Süddeutsche Zeitung

Italien:Wie die Cinque Stelle ihre eigene Mehrheit schrumpfen

Lesezeit: 3 min

Von Oliver Meiler, Rom

In der staunenswerten Welt der Cinque Stelle geschieht auch ein Rauswurf durch einen Eintrag in einem Blog, an Silvester zum Beispiel, wenn niemand aufpasst. Nicht einmal der Betroffene selbst. Gregorio De Falco, 53 Jahre alt, Ex-Marineoffizier und seit vergangenem März Senator der Fünf Sterne, ist aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er nicht immer auf Linie war. Eine interne Schiedskommission um Beppe Grillo, Gründer und "Garant" der Bewegung, beschloss es so. De Falco erfuhr es von einem Journalisten, der ihn dazu interviewen wollte. Von der Parteispitze mochte niemand mit ihm reden. "Ist das normal?", fragte er. "Den Cinque Stelle fehlt es an demokratischer Kultur."

Der Rauswurf ist ein bedeutsamer Personalentscheid, zunächst für die Partei selbst. De Falco war ein Star der Cinque Stelle, einer ihrer wenigen bekannten Namen. Berühmt wurde er in der tragischen Nacht des 13. Januar 2012, als vor der Küste der Insel Giglio das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia sank und viele Menschen in den Tod riss. De Falco saß in der Kommandozentrale der zuständigen Küstenwache. Als der Kapitän der Concordia, Francesco Schettino, von Bord ging, noch bevor alle Passagiere gerettet waren, befahl De Falco dem Kollegen mit unmissverständlichen und dienstlich auch unüblich deftigen Worten, sofort wieder an Bord zu gehen. "Vada a bordo, cazzo!", sagte er.

Die Aufnahme wurde publik, die Medien spielten sie tausend Mal ab, und De Falco stand fortan für feste Prinzipien und Werte. Ein Seemann "mit klarem Kap". Seit Luigi Di Maio, der "Capo politico" der Fünf Sterne, ihn im vergangenen Winter für seine Partei gewinnen konnte, regnete es bei jeder Gelegenheit Sprüche und Metaphern aus der Seefahrt. Di Maio führte ihn herum wie eine Trophäe, die Botschaft dazu war: Wir sind das mutige, ehrliche, prinzipientreue Italien. Doch bald zeigte sich, dass De Falco sich nicht leicht befehligen lässt. Er fand zum Beispiel, dass sich seine Partei bei der Sicherheits- und Migrationspolitik viel zu stark dem Regierungspartner unterwirft, der sehr rechten Lega von Matteo Salvini. Und er sagte seine Meinung laut und deutlich.

In einer Demokratie kann es vorkommen, dass ein Politiker den Kurs seiner Partei mal missbilligt, das ist legitim. Die italienische Verfassung, Artikel 67, sieht ganz ausdrücklich vor, dass die Volksvertreter sich nur vor dem Volk verantworten müssen - freies Mandat also. Den Cinque Stelle gefällt dieser Passus aus der Verfassung nicht. Um De Falco zu diskreditieren, überzogen ihn die parteinahen Medien mit Verleumdungen. Es hieß, De Falco wolle den ganzen Parlamentarierlohn für sich behalten und nichts davon abgeben, wie das alle Sterne vor Amtsantritt vertraglich zusichern müssen. Nur deshalb führe er sich als Rebell auf: Er suche den Rauswurf. De Falco hielt dagegen, doch es brachte nichts. Nun haben sie ihn "von Bord gestoßen", wie die Zeitungen schreiben.

Neben De Falco wurde an Silvester noch ein weiterer Senator ausgeschlossen, so schrumpft die Regierungsmehrheit von Lega und Cinque Stelle in der kleinen Kammer auf 165. Und da zwei, vielleicht drei weitere dissidente Senatoren der Fünf Sterne mit Parteiausschluss rechnen müssen, wird die Lage prekär: Das Quorum steht bei 161. Für einen Sturz der Regierung reicht es nun schon aus, dass einige Senatoren im wichtigen Moment wegen Grippe fehlen oder gerade auf die Toilette müssen. Thriller im Senat, in der Geschichte der Republik ist das ein bekanntes Genre.

Vierzig Parlamentarier vom sogenannten orthodoxen, linken Flügel der Cinque Stelle fordern nun eine Erklärung der Parteispitze. Sie werfen Di Maio und den Leuten von der Internetfirma Casaleggio Associati vor, die die gesamte digitale Infrastruktur der Fünf Sterne von sozialen Medien bis hin zu Seiten für parteiinterne Onlineabstimmungen betreut, sie führten die einst basisdemokratische Partei mittlerweile rigoros topdown. Über Themen werde nicht mehr diskutiert, schon gar nicht öffentlich. Entschieden werde in Hinterzimmern, das Parlament solle abnicken. Und wem das nicht passt, der fliege raus. Die Partei sei eine "große Kaserne" geworden, schreibt La Repubblica. Die alten Prinzipien? Sie welken schnell.

Das schadet auch der Gunst im Volk, wie alle Umfragen zeigen. Nur noch 25 Prozent der Italiener sagen, sie würden Cinque Stelle wählen, im März waren es noch 33 Prozent gewesen. Was Di Maios unbedarfte Fünf Sterne verlieren, gewinnt Salvinis ausgebuffte Lega dazu. Prozentpunkt um Prozentpunkt. Die Hackordnung innerhalb der ersten Populistenregierung steht auf dem Kopf, nach weniger als einem Jahr im Amt. Das hat wohl tatsächlich etwas mit Kap und Kompass zu tun, mit mangelnder Erfahrung am Steuer und Schlagseite im Sturm. Bei der Lega übrigens hat Salvini den Beinamen "Capitano", Kapitän. Das hätte die Cinque Stelle warnen müssen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4272200
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.01.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.