Claudia Roth als Grünen-Vorsitzende wiedergewählt:Candy für Claudia

"Die Trauerzeit ist jetzt vorbei": Mit 88,4 Prozent wird Claudia Roth als Grünen-Bundesvorsitzende wiedergewählt. Das ist Trost genug für die verlorene Urwahl. Ihr Ko-Vorsitzender Cem Özdemir liegt jetzt hinter ihr.

Michael König, Hannover

Claudia Roth steht, als das Urteil kommt. Sie blickt auf die Leinwand, die Gesichtsmuskeln angespannt. Es ist 16:21 Uhr, einer der wichtigsten Momente ihrer Karriere. Sekunden später verkündet die Parteitagsleitung: 88,4 Prozent. Geschafft.

Roths Wiederwahl zur Bundesvorsitzenden auf dem Bundesparteitag der Grünen war nie gefährdet, es gibt keinen Gegenkandidaten. Trotzdem ist das Ergebnis der Abstimmung immens wichtig. Die Urwahl der grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl wirkt nach.

26 Prozent hatte sie da eingefahren, Platz vier hinter Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt und Renate Künast. Eine Klatsche, ein Misstrauensvotum. So hat sie das in den ersten Stunden gesehen. In Hannover wirkt Roth verändert, ernster als sonst. Zum Auftakt am Freitag erscheint sie komplett in Schwarz gekleidet. "Wir sind uns bei gar nichts mehr sicher", heißt es vor der Wahl aus ihrem Umfeld. 80 Prozent müsse sie schon holen, um glaubwürdig an der Spitze bleiben zu können, sagt ein Vorstandsmitglied.

Ohrenbetäubender Jubel im Saal

In ihrer Vorstellungsrede am Samstag lässt Roth ihre Zweifel anklingen. Einen "inneren Sturm" habe sie hinter sich, viele "Stunden mit Schatten und Licht". Zahlreiche Anrufe und Briefe hätten sie erreicht, auch ein Candystorm auf Twitter, dem sogar ein Eintrag auf Wikipedia gewidmet wurde.

Sie hat sich entschieden, sie tritt nochmal an. Und dann der Moment, auf den Roth hingefiebert hat. Das ist ihr anzusehen. "Die Trauerzeit ist vorbei", sagt, nein, brüllt sie. "So!" Ihre Stimme vibriert. "Jetzt begrüße ich euch von ganzem Herzen zum letzten Jahr von Schwarz-Gelb."

Der Jubel im Saal ist ohrenbetäubend. Viele Grüne haben nur darauf gewartet, ihrer Vorsitzenden den Rücken zu stärken. Roth fragt, "ob das Vertrauen noch da ist, in mich und meine Arbeit. In meinen Versuch, das Allerbeste ..." - der Rest geht im Applaus unter. Roth will ihn übertönen, sie brüllt, als gäbe es Stimmen für Dezibel.

"Herr Steinbrück, Gedöns ist vorbei"

Vor lauter Engagement und Zorn driftet sie bisweilen ins Dadaistische ab. "Menschenskinder, Herr Steinbrück, forget about Gedöns, Gedöns ist vorbei", ruft Roth dem Kanzlerkandidaten der SPD zu. Dann geht sie das schwarz-gelbe Kabinett durch: Umweltminister Altmaier, "der dampfplaudernd die Energiewende hintertreibt". Oder "Anti-Familienministerin Schröder mit ihrer verstaubten Familienpolitik". Und Innenminister Friedrich, "der gegen Roma und Sinti hetzt". Die Menge johlt. "Kämpfen kann ich, liebe Freunde, und das Nerven, das gewöhn' ich mir auch nicht mehr ab."

Abgang Roth. Sie muss lachen, als sie um 16:05 Uhr die Bühne verlässt, sich den Schweiß mit dem Ärmel von der Stirn wischt, im Blitzlicht, eine Traube von Kameramännern hinter sich herziehend. Sie bekommt drei Minuten Applaus.

Zum zweiten Mal an Roths Seite

Dass aus dem Plenum noch fünf ziemlich redundante Nachfragen kommen ("Wie stehst du zur Trennung von Amt und Mandat?"), wirkt wie eine lästige Unterbrechung der Jubelfeier. Roth nutzt sie für eine fünfminütige Zugabe ihrer Rede.

Dann das Ergebnis. Besser hat sie in den zwölf Jahren, in denen sie - mit Unterbrechungen - an der Parteispitze steht, nur selten abgeschnitten. 2010 hatte sie 79,3 Prozent erhalten. Ihrer Erleichterung lässt sie bei Göring-Eckardt und Trittin freien Lauf, die sie beide umarmt. Als ihr jemand einen "Grün gewinnt"-Schal hinhält, mimt Roth lachend einen Stier, der auf ein rotes Tuch zustürmt.

Kurz darauf hat Cem Özdemir die undankbare Aufgabe, in Roths Schatten um seine Wiederwahl zu bitten. Er sagt, er bewerbe sich darum, "zum zweiten Mal der Mann an ihrer Seite" zu sein. In beinahe jeder Passage bezieht sich Özdemir auf Roth. Sie und er verstünden sich "supergut".

Das ist geschwindelt, nach allem, was über das ungleiche Duo bekannt ist. Aber die Mitglieder gönnen auch Özdemir ein starkes Ergebnis. Nicht so stark wie vor zwei Jahren, als er 88,5 Prozent erhalten hatte. Aber es reicht für 83,3 Prozent. Bei den Grünen gibt es in Hannover an diesem Tag Candy für alle.

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