Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg:"Wir werden uns niemals ergeben!"

Winston Churchill, 1939

Winston Churchill bei einer Rede im Jahr 1939

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 4. Juni 1940 hält der britische Premierminister Winston Churchill eine der bedeutendsten Reden in der Geschichte der Demokratien. Eine Erinnerung.

Von Joachim Käppner

"Wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen. Wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke in der Luft kämpfen. Wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es kosten mag. Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsstellen kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben."

We shall never surrender. Als Winston Churchill diese Sätze sprach, vor 80 Jahren, am 4. Juni 1940 vor dem britischen Unterhaus, da war Hitlerdeutschland einem Sieg im Zweiten Weltkrieg näher als jemals vorher oder nachher - und hatte ihn, ein historisches Paradox, doch in diesem Augenblick, mit dieser Rede bereits verloren. Halb Europa war zwar in deutschen Händen.

Die französische Armee, die als stärkste ihrer Zeit gegolten hatte, stand vor dem Kollaps; die britische Expeditionary Force war durch die dramatische Evakuierung aus Dünkirchen gerade noch zurück über den Ärmelkanal gerettet worden; aber sie hatte fast all ihr schweres Gerät zurücklassen müssen.

Zu Lande war England fast entwaffnet und musste eine deutsche Invasion fürchten - sollte es der Wehrmacht gelingen, ihre Armeen über die Meerenge zu bringen oder zumindest die absolute Lufthoheit über Südengland zu gewinnen. In der Luftschlacht von England während des Sommers 1940, der Battle of Britain, würde dieser Versuch aber scheitern, eine erste, aber vorentscheidende Niederlage.

Großbritannien unter Churchill blieb im Krieg, es zog die USA auf seine Seite, auch wenn dies lang dauerte. Und als Nazideutschland dennoch 1941 Stalins Sowjetunion, mit der es sich in einem Pakt der Diktatoren 1939 Osteuropa geteilt hatte, angriff, da konnte selbst die deutsche Kriegsmaschinerie diesen Krieg gegen die halbe Welt nicht mehr gewinnen.

Das alles lag Anfang Juni 1940 noch in der Zukunft. Churchill war erst seit wenigen Wochen Premierminister, misstrauisch beäugt vom Establishment seiner Konservativen Partei, die über Jahre die suizidale Politik des Appeasement gegenüber dem aufrüstenden Nazireich verantwortet hatten.

Hitler und seine Paladine hofften nun, dass diese Männer einen Frieden von Berlins Gnaden akzeptieren würden - und dass der Weg frei wäre für den insgeheim längst geplanten Vernichtungskrieg im Osten. Es wäre der Untergang der Demokratie in Europa gewesen, Großbritannien war die letzte Bastion der Freiheit in diesem mörderischen Frühsommer 1940.

Churchill, ein alter Warlord, ein Nostalgiker des Kolonialreichs - und seit 1933 Hitlers schärfster Gegner

Aber an der Spitze stand nun der Mann, der sie retten sollte, ausgerechnet Winston Churchill, ein alter Warlord, ein Nostalgiker des Kolonialreichs - und seit 1933 Hitlers schärfster Gegner.

"Es war", schrieb der deutsche Publizist Joachim Fest, "als habe das in seine komplizierten Einverständnisse mit Hitler verstrickte und tief defätistische Europa mit diesem Mann seine Normen, seine Sprache und seinen Selbstbehauptungswillen wiedergefunden, er gab der Auseinandersetzung, jenseits aller politischen Interessen, das große moralische Motiv und einen einfachen jedermann einleuchtenden Sinn."

Dieser Sinn war die Bewahrung der Freiheit, der Demokratie vor Hitlerdeutschland, vor einer, wie er als einer von wenigen früh erkannt hatte, "ungeheuerlichen Tyrannei, die im finsteren, beklagenswerten Katalog menschlichen Verbrechens unübertroffen bleibt" - so Churchill in seiner Regierungserklärung am 13. Mai, in der er gesagt hatte, er habe "nichts anzubieten außer Blut, Schweiß, Mühsal und Tränen".

