Chronologie der Finanzmarktsteuer:Sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt ...

Ja, nein, jein? Nachdem sich Regierung und Opposition in der vergangenen Woche auf Eckpunkte der Finanztransaktionsteuer geeinigt hatten, ist seit dem Wochenende wieder alles offen. Das lange Ringen um die Finanzmarktsteuer - eine Chronologie.

Deutschland galt als europäischer Vorreiter auf dem Weg zur Finanztransaktionsteuer, mit der Börsenspekulationen eingedämmt werden und die Banken stärker an den Kosten der Wirtschaftskrise beteiligt werden sollen. Am Wochenende stellte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Zeitplan zur einer europaweiten Realisierung jedoch infrage - die Opposition ist empört.

Die Idee einer Finanztransaktionsteuer ist nicht neu. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts regte der amerikanische Wissenschaftler und spätere Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin an, Devisenmarkt- und Derivate-Geschäfte zu besteuern. In den späten 1990er-Jahren nahmen globalisierungskritische Bewegungen die Tobin-Steuer in ihre Forderungen auf, um "Sand ins Getriebe" der Finanzmärkte zu streuen. Das Netzwerk Attac benannte sich sogar nach diesem Gedanken: Attac ist die französische Abkürzung für die "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger".

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 wird die Einführung einer Finanztransaktionsteuer in Koalition und EU-Kommission verstärkt diskutiert.

[] Herbst 2008: Etliche Banken werden mit Steuergeldern vor dem Zusammenbruch gerettet. Das heizt die Debatte um eine Beteiligung dieser Geldinstitute an den Kosten in Form einer Steuer auf Geschäfte mit Finanzdienstleistungen an.

[] September 2009: Kurz vor der Bundestagswahl erwägt die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Konsequenzen aus der Finanzkrise: Sie macht sich die Idee ihres Herausforderers Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu eigen, die Banken über eine globale Finanzmarktsteuer an den Kosten der Wirtschaftskrise zu beteiligen. Steinmeier und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatten zuvor angeregt, Wertpapierverkäufe generell mit einem Umsatzsteuersatz von 0,05 Prozent zu belegen.

[] Dezember 2009: Es ist Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der nun besonders laut fordert, zum Ausgleich der Lasten der Finanzkrise eine internationale Finanztransaktionssteuer einzuführen. Die FDP-Führung ist jedoch gegen das Vorhaben.

[] Mai 2010: Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker spricht sich für eine Steuer auf Finanztransaktionen aus. Die Steuer solle zur Not auch allein auf EU-Ebene beschlossen werden. CSU-Chef Seehofer wirft Kanzlerin Merkel nun Fehler in der Euro-Krise vor und fordert von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sich für eine Einführung der Transaktionssteuer einzusetzen - wie es im Koalitionsausschuss vereinbart worden sei. Schäuble lehnt ein europäisches Solo jedoch ab - und dringt auf eine Vereinbarung mit den USA.

[] August 2011: Merkel und der ehemalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy schlagen auf dem deutsch-französischen Gipfel eine Finanztransaktionsteuer vor - die Börse reagiert prompt: Der Dax rutscht ins Minus, die Papiere der Börsenbetreiber brechen ein. Daraufhin distanziert sich die FDP von den Ideen der Kanzlerin. Wirtschaftsminister und FDP-Parteichef Philipp Rösler will einer Transaktionssteuer nur dann zustimmen, wenn diese in allen 27 EU-Ländern erhoben wird.

[] September 2011: Die EU-Kommission legt einen Vorschlag zur europaweiten Einführung einer Umsatzsteuer auf Geschäfte mit Aktien, Derivaten und weiteren Finanzprodukten vor. Großbritannien und Schweden sprechen sich sofort dagegen aus.

[] Januar 2012: Merkel geht nun auf Konfrontationskurs zur FDP: Nach einem Gespräch mit Nicolas Sarkozy rückt sie vom bisherigen - von der FPD vorgegebenen - Kurs der Koalition ab, wonach eine solche Steuer nur infrage kommt, wenn alle 27 EU-Staaten mitziehen. Eine Einführung der Steuer hält sie auch in den 17 Euro-Länder für denkbar. FDP-Chef Rösler hält weiterhin dagegen.

[] März 2012: Die Einführung der Finanztransaktionsteuer scheint näher zu rücken: Finanzminister Schäuble und acht seiner europäischen Kollegen drängen in einem gemeinsamen Brief an die dänische Finanzministerin Margrethe Vestager (Dänemark führt zu diesem Zeitpunkt die Geschäfte der EU) auf eine schnelle Entscheidung. Neben Schäuble unterzeichnen die Finanzminister von Frankreich, Spanien, Österreich, Belgien, Finnland, Portugal, Griechenland und Italien den Brief.

[] 7. Juni 2012: Überraschend gibt die FDP ihren Widerstand auf: Die Liberalen akzeptieren die Vorschläge der EU-Kommission, nach denen der Handel mit fast allen Finanzprodukten (Aktien, Devisen, Derivate) besteuert werden soll. Der Satz soll zwischen 0,1 (für Aktien und Anleihen) und 0,01 Prozent (bei spekulativen Derivaten) liegen. Außerdem einigt sich die Arbeitsgruppe darauf, dass die Steuer zunächst auch nur in einigen EU-Ländern eingeführt werden könne. "Ich glaube, das ist ein guter Tag für Europa", freut sich Merkel und hofft auf eine Einigung mit der Opposition auf den Fiskalpakt. Die Koalition ist wegen der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat auf die Stimmen der Opposition angewiesen.

[] 10. Juni 2012: Am vergangenen Wochenende dann die Kehrtwende: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt im Interview mit der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", dass eine europäische Steuer "nicht so schnell" zustande kommen werde. Empörung auf Seiten der Opposition: SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisiert ebenfalls im "Bericht aus Berlin" die Union und spricht vom "Gegenteil von vertrauenswürdigem Verhandeln". Weiter sagt er: "Sie hat all das, was sie am Freitag unterzeichnet hat, am Wochenende wieder in Frage gestellt."

[] 11. Juni 2012: Bei Gesprächen zwischen Regierung und Opposition zum Fiskalpakt kommt es zu keiner Einigung. Beide Seiten signalisieren jedoch den grundsätzlichen Willen zu einer Finanztransaktionsteuer. Die Diskussion wird fortgesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: