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Chronologie der Ereignisse in Syrien:Wie sich Assad an der Macht hält

Lesezeit: 8 Min.

Mit Hoffnung auf Reformen begannen nach den Umwälzungen in Tunesien und Ägypten im Jahr 2011 die Proteste in Syrien. Doch der Konflikt zwischen Oppositionellen und Präsident Assad ist zum Bürgerkrieg geworden. Gekämpft wird auch mit Giftgas. Die Vernichtung seiner Chemiewaffen könnte Assad vor einem Militärschlag der USA bewahren. Die Eckpunkte des Konflikts im Überblick.

Es begann mit kleinen Demonstrationen, die Machthaber Baschar al-Assad von seinen Truppen unterdrücken ließ. Die Proteste in Syrien haben sich innerhalb der vergangenen zwei Jahre zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet. Die Rebellen fordern den Umsturz, Machthaber Assad antwortet mit brutaler Gewalt. Mehr als Hunderttausend Menschen haben bisher ihr Leben verloren, Millionen mussten fliehen. Nicht nur Assad, auch Rebellengruppen tragen dafür Verantwortung, wie Menschenrechtsorganisationen betonen.

Die Vereinten Nationen bleiben untätig - wegen der Blockade von Syriens Verbündetem Russland und der zögerlichen Haltung von China. Seit dem mutmaßlichen Giftgasangriff im August 2013 spitzt sich die Lage noch mehr zu, die USA erwägen einen Militärschlag gegen Assad. Die wichtigsten Ereignisse im chronologischen Überblick:

2011: Oppositionelle wagen den Aufstand

Februar: Nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten erreicht der Arabische Frühling auch Syrien. Anfang Februar rufen Oppositionelle einen "Tag des Zorns" aus, der aber ohne große Resonanz bleibt.

März: Syrer demonstrieren in Damaskus, Daraa und Nawa, es soll sich bereits zu diesem Zeitpunkt um Tausende Demonstranten handeln. In Daraa setzen sie das Hauptquartier der regierenden Baath-Partei in Brand. Zahlreiche Menschen sterben bei der Niederschlagung der Proteste durch die Armee. Präsident Assad sieht hinter den Aufständen ausländische Verschwörer.

April: Aus dem Ausland kommen erste kritische Reaktionen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zeigt sich beunruhigt. Präsident Assad hebt die Notstandsgesetzgebung auf, eine der Hauptforderungen der Demonstranten. Trotzdem kommt es in mehreren Städten wieder zu Protesten, die Regierung setzt gegen Demonstranten Panzer ein. Am 22. April schießen Heckenschützen auf Demonstranten, Panzer dringen in Daraa ein. Es ist der bis dahin blutigste Tag in Syrien, einige Medien berichten von mehr als 30, andere sogar von mehr als 70 Toten.

Mai: Die USA reagieren mit Sanktionen gegen Syrien, das EU-Waffenembargo tritt in Kraft. Präsident Assad kündigt Reformen an.

Juni: Syrische Oppositionelle treffen sich in der Türkei. Wieder kommt es in mehreren Städten zu Protesten, etwa 30 Menschen werden getötet. Die Arabische Liga, in der auch Syrien Mitglied ist, verurteilt die Gewalt gegen die Demonstranten.

Juli: Im ganzen Land gehen Hunderttausende auf die Straßen, allein in Hama sollen dabei 130 Menschen Demonstranten zu Tode gekommen sein. Assad macht gleichzeitig formale Zugeständnisse: Neben seiner Baath-Partei sind fortan auch andere Parteien zugelassen.

August: US-Präsident Barack Obama fordert Assad explizit zum Rücktritt auf. Mehrere arabische Staaten ziehen ihre Botschafter aus Syrien ab.

September: Die EU verhängt ein Ölembargo. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, neben Russland und China ein Verbündeter Syriens, fordert von Assad, auf Gewalt zu verzichten.

Oktober: Oppositionelle gründen den Syrischen Nationalrat, um die unterschiedlichen Kräfte zu bündeln. Er unterstützt auch die Freie Syrische Armee, eine bewaffnete Oppositionsgruppe. Russland und China blockieren im UN-Sicherheitsrat eine Resolution gegen Assad.

Dezember: Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, spricht von mehr als 5000 Zivilisten, die durch Sicherheitskräfte Assads getötet worden seien. Die Arabische Liga schickt eine Beobachtermission nach Syrien. Hunderttausende Syrier gehen Ende Dezember erneut auf die Straße.

Januar: Wegen anhaltender Gewalt beruft die Arabische Liga ihre Beobachtermission ab.

Februar. Anfang des Monats werden in der umkämpften Stadt Homs bis zu 330 Menschen getötet. Opposition und Regierung weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Auch in den folgenden Tagen bombardiert die Regierung nach Angaben der Opposition wiederholt die Stadt. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan wird von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt.

März: Gemeinsam mit Russland und China einigt sich der UN-Sicherheitsrat auf eine Erklärung. Darin mahnt er an, den Sechs-Punkte-Plan des Sondergesandten Annan einzuhalten. Syrien akzeptiert den Friedensplan, der einen Waffenstillstand vorsieht.

April: Trotz des vereinbarten Waffenstillstands bekämpfen sich Assads Truppen und Oppositionelle weiterhin. Die Vereinten Nationen entsenden unbewaffnete Beobachter nach Syrien. Die Zahl der syrischen Flüchtlinge in die Türkei steigt auf 22.000.

Mai: Mitte des Monats sterben in Haula mehr als 100 Zivilisten, etwa die Hälfte davon Kinder. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde ein Großteil der Opfer gezielt hingerichtet, in Worten des UN-Generalsekr New York - UN-Sicherheitsrat verabschiedet Syrien-Resolutionetärs Ban eine "entsetzliche Massentötung". Daraufhin weisen mehrere Länder, auch Deutschland, syrische Botschafter aus.

Juni: Die Beobachter der UN werden wiederholt beschossen, die Mission wird daher ausgesetzt. Trotzdem wollen die Beobachter in Syrien bleiben. Das syrische Militär schießt ein türkisches Kampfflugzeug ab. Assad wirft der Türkei vor, die Opposition mit Waffen zu versorgen.

Juli: Oppositionsgruppen berichten von einem Massaker mit etwa 70 Opfern in der Region Hama. Verantwortlich sollen ihnen zufolge Assad-Truppen sein. Ein Attentäter sprengt sich in Damaskus am Sitz der syrischen Sicherheitskräfte in die Luft. Dabei sterben Syriens Verteidigungsminister und sein Stellvertreter, ein Verwandter Assads. Die syrische Regierung startet eine Offensive auf die Millionenstadt Aleppo.

August: Sanktionen gegen Syrien scheitern an der Blockade durch Russland, enttäuscht über die fehlenden Fortschritte tritt Kofi Annan als Sondergesandter für Syrien zurück. Nachfolger wird der frühere algerische Außenminister Lakhdar Brahimi. Assads Macht scheint gefährdet zu sein, als sein Ministerpräsident Riyad Hijab zur Opposition überläuft. Obama droht Assad mit einem Militärschlag, sollte er Chemiewaffen einsetzen und damit eine "rote Linie" überschreiten. Nach Schätzungen der UN sind allein im August 100.000 Syrer aus dem Land geflohen.

September: Immer wieder bekämpfen sich Oppositionelle und Regierungstruppen, landesweit sterben Dutzende Menschen. In einem Bericht heißt es, Assad teste Trägersysteme für Giftgasgranaten. Der Jahrhunderte alte Basar von Aleppo geht bei Kämpfen in Flammen auf.

Oktober: Die Türkei stoppt ein Passagierflugzeug auf dem Weg von Moskau nach Damaskus, Behörden stellen angeblich Waffen sicher. Das führt zu Spannungen zwischen der Türkei und Russland, Präsident Putin sagt einen Besuch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan ab.

November: Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bereits mehr als 400.000 Syrer aus ihrem Land geflohen. Allein am 9. November seien es 11.000 innerhalb eines Tages gewesen.

Dezember: Die Nato schickt Abwehrraketen in die Türkei, um Assad an Angriffen auf türkisches Gebiet zu hindern. Auch Deutschland sendet Raketen.

Januar: Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass seit 2011 mehr als 60.000 Menschen in Syrien getötet wurden. Präsident Assad ruft in einer Fernsehansprache zur Mobilisierung gegen die Oppositionellen auf und kündigt ein Referendum über eine neue Verfassung an.

Februar: Vor der Zentrale der regierenden Baath-Partei ereignet sich ein Anschlag. Angaben von Oppositionellen zufolge werden dabei mindestens 80 Menschen getötet. Assad macht die Terrororganisation Al-Qaida für die Tat verantwortlich.

