Chronologie des Konfliktes:Die Kosovo-Tragödie

Mit der erwarteten Unabhängigkeitserklärung des Kosovo soll ein blutiges Kapitel Balkangeschichte geschlossen werden. Sie begann 1389 auf dem Amselfeld - eine Chronologie.

Marc Hoch

1389

Die Schlacht auf dem Amselfeld

Die Schlacht auf dem Amselfeld von 1389.

(Foto: Foto: S.M.)

Die Schlacht auf dem Amselfeld am 28. Juni 1389 ist der Beginn der großen Kosovo-Tragödie, die in den nächsten Jahrhunderten Zehntausenden Menschen das Leben kosten wird. An diesem Tag kämpfen die Armeen der christlichen Allianz unter der Führung des serbischen Fürsten Lazar gegen die osmanischen Truppen, die sich mehr und mehr auf dem Balkan ausbreiten. Serbien fällt unter die Herrschaft der Türken.

Der Kosovo, der wegen seiner Klöster und Kirchen "serbisches Jerusalem" genannt wird, wird für mehr als 500 Jahre Teil des Osmanischen Reiches bleiben. Im Gedächtnis der Serben ist diese Schlacht das wichtigste Ereignis überhaupt.

Historisch in Wirklichkeit viel weniger wichtig, als von den Serben behauptet, wird die Niederlage durch Dichtung und Überlieferung zu dem Mythos des Serbentums schlechthin. Dies ist der Mythos vom Krieger, der für eine gerechte Sache in die Schlacht zieht, obwohl es aussichtslos ist. 600 Jahre später wird Slobodan Milosevic diese Verhaltensweise zum Charaktermerkmal der Serben stilisieren - und das Volk folgt ihm in die Jugoslawienkriege.

Die Kosovo-Tragödie

1913

Der jugoslawische Präsident Tito

Der jugoslawische Präsident Josip Broz Tito.

(Foto: Foto: AP)

Am 7. September 1913, genau 524 Jahre später, erklärt Serbiens König Petar Karadjordjevic, der Kosovo sei "befreit". Dies ist eine freundliche Beschreibung für die tatsächlich äußerst brutale Eroberung des Gebietes, die im Oktober 1912 begann.

Es gibt viele Berichte über die Gräueltaten, welche die Serben an den Albanern verübten. Am 24. Januar 1913 schreibt der Erzbischof von Skopje nach Rom: "Prizren scheint das Königreich des Todes zu sein." Historiker sprechen von den ersten ethnischen Säuberungen zu Beginn des 20. Jahrhundert - 20.000 Albaner sterben. Der Kosovo wird auf diese Weise wieder serbisch, auch wenn die Serben schon damals in der Minderheit sind.

1915

Auch die Albaner sind keine Unschuldslämmer. Sie nehmen in den Wintermonaten 1915/16 Rache an den serbischen Truppen, die auf der Flucht vor den siegreichen Mittelmächten sind, die Serbien bereits besetzt haben. Hunderttausende Serben wollen sich über den Kosovo an die Adria durchschlagen - sie werden zum Ziel der albanischen Guerilla.

Ein serbischer Offizier schreibt: "Die Albaner töten jeden, der (von seiner Einheit) abgeschnitten ist; sie hacken ihnen mit Axthieben die Köpfe ab." Entsetzt berichtet die britische Schriftstellerin Rebecca West nach dem Krieg, sie habe ein Gespräch zweier Albaner belauscht, die sich nach einem neuen Krieg sehnten, um möglichst viele Serben zu töten.

Die Kosovo-Tragödie

Chronologie des Konfliktes: Slobodan Milosevic

Slobodan Milosevic

(Foto: Foto: AFP)

1966-74

Der Sturz des berüchtigten Sicherheitschefs Aleksandar Rankovic im Juli bedeutet für die Kosovo-Albaner eine Art Prager Frühling. Rankovics Geheimpolizei verbreitete in den Jahren zuvor eine Atmosphäre der Angst: Jeder Albaner, der etwa nur die albanischsprachige Zeitung Rilindja kaufte, wurde registriert.

