Süddeutsche Zeitung

Organisierte Kriminalität:Damit es nicht in der Familie bleibt

  • Die Unionsfraktion will Clankriminalität wirksamer bekämpfen. Anlass sind dramatische Zahlen aus Nordrhein-Westfalen.
  • In dem Bundesland waren in den vergangenen drei Jahren 104 Großfamilien für 14 225 Straftaten verantwortlich.
  • Die Union fordert deshalb unter anderem Änderungen beim Zeugnisverweigerungsrecht, mehr Personal für die Sicherheitsbehörden und den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung.

Von Robert Roßmann, Potsdam

Die Unionsfraktion will, dass Clankriminalität in Deutschland deutlich stärker bekämpft wird als bisher. Bei einer Klausur in Potsdam beschloss der Fraktionsvorstand deshalb "12 Ansätze" dazu, die er jetzt im Bundestag durchsetzen will. Anlass für die Initiative sind Zahlen aus Nordrhein-Westfalen. Im Mai hatte das dortige Landeskriminalamt das erste "Lagebild Clankriminalität" vorgelegt. Demnach waren in dem Bundesland in den vergangenen drei Jahren 104 Großfamilien für 14 225 Straftaten verantwortlich. Bei mehr als einem Drittel dieser Taten handelte es sich um sogenannte Rohheitsdelikte, also etwa Bedrohung, Nötigung, Raub und gefährliche Körperverletzung. In 26 Fällen ging es sogar um versuchte und vollendete Tötungsdelikte. Zehn Clans waren besonders auffällig. Allein auf ihr Konto gingen 30 Prozent der 14 225 Straftaten. Knapp 60 Prozent der Tatverdächtigen waren Libanesen, Türken und Syrer.

Die Rede ist von Familien, die abgeschottet und "nach eigenen Unwerten" leben würden

"Clankriminalität bedroht die innere Sicherheit und zerstört das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat", sagte Unionsfraktionsvize Thorsten Frei am Donnerstag. Der Staat werde "von einer Gruppe abgeschotteter, nach eigenen Unwerten lebender Familien herausgefordert, in denen auch strafunmündige Mitglieder schwere Verbrechen begehen". Dagegen müsse vorgegangen werden.

Dabei muss nach Ansicht der Unionsfraktion "ein Null-Toleranz-Ansatz verfolgt werden, wie er etwa in Bayern praktiziert" werde. Das bedeute, dass man bereits bei Kleinkriminalität und Ordnungswidrigkeiten konsequent interveniere. Auf kriminellen Weg erlangtes Vermögen müsse konsequent eingezogen werden.

Konkret verlangt die Unionsfraktion in ihrem Beschluss vom Donnerstag, dass "gefährliche Ausländer" gezielter abgeschoben werden. In dem Papier heißt es, dass der aufenthaltsrechtliche Status von Mitgliedern palästinensisch-libanesischer Großfamilien und sogenannten Mhallamiye-Kurden "häufig sehr komplex" sei. Während die erste Generation mit familiären Wurzeln in der Türkei über den Libanon in den 80er-Jahren nach Deutschland eingereist sei, verfüge die zweite oder dritte Generation mitunter über die deutsche Staatsangehörigkeit, andere seien staatenlos oder im Besitz der türkischen, libanesischen oder syrischen Staatsangehörigkeit; hinzu kämen Schwierigkeiten beim Nachweis der Nationalität. Deshalb will die Unionsfraktion den im Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) angesiedelten "Arbeitsbereich Sicherheit" deutlich ausbauen, der sich schon heute um die Aufenthaltsbeendigung von Intensivstraftätern kümmert.

In Kürze soll auch das neue "Bundeslagebild Organisierte Kriminalität" erscheinen. Wenn es eine ähnliche Dimension wie das für Nordrhein-Westfalen zeichnet, will sich die Unionsfraktion bei den anstehenden Haushaltsberatungen außerdem für zusätzliche Stellen beim Bundeskriminalamt und bei den Zollbehörden einsetzen.

In jedem Fall verlangt die Unionsfraktion, dass überprüft wird, ob die Regeln zur Abschöpfung von Vermögen und die Strafen für Geldwäsche verschärft werden müssen. Außerdem würde die Unionsfraktion gern die Vorratsdatenspeicherung einsetzen. "Kriminelle Clanfamilien arbeiten hoch konspirativ", klassische Ermittlungsmethoden wie der Einsatz verdeckter Ermittler seien deshalb meist nicht anwendbar, heißt es in dem Beschluss. Ein wirksames Mittel sei dagegen die Überwachung der Kommunikation und Bewegungsprofile der Straftäter. Das könne helfen, "persönliche Verbindungen im familiären Kontext besser aufzuklären".

Außerdem verlangt die Unionsfraktion Änderungen beim Zeugnisverweigerungsrecht. Ein klassischer Missbrauchsfall im Bereich der organisierten Kriminalität seien Zuhälter und Prostituierte, die sich verloben, um eine Zeugenaussage der Prostituierten zu verhindern. Um derlei abzustellen, will die Union das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte abschaffen.

Darüber hinaus möchte die Union die Herausnahme von Kindern, die schwere Gewalttaten verüben, aus ihren Familien erleichtern und Aussteigerprogramme für Frauen schaffen. "Frauen werden in den patriarchalischen Clan-Strukturen oft unterdrückt", heißt es in dem Beschluss. Sie würden keinen Zugang zu Bildung erhalten und seien "nicht selten" Opfer häuslicher Gewalt und unter Zwang verheiratet worden. Da Ehen innerhalb der Familie eine Grundvoraussetzung für die Existenz krimineller Clans seien, würde es die Strukturen nachhaltig schwächen, wenn es gelänge, Frauen und auch Kinder aus den Clans herauszuholen. Doch dafür gebe es bisher keine Infrastruktur, diese wolle man jetzt aufbauen.

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SZ vom 06.09.2019
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