März: Bei einem Treffen von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon mit Vertretern der Arabischen Liga wird die Anzahl der Opfer des syrischen Bürgerkriegs auf 70.000 geschätzt. Außerdem seien mehr als 900.000 Menschen in Nachbarländer geflohen. Menschenrechtsorganisationen werfen allen Konfliktparteien vor, Kriegsverbrechen zu begehen. Der ARD-Reporter Jörg Armbruster wird in Aleppo schwer verletzt und nach Deutschland ausgeflogen.

April: Ranghohe US-Regierungsmitglieder vermuten, dass Syrien "in geringen Mengen" Chemiewaffen eingesetzt habe. US-Außenminister Kerry zufolge gibt es aber noch keine Beweise. Die EU hebt das Ölembargo für die Gegner Assads auf.

Mai: Israel fliegt Luftangriffe auf Ziele in Syrien, um Raketenlieferungen an die israelfeindliche Hisbollah-Miliz im Libanon zu verhindern. Die EU verlängert das Waffenembargo gegen Syrien nicht. Vor allem Großbritannien und Frankreich hatten sich gegen das Lieferungsverbot gestemmt.

Juni: Assads Milizen nehmen die umkämpfte Stadt al-Kusair nahe der libanesischen Grenze ein. Dabei sterben zahlreiche Menschen. Am Ende des Monats starten Regierungstruppen eine Großoffensive auf Homs.

Juli: Oppositionelle und Regierung werfen sich gegenseitig vor, Chemiewaffen einzusetzen. Die Vereinten Nationen einigen sich mit der syrischen Regierung darauf, einen mutmaßlichen Einsatz untersuchen zu dürfen. Ihre Prüferlaubnis ist aber beschränkt. Die syrische Armee nimmt nach eigenen Angaben einen umkämpften Stadtteil in Homs vollständig ein.

August: Oppositionelle und Hilfsorganisationen berichten von einem Giftgaseinsatz in der Nähe von Damaskus. Nach Angaben von Oppositionsgruppen sind dabei zwischen 500 und 1300 Menschen umgekommen. Syriens Regierung erlaubt den UN, den mutmaßlichen Chemiewaffen-Einsatz in der Nähe von Damaskus zu untersuchen. Die USA sind von der Verantwortung der syrischen Führung überzeugt und erwägen einen kurzen militärischen Eingriff. Auch die Pläne der Briten werden konkreter, sie wollen Notfallpläne für einen Militäreinsatz vorbereiten. Deutschland bleibt zurückhaltend. Syriens Machthaber Assad gibt sich kampfbereit und nennt die Vorwürfe "Unsinn".

Anfang September: Die letzten UN-Chemiewaffenexperten verlassen Syrien. Die USA berichten von Beweisen für den Einsatz des Kampfstoffes Sarin. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind von Beginn des Konflikts 2011 bis zum September 2013 mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als sieben Millionen Menschen seien zu Flüchtlingen geworden. Langsam nähert sich die EU einer gemeinsamen Position zu Syrien: Die EU-Außenminister kommen bei Gesprächen im litauischen Vilnius zu der Haltung, dass es "keine ernsthaften Zweifel" an Assads Verantwortung für einen Giftgas-Angriff gibt.

Mitte September: Russland überrascht mit einer Initiative zur Abwendung eines Militärschlags: Außenminister Lawrow fordert die Regierung in Damaskus auf, ihre Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen und zu vernichten. Syrien nimmt den Vorschlag der russischen Regierung an. Die französische Regierung will den Vorstoß aus Russland in einer UN-Resolution festschreiben. Außenminister Westerwelle kann sich eine deutsche Beteiligung an der Vernichtung der Chemiewaffen vorstellen. Daraufhin einigen sich die USA und Russland in Genf. US-Präsident Obama lobt den Durchbruch, behält sich allerdings weiter das Recht auf einen Militärschlag vor.

Ende September:Die UN-Chemiewaffeninspektoren übergeben dem UN-Sicherheitsrat ihren Bericht. Das Untersuchungsteam ist sich sicher, dass am 21. August in Vororten von Damaskus das Nervengas Sarin "in relativ großem Umfang" zum Einsatz gekommen sei. Mangels Mandat klärt der Bericht die Frage nach der Verantwortung nicht. Jedoch liefert er Indizien auf die Schuld Assads. Der UN-Sicherheitsrat überwindet seine Spaltung und fordert das Assad-Regime auf, alle seine Chemiewaffen vernichten zu lassen. Alle 15 Mitglieder des Gremiums stimmen für den Entwurf, auf den sich die USA und Russland nach wochenlangem Ringen verständigt hatten. Dieser sieht keine automatischen Sanktionen oder gar ein militärisches Eingreifen vor, sollte Syriens Präsident Baschar al-Assad den Forderungen nicht nachkommen.