Nun erleben die Albaner eine Aufwertung wie niemals zuvor. Tito besucht 1967 erstmals die Provinz und ermahnt seine Landsleute, die Albaner nicht mehr abfällig "Skipetaren" zu nennen. Ein Jahr später wird den Kosovaren sogar erlaubt, die albanische Flagge zu hissen. 1970 öffnet die Universität von Pristina, in der auch auf Albanisch gelehrt wird.

Das Nationalbewusstsein der Albaner - "ein ausgetrockneter Schwamm" (Anton Logoreci) - saugt alles auf. Im Jahr 1974 wird der Kosovo mit der neuen Verfassung den übrigen Republiken fast gleichgestellt. Das ist ein großes Zugeständnis des Nicht-Serben Tito an die Albaner, was Begehrlichkeiten weckt. Belgrad ist entsetzt über die "antiserbische" Politik. 250.000 Serben leben zu dieser Zeit noch im Kosovo.

Die Kosovo-Tragödie

Ibrahim Rugova

Ibrahim Rugova

(Foto: Foto: Reuters)

11. März 1981

Eine Kakerlake löst die Kosovo-Krise aus, die schließlich zum Krieg führen wird. Ein albanischer Student findet sie in der Mensa der Universität Pristina in seiner Suppe, die er voller Wut auf den Boden schüttet. Daraus erwächst die erste große landesweite Protestkundgebung, die in der Forderung gipfelt: "Wir wollen ein vereinigtes Albanien!"

Belgrad geht hart gegen die Demonstranten vor: viele Menschen sterben, schließlich wird sogar der Ausnahmezustand verhängt. 90 Prozent aller politischen Gefangenen in Jugoslawien sind albanischer Herkunft. Die Unruhen und die extreme wirtschaftliche Misere in Serbien entfesseln in den folgenden Jahren den Nationalismus.

1986

Am 24. und 25. September veröffentlich die serbische Zeitung Večernje Novosti das nationalistische Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften. Darin heißt es: "Im Frühjahr 1981 wurde gegen die Serben ein offener und totaler Krieg erklärt." Und wenig später folgt die Mahnung: "Die Serben dürfen nicht untätig auf die Zukunft warten. Serbien darf nicht passiv sein."

Die Kosovo-Tragödie

Chronologie des Konfliktes: UÇK-Kämpfer beim Training (Archivbild von 1999)

UÇK-Kämpfer beim Training (Archivbild von 1999)

(Foto: Foto: dpa)

1987

Niemand anders als der noch unbekannte Politiker Slobodan Milosevic wird diese Mahnung beherzigen. In Kosovo Polje, einem Vorort von Pristina, ruft er am 24. April Tausenden Kosovo-Serben zu: "Niemand soll es wagen, euch zu schlagen."

Dieser Auftritt, der hundertfach im serbischen Fernsehen gezeigt wird, macht den Apparatschik über Nacht berühmt. Milosevic erkennt die Macht des Nationalismus: "Eine mächtige neue Droge floss durch seine Adern", schreibt der Historiker Noel Malcolm.

Milosevic wird zum Volkshelden: "Slobodan, du unser scharfer Degen / Ist bald die Schlacht des Kosovo wegen?", rufen wenig später Serben auf Massenveranstaltungen im ganzen Land.

28. Juni 1989

Zum 600. Mal feiern die Serben die Schlacht auf dem Amselfeld, und Milosevic macht eine dunkle Ankündigung: "Heute stehen wir wieder vor Schlachten."

Im Kosovo hat Belgrad schon den Ausnahmezustand verhängt. Unter dem Druck der Panzer stimmen die Kosovo-Albaner ihrer Selbstentmachtung zu: die Autonomie der Provinz ist aufgehoben.

Warren Zimmermann, damals US-Botschafter in Belgrad, erinnert sich in seinen Memoiren an ein Gespräch mit einer serbischen Kunsthistorikerin während dieser Zeit: "Ich fragte sie, wie sie mit dem Kosovo-Problem umgehen würde. 'Ganz einfach', antwortete sie, 'die Albaner an die Wand stellen und sie alle erschießen.'"

