Chronik der Proteste in der Türkei:Für den Park und gegen die Regierung

Erst ging es um einen Park, dann um die Politik. Seit Monaten protestieren in der Türkei Tausende gegen Ministerpräsident Erdogan. Die Stärke der Demonstrationen variiert - die Reaktion der Polizei ist immer gleich heftig.

13 Bilder

Turkish riot policeman uses tear gas during a protest in central Istanbul

Quelle: REUTERS

1 / 13

Erst ging es um einen Park, dann um die Politik. Seit Monaten protestieren in der Türkei Tausende gegen Ministerpräsident Erdogan. Die Stärke der Demonstrationen variiert - die Reaktion der Polizei ist immer heftig.

Am 27. Mai fahren die ersten Bulldozer vor, die Polizei räumt ein Protestcamp im Istanbuler Gezi-Park. Die Regierung plant, auf der Grünfläche nahe des Taksim-Platzes im Herzen der Stadt ein Einkaufszentrum zu bauen. Die Gegner der Umgestaltung wollen den Park erhalten - davon gäbe es sowie so schon zu wenige in der türkischen Metropole. Die Polizei setzt massive Gewalt gegen die Demonstranten ein. Das Bild der "Frau in Rot", der ein Beamter Tränengas direkt ins Gesicht sprüht, erlangt als Symbol für das unverhältnismäßig harte Eingreifen der Sicherheitskräfte weltweit Berühmtheit.

'OccupyGezi' protest clashes in Istanbul

Quelle: dpa

2 / 13

Die Gegner der Bebauungspläne wollen die Räumung des Gezi-Parks nicht hinnehmen. Unter dem Schlagwort "OccupyGezi" organisieren sie sich in den Tagen nach dem Polizeieinsatz - vor allen über das Internet und soziale Netzwerke. Die "Guy-Fawkes"-Maske, die dieser Demonstrant trägt, ist international das Markenzeichen der verschiedenen Occupy-Bewegungen. Auf dem Taksim-Platz versammeln sich täglich Tausende Menschen und protestieren.

Riot police use tear gas to disperse the crowd during an anti-government protests at Taksim Square in central Istanbul

Quelle: REUTERS

3 / 13

Die Polizei reagiert auf die anhaltenden Proteste unverändert heftig: mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas. Die Gasschwaden hängen teilweise stundenlang über der Stadt. Mit Masken, Taucherbrillen und Tüchern versuchen die Demonstranten, sich vor den Angriffen zu schützen.

Anti-government protesters clash with riot police during a demonstration in Ankara

Quelle: REUTERS

4 / 13

Die Proteste weiten sich aus. Aus Solidarität mit den Demonstranten in Istanbul gehen Anfang Juni auch in anderen türkischen Städten, wie hier in der Hauptstadt Ankara, die Menschen auf die Straße. Ihre Parole: "Überall ist Widerstand, überall ist Taksim". Mittlerweile protestieren die Kritiker nicht mehr nur gegen die Bebauung des Gezi-Parks, sondern gegen den als autoritär empfundenen Regierungsstil von Ministerpräsident Erdogan und der Partei AKP.

Riot police use tear gas to disperse the crowd during an anti-government protest at Taksim Square in central Istanbul

Quelle: REUTERS

5 / 13

In Istanbul zieht sich die Polizei am Nachmittag des 1. Juni vom Taksim-Platz zurück. Fünf Tage heftiger Straßenkämpfe liegen hinter Demonstranten und Sicherheitsbeamten. In anderen Städten gehen die Proteste weiter. Der türkische Innenminister Muammer Güler zieht eine erste Bilanz: Er spricht von 90 Demonstrationen in 48 Städten und 939 Festnahmen. Eine Ärzteorganisation zählt mehr als 1000 Verletzte allein in Istanbul.

TURKEY-POLITICS-PROTEST

Quelle: AFP

6 / 13

Trotz des Rückzugs der Sicherheitskräfte vom Taksim-Platz protestieren die Menschen in vielen türkischen Städten weiter täglich. Sie organisieren sich per Twitter und Facebook und dokumentieren auf Blogs die Gewalt, mit der die Polizei ihnen begegnet. Am 3. Juni stirb erstmals ein Demonstrant, weil ein Auto in eine Menschenmenge rast. Bis zum 5. Juni werden vier Todesfälle gezählt.