Anfang Oktober: UN-Experten beginnen mit der Vernichtung von C-Waffen. Schätzungsweise 1000 Tonnen an chemischen Waffen sollen in Syrien zerstört werden. Nach Auffassung von UN-Generalsekretär Ban ist allein für die Überwachung des Vorhabens ein internationales Team von 100 Experten notwendig.Die Mission zur Erfassung und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen kommt relativ gut voran, sagt der Chef der dafür zuständigen Organisation. In den kommenden Wochen sollen die Experten an etwa 20 Orten in Syrien Untersuchungen vornehmen.

Ende Oktober: Syrien hat nach Angaben der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) alle Anlagen zur Produktion von Chemiewaffen zerstört. An keinem der von Syrien gemeldeten 23 Standorte könnten noch Chemiewaffen hergestellt werden. Syrien habe damit die gesetzte Frist vom 1. November eingehalten. Die Inspekteure der gemeinsamen Mission der UN und der OPCW kehrten am 31. Oktober aus Damaskus nach Den Haag zurück.

November: 700 Seiten lang ist Syriens Chemiewaffen-Liste. Doch dass sie tatsächlich das gesamte Arsenal aufführt, bezweifeln Diplomaten, allen voran die USA. Ein Termin für eine zweite Friedenskonferenz in Genf wird festgelegt. Die syrische Oppositionsgruppe Nationale Koalition ist bereit, daran teilzunehmen. Auch die syrische Regierung will kommen. Ein baldiges Ende der Kämpfe bedeutet dies allerdings nicht. Und auch auf das Nachbarland Libanon greift der Bürgerkrieg über. Bei einem Bombenanschlag auf die iranische Botschaft in Libanon werden mindestens 24 Menschen getötet.

Dezember: Aleppo, die größte Stadt des Landes, rückt ins Zentrum der Kämpfe. Innerhalb weniger Tage sterben über hundert Menschen bei Luftangriffen und Bombardierungen. Und wieder wird Syriens Nachbar Libanon in den Krieg verwickelt. Bei einem Anschlag auf den Berater eines syrienkritischen Politikers sterben mindestens sechs Menschen. Indes laufen die Vorbereitungen für die Syrien-Konferenz in der Schweiz. Deutschland nimmt an der Konferenz teil, auch die syrische Regierung und die wichtigste Oppositionsgruppe sagen zu. Uneinigkeit herrscht bei der Rolle von Iran: Die USA streiten mit den UN und Russland über die Teilnahme des Landes.

Januar: In der Schweiz beginnt die Syrien-Konferenz. Ohne greifbares Ergebnis gehen die Gespräche der syrischen Bürgerkriegsparteien in Genf zu Ende. Zumindest einigt man darauf, dass Frauen und Kinder die seit Monaten belagerte Rebellenhochburg Homs verlassen dürfen. Menschenrechtler erheben schwere Foltervorwürfe gegen Assads Regime.

Februar: Der UN-Sicherheitsrat fordert in einer Resolution freien Zugang für humanitäre Helfer in Syrien. Zugestimmt haben auch China und Russland. Auch die zweite Runde der Friedensgespräche endet ergebnislos. Zu diesem Zeitpunkt hat die Türkei bereits 700 000 Flüchtlinge aufgenommen. Die Vereinten Nationen sprechen von der schlimmsten Flüchtlingskrise seit dem Genozid in Ruanda.

März: Die Regierungstruppen rücken im Norden von Damaskus weiter vor und erobern die Stadt Jabrud. Mehr als eine Viertelmillion Menschen sind nach einem Bericht der vom UN-Menschenrechtsrat berufenen Syrien-Kommission in belagerten Städten und Wohngebieten Syriens andauernd Bombardierungen und Angriffen mit schweren Waffen ausgesetzt. Mitte März zählt das UNHCR neun Millionen vertrieben Syrer. Mehr als 2,5 Millionen Syrer flohen ins Ausland. Insgesamt sind mehr als 40 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht.

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