Die Kosovo-Tragödie

Chronologie des Konfliktes: Werbebanner in Pristina.

Werbebanner in Pristina.

(Foto: Foto: AP)

1991-1995

Im Juli 1991 lösen die Serben das Kosovo-Parlament auf. Tausende albanische Ärzte werden entlassen, 21.000 albanische Lehrer nicht mehr bezahlt. In den Schulen werden getrennte Räume für die Kinder eingerichtet. Das Gewaltmonopol liegt bei der serbischen Polizei. Zwischen 1990 und 1997 werden monatlich bis zu drei Albaner von Polizisten ermordet. "Das vorherrschende Gefühl unter den Albanern war Hass", schreibt der Autor Shkëlzen Maliqi.

Doch Ibrahim Rugova, der seit 1989 die politische Bewegung im Kosovo führt, schwört auf den gewaltfreien Widerstand. Er will den Kosovo-Konflikt "internationalisieren", will die Welt auf das Unrecht aufmerksam machen - doch das geht schief.

Auf der Konferenz von Dayton findet der Kosovo keine Beachtung. Die Welt interessiert sich nicht für die Menschenrechtsverletzungen: Ein Trauma für die Albaner, die erkennen, dass der Weg des passiven Widerstands keinen Erfolg hat. "Wenn die internationale Aufmerksamkeit nur durch Krieg geweckt werden kann", schreibt der Publizist Veton Surroi 1996, "ist das ein starkes Signal."

Die Kosovo-Tragödie

1997

Die Befreiungsarmee des Kosvo (UÇK) reagiert auf ihre Weise. Bei einem Begräbnis im November treten erstmals UÇK-Kämpfer auf und rufen zum bewaffneten Widerstand auf. Jetzt beginnt ein grausamer Guerilla-Krieg. Auf die terroristischen Aktionen folgen Vergeltungsschläge der Serben: 450.000 Menschen sind auf der Flucht. US-Außenministerin Albright kündigt an: "Wir werden reagieren."

24. März 1999

Um 19 Uhr beginnt die Operation "Allied Force" - der erste Krieg der Nato in ihrer fünfzigjährigen Geschichte. Bis zum 10. Juni fliegen Bomberpiloten Angriffe auf Serbien und den Kosovo; auch Deutschland beteiligt sich am Krieg. Im serbischen Radio wird täglich das Armeelied "Wir lieben dich, unser Vaterland" gespielt.

Die Lage im Kosovo ist schlimmer als je zuvor. Hunderttausende werden vertrieben. Berichte über Massaker häufen sich. Verteidigungsminister Scharping behauptet, es gebe Hinweise auf serbische Konzentrationslager; dies erweist sich als falsch. Bilanz des Krieges: mindestens 10.000 Tote, 1,5 Millionen Vertriebene. Der Kosovo wird ein UN-Protektorat.

Die Kosovo-Tragödie

2004

Am Abend des 16. März strahlt das kosovarische TV einen Bericht über einen albanischen Jungen aus, in dem behauptet wird, Serben hätten den Zwölfjährigen und dessen Freunde mit einem Hund in den Fluss getrieben, woraufhin drei Jungen ertrunken seien.

Diese Nachricht löst im Kosovo ein Pogrom aus. In den nächsten Tagen schlagen Albaner gegen die Serben los: 19 Menschen sterben, 900 werden verletzt. In der Politik setzt ein Umdenken ein. Die Gewalt wird als Ausdruck der Unzufriedenheit der Albaner interpretiert, die nicht mehr hingehalten werden wollen. Die Statusfrage kommt auf die Tagesordnung: Der lange Weg des Kosovo in die Unabhängigkeit geht in die letzte Runde.

17. Februar 2008

Für viele Serben wird der Verlust des Kosovo schmerzvoll sein. In Belgrad dürften nicht wenige Politiker die Unabhängigkeit des Kosovo als neuerliche Katastrophe bewerten: Das Jahr 2008 wird wie schon 1389 in die Geschichtsbücher eingehen. Serbien steht vor einem Neuanfang. Dazu gehört: die Abkehr von den nationalistischen Illusionen der Vergangenheit.

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