Beide Reden gehören heute zu den bedeutendsten Deklarationen der Freiheit in der Geschichte der Demokratie. Die Zustimmung war gewaltig, und ein britischer Pilot schrieb: "Nach diesen Reden wollten wir, dass die Deutschen kommen." Natürlich haben das viele damals anders gesehen, Churchills stärkster Widersacher im Kriegskabinett, der Appeaser Lord Halifax, notierte verdrossen: "Winston redet den erschreckendsten Mist."

"Abraham Lincoln ist ein Idiot", schrieb ein Zeitgenosse über den US-Präsidenten

Die Überlebensgröße, in der manche historische Persönlichkeiten der Nachwelt erscheinen, erschließt sich vielen Zeitgenossen keineswegs. "Abraham Lincoln ist ein Idiot" betitelte der amerikanische Journalist Mark Bowden einen schönen Aufsatz über den bedeutendsten US-Präsidenten des 19. Jahrhunderts, den Mann, der die Einheit der USA rettete und die Sklavenhalter besiegte.

Das Idioten-Zitat ist eine von vielen Schmähungen, die in Washington über ihn zu hören waren. Aber heute steht sein Memorial wie eine Mahnung an verlorene Werte mitten in der Hauptstadt.

Es tut gut und macht vielleicht sogar Hoffnung in einer durch Corona und den Populismus verunsicherten Welt des Westens an die Reden von Churchill, Lincoln und anderen zu erinnern. Es sind große, entscheidende Beschwörungen der Freiheit und der Menschenwürde.

Sie sind Zeugnisse für die Kraft des demokratischen Systems zur Selbstbehauptung und auch Selbstreinigung, die Fähigkeit, noch weit größere Gefahren als jene des frühen 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Sie sind, wenn man so will, ein Serum gegen die vor allem, aber nicht nur rechts so modische und selbstgefällige Geringschätzung der Freiheit und ihrer Institutionen.

Nein, Geschichte wiederholt sich nicht einfach; aber es gibt Strukturen, Muster, Ähnlichkeiten, die sich erkennen lassen. Die freie Welt ist, glücklicherweise, nicht dort, wo sie stand, als Churchill schwor, sich niemals zu ergeben: am Abgrund. Aber sie ist erschüttert, verunsichert, verzagter als nötig, und nirgendwo mehr als in den USA, ihrer führenden Nation.

Wütende Protestierer von heute würden sich im Washington von 1932 gar nicht so fremd fühlen

Würde man wütende Demonstranten aus Washington ins Jahr 1932 zurückversetzen, so fremd würden sie sich gar nicht fühlen. 1932, kurz vor der Präsidentschaftswahl im Herbst, war Amerika aufgewühlt von Furcht und Hass, Gewalt und Gegengewalt.

Es hatte einen Präsidenten, unter dem Panzer gegen demonstrierende Veteranen des Ersten Weltkrieges eingesetzt wurden und der geradezu als Verkörperung der Mitleidlosigkeit und des Mangels an Einfühlvermögen galt, der Medien und Opposition als Feinde betrachtete und kein Mittel gegen die Massenarbeitslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit und die präzedenzlose soziale Krise fand, in die das Land seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 getaumelt war.

Große Reden

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Die Ähnlichkeiten enden hier, der Präsident, der Republikaner Herbert Hoover, war kein Irrlicht wie Donald Trump, aber sie sind auffallend genug.

Viele fürchteten, dass wie in Europa faschistische Kräfte erstarken würden; Deutschland stand, in vergleichbarer Lage, kurz vor Hitlers Machtergreifung. Aber es kam anders: Die Demokratie ließ ihre Bürger nicht im Stich, als Franklin Delano Roosevelt Hoover herausforderte und den Wählern den New Deal versprach, den sich kümmernden Staat, weshalb ihn die Konservativen einen Kommunisten schimpften.

Doch er gewann, haushoch, und er hielt, was er in seiner von Millionen Zuhörern übers Radio verfolgten Antrittsrede versprochen hatte, die heute als eine weitere große Bekundung des Freiheitswillens und der Demokratie gilt: "Ihr habt nichts zu fürchten als die Furcht selbst." Allerdings: Ein neuer Roosevelt ist heute eher nicht leicht zu erkennen.

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