwortern einer Konzentration auf ein urbanes, progressives Kern-Klientel und den Anhängern einer (Wieder-)Öffnung für konservativere Spielarten, um in Wertefragen auch in republikanisch geprägten Gebieten konkurrenzfähig zu sein. Noch allerdings überschattet die Wahlniederlagen-Frage "Wer war der Täter?" solche Debatten. Die Indizien deuten darauf hin, dass ihre Beantwortung Historikern überlassen bleiben wird.