Unterdessen nimmt die Polizei mindestens 25 Twitter-Nutzer fest. Der Vorwurf: Aufruf zum Protest. Ministerpräsident Erdogan hatte vorher gesagt, es gäbe eine "neue Bedrohung names Twitter". Social Media sei die größte Bedrohung für die Gesellschaft.

Protesters run in panic as police returned to Istanbul's Taksim square

Quelle: REUTERS

7 / 13

Nach zwölf Tagen fährt die Polizei am 12. Juni erstmals wieder auf den Taksim-Platz - und räumt ihn gewaltsam. Mit Tränengas gehen sie auf die Demonstranten los, unterstützt von gepanzerten Fahrzeugen und Wasserwerfern. Bagger räumen die Sperren aus Metallteilen und Zäunen fort, mit denen die Demonstranten die Zufahrtsstraßen zum Platz blockiert hatten. Premier Erdogan dankt anschließend der Polizei für ihren Einsatz und fordert von den Aktivisten, auch den nahegelegenen Gezi-Park zu verlassen. "Das Ende der Toleranz" sei erreicht, so Erdogan.

Turkey's PM Erdogan speaks during an AKP meeting in Ankara

Quelle: REUTERS

8 / 13

Am 14. Juni empfängt Erdogan Vertreter der Protestbewegung "Taksim Solidarität" in Ankara. Vorher hatte er sich bereits mit anderen Kritikern getroffen und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Doch schon am nächsten Tag räumt die Polizei gewaltsam den Gezi-Park, die Regierung verhängt ein Demonstrationsverbot in Istanbul. Der Vizeregierungschef Bülent Arınç droht sogar mit der Armee, sollte weiter protestiert werden.

Demonstration in Istanbul

Quelle: dpa

9 / 13

Als "stehender Mann" wird der Künstler Erdem Gündüz Mitte Juni bekannt. Er steht schweigend stundenlang auf dem Taksim-Platz. Seine friedliche Form des Protests wird schnell von vielen Leuten nachgeahmt.

TURKEY-ISTANBUL-EUROPEAN UNION-FLAGS

Quelle: AFP

10 / 13

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich kritisch über die Härte des Polizeieinsatzes, der türkische Europa-Minister Bağış reagiert empört. Merkel solle "ihren Fehler bis Montag verbessern", sonst habe dies Folgen, droht er. Der diplomatische Konflikt und die anhaltenden Proteste überschatten die anstehenden Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU. Ende Juni beschließt die Europäische Union einen Kompromiss: Ein neues Verhandlungskapitel soll eröffnet werden, allerdings erst im Herbst.

-

Quelle: B. Kilic/AFP

11 / 13

Anfang Juli brechen Regierungsgegner gemeinsam das Fasten am ersten Tag des Ramadan. Auf der zentralen Einkaufsstraße in Istanbul essen und trinken sie an einer langen Tafel - als Zeichen für ihre Gemeinschaft.

Newly married couple Nuray Cokol and Ozgur Kaya shout slogans as they visit Gezi Park after wedding ceremony in Istanbul

Quelle: REUTERS

12 / 13

Sie sagen, sie hätten sich während der Proteste kennengelernt: Am 20. Juli heiraten Nuray Cokol und Özgür Kaya und laden zur öffentlichen Feier ihrer Vermählung in den Gezi-Park. Die Polizei fürchtet erneute Proteste, sperrt das Gebiet und rückt mit Wasserwerfern an.

Im Laufe des Monats Juli werden die Proteste weniger, doch in verschiedenen Städten der Türkei demonstrieren immer wieder Menschen gegen die Regierung um Premier Erdogan.

Anti government protest in Turkey

Quelle: dpa

13 / 13

Anfang September stirbt in der südtürkischen Stadt Antakya ein 22-Jähriger bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt. Türkische Medien berichten, dass ihn ein Tränengasgeschoss der Sicherheitskräfte am Kopf getroffen haben soll. Nach Polizeiangaben sei er von einem Dach gefallen. Die Proteste kochen wieder hoch, wie hier in Istanbul gehen Hunderte Demonstranten auf die Straße. Polizisten stellen sich ihnen mit Gummigeschossen und Wasserwerfern entgegen.

© Süddeutsche.de/chu/mcs
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: